Gleich mit zwei Produktionen ist das Deutsche Schauspielhaus Hamburg zum Theatertreffen eingeladen, eine dritte, »Die Schattenpräsidentinnen. Oder: Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu halten«, war unter den 38 Nominierungen. Standesgemäß für das Theater des Jahres 2024, könnte man sagen.
Mit »Bernarda Albas Haus« (von Alice Birch nach Federico García Lorca ) und »Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh« (von Georges Perec und Johann Wolfgang von Goethe) sind nun zwei so bemerkenswerte wie unterschiedliche Inszenierungen in Berlin zu Gast.
»Bernarda Albas Haus« ist schon bei Federico García Lorca ein ziemlich unangenehmer Ort. Nach dem Tod des Familienoberhaupts verordnet die Mutter sich und ihren fünf Töchtern ausgedehnte Trauer mit Hausarrest. Das ist viel verlangt von jungen Menschen, weshalb die Mutter auch vor physischer Gewalt nicht zurückschreckt, um sich durchzusetzen. Die Abschottung gegen eine nach innen als feindlich propagierte Welt mit vergewaltigenden Männern draußen lässt sich durchaus auch als Parabel auf den Faschismus lesen.
Katie Mitchell hat das Stück im November 2024 in Hamburg als klaustrophobe Dystopie auf die Bühne gebracht. Eduarda Alba betreibt hier die Fortsetzung patriarchaler Strukturen in einem düsteren Realismus, während präzise choreografierte Zeitlupen Zeitsprünge illustrieren und Dialoge raffiniert geschnitten sind. Das Ensemble performt das mit äußerster Präzision, was auch dem Publikum einiges an Konzentration abverlangt. Vielleicht kommt es aber gar nicht so sehr darauf an, hier immer auf der Höhe des grausigen Geschehens zu sein. Die Wahnhaftigkeit, die sich in der klaustrophobischen Atmosphäre entwickelt, ist plastisch genug; Melanie Wilsons sich in heftige Spitzen steigerndes Klangbild tut dazu das Seine. Intensive 90 Minuten.
Die zweite eingeladene Inszenierung ist nicht minder präzise inszeniert und ebenso lang, ansonsten aber von ganz anderem Zuschnitt: »Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh« hat Georges Perec 1968 für den Saarländischen Rundfunk als Hörspiel konzipiert. Goethes berühmtes Gedicht »Wanderers Nachtlied« wird darin von einem Computer auseinandergenommen, analysiert, assoziiert, neu kombiniert, kurz: seiner gewohnten Autorität beraubt. Die Perec-Spezialistin und als Regisseurin erstmals am Schauspielhaus tätige Anita Vulesica hat Perecs Werk und damit Goethe nun noch in die dramaturgische Mangel genommen.
Sandra Gerling fungiert in einer retrofuturistischen Maschinenkulisse, hinter der sich eine stilisierte Waldlichtung mit Platz für einen expressiven Tanz verbirgt, als »Kontrolle«, Christoph Jöde, Moritz Grove und Daniel Hoevels sind als »Speicher« mit diversen linguistischen Operationen beschäftigt, Camill Jammal besorgt unter anderem Klangeinspielungen. Yorck Dippe tritt gelegentlich erläuternd als Perec selbst auf.
Auch hier frappiert die Präzision, mit der das Ensemble dieses halsbrecherische Sprachexperiment auf die Bühne bringt und dabei viel erzählt über Dichtung an sich, über Sprache (und ihre Wissenschaft), über Goethe und deutsche Sehnsüchte, über vom Aussterben bedrohte Vogelarten und hohe Berge. Dabei ist dieser Abend zugleich hinreißend komisch.
Großes, wagemutiges Theater, mit dem das Deutsche Schauspielhaus beweist, dass es zu den spannendsten deutschen Theatern der Gegenwart gehört.
Vorstellungen von »Bernarda Albas Haus«: 2. und 3.5. (Die Inszenierung ist auch in voller Länge in der 3Sat-Mediathek zu sehen.)
Vorstellungen von »Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh«: 6. und 7.5.
www.berlinerfestspiele.de[1]