Dass die Mieten in Berlin zu hoch sind, ist fast schon ein Allgemeinplatz. Aber sind sie kriminell überhöht? Theoretisch sind nach dem Wirtschaftsstrafgesetz Mieten ordnungswidrig hoch, wenn sie mehr als 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Und zu hohe Mieten können auch eine Straftat sein: Vermieter, die über 50 Prozent mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete verlangen, machen sich strafbar.
Diese Strafbarkeit ist aber rein theoretisch, verfolgt wird sie bislang in Berlin nicht wirklich. Dabei gibt es sehr viele Verdachtsfälle. Die Bundestagsfraktion der Linken hat im November des vergangenen Jahres ihre »Mietwucher-App« gestartet, mit der Mieter*innen überprüfen können, ob sie zu viel Miete zahlen. »Mit unserer App[1] haben wir in Berlin seit Ende November fast 35 000 potenzielle Fälle von Mietwucher allein in Berlin gesammelt«, sagt Niklas Schenker, wohnungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«.
Seitdem nimmt auch das Fallaufkommen bei den für die Bearbeitung von entsprechenden Anzeigen zuständigen Bezirksämtern zu. War es bis November 2024 berlinweit noch eine einstellige Anzahl an Verfahren, werden seither monatlich mehrere hundert Anzeigen gestellt. Allein im Dezember 2024 waren es 441. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage von Schenker hervor.
Insgesamt sind seither 1837 Anzeigen wegen Mietpreisüberhöhung eingegangen. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede: Spitzenreiter sind die Bezirke Mitte (332 Fälle), Friedrichshain-Kreuzberg (293), Neukölln (253) und Pankow (238). In Steglitz-Zehlendorf (41 Fälle), Spandau (45), Marzahn-Hellersdorf (47) und Lichtenberg (48) werden wesentlich weniger Anzeigen gestellt.
Geahndet wurden Verstöße bisher allerdings noch nicht. Die jeweiligen Bezirksämter handhaben Mietwucher-Fälle höchst unterschiedlich. Lediglich in den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow, Charlottenburg-Wilmersdorf und Neukölln wurden überhaupt Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, die entweder noch offen sind, oder bereits eingestellt wurden.
Abgeschlossene Strafverfahren gibt es bislang, zumindest nach Kenntnis der Bezirksämter, nicht. Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichhain-Kreuzberg haben bislang insgesamt 55 Verfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben.
Die unterschiedlichen Vorgehensweisen entstehen nicht zuletzt durch die jeweilige Personalsituation in den Bezirken. In Friedrichshain-Kreuzberg steht eine Vollzeitstelle für die Verfolgung[2] zur Verfügung. Die anderen Bezirke haben kein extra Personal für die Bearbeitung solcher Fälle. Meistens befassen sich die Sachbearbeiter*innen, die für Zweckentfremdungsverfahren zuständig sind, mit den Anzeigen.
Ein großes Problem bei der Verfolgung ist, dass Mieter*innen bei den Verfahren nach dem Stellen einer Anzeige nicht weiter mitwirken. Neben dem großen Aufwand, den eine solche Mitwirkung von den Mieter*innen verlangt, könnte, so der Senat, Angst ein Hinderni[3]s sein: »Es wird unter anderem vermutet, dass viele Betroffene aus Angst vor negativen Konsequenzen im Mietverhältnis und der Scheu vor einer Auseinandersetzung mit dem Vermietenden zögern.«
Beim Senat ist man sich der Problematik bewusst. In der »Arbeitsgruppe Mietpreisüberhöhung« trifft sich die Senatsverwaltung für Wohnen regelmäßig mit Vertreter*innen aus den Bezirksämtern. Auf dem jüngsten Treffen wurde zumindest vereinbart, dass das Vorgehen der Bezirke vereinheitlicht werden soll. Und über die Mietpreisprüfstelle, über die auch schon 28 Verdachtsfälle festgestellt wurden, soll die Bereitschaft zur Mitwirkung von Mieter*innen erhöht werden.
Niklas Schenker mahnt mehr Nachdruck an: »Senat und Bezirke treffen sich zwar regelmäßig, aber Mietwucher wird bislang kaum geahndet. Die Bezirke brauchen Personal und Fachwissen vom Senat.« Die Entlastung für Mieter*innen könnte erheblich sein. Wenn man in allen 35 000 Verdachtsfällen aus der Mietwucher-App die Mieten auf den erlaubten Betrag absenken würde, würden die betroffenen Mieter*innen jährlich 120 Millionen Euro sparen, rechnet Schenker vor. »Die Ahndung von Mietwucher könnte so etwas wie ein Mietendeckel light für Berlin sein.« Dafür brauche es aber ein wesentlich konsequenteres Vorgehen.