nd-aktuell.de / 04.05.2025 / Politik / Seite 1

Kirchentags-Kosmos als Mega-Event

Ermutigung und Gemeinschaftsgefühl – das nehmen die Teilnehmenden aus fünf Tagen in Hannover mit

Katja Spigiel
Der Kirchentag prägte das Bild der ganzen Stadt Hannover, die Stimmung der Besucher*innen schien unkaputtbar.
Der Kirchentag prägte das Bild der ganzen Stadt Hannover, die Stimmung der Besucher*innen schien unkaputtbar.

Er kommt wieder: 1949 gründeten Protestant*innen in Hannover den evangelischen Kirchentag – damals als Reaktion auf den fehlenden Widerstand ihrer Kirche in der NS-Zeit. Der Laienbewegung ging es darum, den Zusammenhalt sowie die neue Demokratie in Deutschland zu stärken. Heute ist die nicht mehr ganz so neu, die Idee bleibt aber die gleiche. Vom vergangenen Mittwoch bis einschließlich Sonntag kehrte das Treffen an den Ursprungsort in Niedersachsen zurück.

Vor den Augen der Weltöffentlichkeit hatte die US-Bischöfin Mariann Edgar Budde am Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump im Januar bewiesen[1], wie es aussehen kann, für eigene Überzeugungen einzustehen. Sie predigte dem Präsidenten direkt ins Gesicht – und wurde dafür gefeiert, die »Taz« ernannte die 65-Jährige gar zur »Antifa-Heldin«. In Hannover legte sie nun in einer voll besetzten Messehalle eine Bibelstelle aus und lud das Publikum ein, in sich zu gehen: Ob sie sich an einen Moment erinnerten, in dem sie das Gefühl gehabt hätten, sich in Bewegung setzen zu müssen? Manchmal, so die US-Bischöfin, gebe es Momente, die das Bedürfnis weckten, Präsenz und Haltung zu zeigen.

Budde erhielt Beifall, Applaus und Standing Ovations. Elke Meinhardt, selbst Pastorin und aus dem Wendland angereist, zeigte sich bewegt. Es sei wohltuend gewesen, solche stärkenden Worte zu hören – gerade weil sie sonst selbst diejenige sei, die anderen Kraft zuspreche. Budde habe sie inspiriert – nicht nur für ihre eigenen Predigten. Sondern, und das sei noch »viel, viel wichtiger«, um als Mensch mutiger zu sein, Stellung zu beziehen und Haltung zu zeigen. Das Motto des 39. evangelischen Kirchentags »mutig – stark – beherzt« hat Budde damit getroffen.

Der Kirchentag erinnert an ein großes Volksfest, bei dem Menschen in Scharen zusammen strömen, singen, beten, diskutieren. In rund 1500 Veranstaltungen ging es um politische Fragen und die eigene Haltung. Krieg und Frieden, Migration, Rassismus, queeres Leben oder Klimaschutz sind nur einige der Themen, über die auf Podien und Workshops gesprochen wurde.

Der Kirchentag kümmerte sich auch um innerkirchliche Probleme. So wurde der Umgang der Kirche mit sexueller Gewalt und Machtmissbrauch kritisch diskutiert. Häufig, so berichtete es ein von Missbrauch Betroffener auf einem Podium, werde das Thema »theologisiert«. Schnell gehe es so um Vergebung und für weiteres »wird die Tür zugeschlagen« und das sei einfach falsch. Oft werde auch auf die ForuM-Studie[2] verweisen und mit genauen Zahlen von Betroffenen hantiert. Dabei sei die Sache doch so klar: »Jede einzelne betroffene Person ist eine zu viel.«

Auf einer Wiese des Messegeländes, wo ein Großteil des Programms stattfindet, sitzt eine Gruppe von Pfadfinder*innen. Für sie ist der Kirchentag wie eine harmonischere Klassenfahrt und ein Ort für Denkanstöße. Der Kirchentag könne eine Chance sein, um Menschen mit festgefahrenen Glaubenssätzen zum Nachdenken zu bringen. Die Gruppe aus der Nähe von Hamburg wünscht sich mehr Mut zur Offenheit, um Bibelstellen, von deren Richtigkeit man jahrzehntelang überzeugt war, auch neu zu lesen. Einiges sei da schon in Bewegung. Dass es etwa Stände zu LGBTQIA+ gibt, konfrontiert und eröffnet neue Perspektiven.

Auch zum Thema Frieden tut sich auf dem Kirchentag einiges. Auf einem der Hauptpodien diskutieren unter anderem Vertreter der Bundeswehr mit dem Linke-Politiker Bodo Ramelow über die »Deutsche Zerrissenheit«, der Untertitel der Veranstaltung lautet »Mit Waffen Kriegen schaffen?« Das Fragezeichen wäre bei früheren Kirchentagen, die als pazifistischer Raum galten, wohl nicht nötig gewesen. Schon in den 1960er-Jahren wurde dort über den Vietnamkrieg diskutiert, in den 80ern prägte eine Einstellung gegen atomare Aufrüstung das Programm und auch gegen die Stationierung von US-Raketen in Deutschland wusste man sich einst klar zu positionieren.

Ein Internationaler Christlicher Friedensdienst wie Eirene, der sich für gewaltfreien Frieden einsetzt, nimmt nun aber eine Randposition im Kirchentags-Kosmos ein. Am Messestand gibt Stefan Heiß von Eirene zu bedenken: Der Kirchentag sei ein Spiegel der Gesellschaft – und da seien Waffen kein Unding mehr.

Manchmal wurden sogar Kirchenlieder gesungen, statt sich über die volle Bahn zu ärgern.

Thorsten Klein, Pressesprecher von Eirene, erinnert: »Frieden braucht Begegnung – man muss mit den Menschen ins Gespräch kommen.« Und doch spricht man manchmal aneinander vorbei: Diejenigen, die an die pazifistische Friedensbewegung glauben, trafen sich abseits vom Messegelände bei der sogenannten Friedenssynode. Mit dabei war die frühere EKD-Ratsvorsitzende und überzeugte Pazifistin Margot Käßmann. Erarbeitet wurden sieben auf die Bibel gestützte Argumente gegen Krieg. Das Ganze fand losgelöst vom offiziellen Teil des Kirchentages statt. Ein Hinweis mehr darauf, dass sich die Friedensbewegung und der Kirchentag auseinandergelebt haben.

Die Stimmung der rund 100 000 erwarteten Besucher*innen schien aber unkaputtbar und der Kirchentag prägte das Bild der ganzen Stadt – sei es durch die Bühnen und Veranstaltungsorte, die mit Anti-Terror-Pollern[3] gesichert wurden, oder durch die vielen Menschen im Kirchentags-Merchandise. Carola Nies und Ruth Maschke sind aus dem Sauerland angereist. Sie berichten während einer Verschnaufpause, was sie immer wieder zu Kirchentagen zieht: das Gemeinschaftsgefühl. Tatsächlich scheint es, als ob man in diesen Tagen in Hannover mehr Rücksicht aufeinander nimmt, in den überfüllten Stadtbahnen drängelt und schiebt niemand. Manchmal wurden sogar Kirchenlieder gesungen, statt sich über die volle Bahn zu ärgern.

Programmhighlights gab es auch wegen der vielen Prominenz eine Menge. Zu Gast waren etwa Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der ebenfalls Noch-SPD-Minister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil oder die Klimaaktivistin Luisa Neubauer. In einer überfüllten Messehalle gab die CDU-Altkanzlerin Angela Merkel eine Bibelstunde, von der es hieß, man erkenne sie leicht als Pfarrerstochter – denn sie könne Kirchenlieder problemlos ohne Liedtext bis zur siebten Strophe mitsingen. Merkel sprach über den Mut zum Widerspruch und kam auf einen Satz zu sprechen, der ihr »oft um die Ohren gehauen« worden sei. Zu diesem ›Wir schaffen das‹ stehe sie auch heute noch.

»Das ›Wir‹ war mein Vertrauen darin, dass es viele Menschen in Deutschland gibt, die in einer solchen Notsituation helfen«, so Merkel. »Und die gab es«, fügte sie hinzu. »Darauf können wir stolz sein – lassen wir uns das nicht nehmen.« Das neue Testament, verrät die Ex-Politikerin, sei ihr häufig eine Ermutigung gewesen, um ihrem Inneren zu vertrauen und ihr Herz in die Hand zu nehmen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188427.amtsantritt-von-donald-trump-bischoefin-mariann-edgar-budde-bitte-um-barmherzigkeit.html
  2. https://www.forum-studie.de/
  3. https://www.haz.de/lokales/hannover/kirchentag-2025-in-hannover-stadt-stellt-anti-terror-poller-auf-5QIFMDDQA5C3NFUPIAC6MH5YFU.html