»Es ist krass, wie viele Menschen gekommen sind. Es geht allen ganz klar um ihren Kiez«, sagt Carmen Khan im Gespräch mit »nd«. Khan ist Pfarrerin in der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Baumschulenweg. Sie erzählt von einer Kundgebung, die am Sonntag mit 500 Menschen in Treptow-Köpenick auf dem Kirchplatz stattfand: Als Zeichen der Solidarität für ihren Ehemann Monir Khan, der mutmaßlich rassistisch angegriffen wurde.
In der Nacht zum Sonntag, dem 27. April, war Monir Khan auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Als er seine Haustür aufschließt, drängen sich ein paar Personen mit in das Gemeindehaus. »Wohnst du hier?«, sollen sie ihn laut seiner Ehefrau gefragt haben. Monir Khan wird mehrfach ins Gesicht geschlagen. Er erleidet einen Nasenbeinbruch, Prellungen und Platzwunden.
Seine Hilferufe hört niemand. Erst als die Angreifer bemerkten, dass Monir Khan eine Uniform der Deutschen Bahn trägt, lassen sie von ihm ab. Er muss in die Notaufnahme, wenige Tage später zu einer Klinik mit Gesichtschirurgie.
Der brutale Angriff auf den Berliner mit Wurzeln in Bangladesh sorgt für starke Unsicherheit in der Familie Khan, in der Kirchengemeinde und im Kiez. »Rassismus ist für mich die Ausschlussdiagnose. Was soll es sonst gewesen sein?«, sagt Carmen Khan.
Neben der Herkunft ihres Mannes gibt es noch weitere Indizien, die für ein rassistisches und rechtes Motiv sprechen. Die Familie Khan war erst im September nach Trepow-Köpenick gezogen. »Monir meinte zu mir, dass den Leuten sein Gesicht nicht gefalle«, sagt seine Ehefrau Khan. Da er ausschließlich ins Gesicht geschlagen worden ist, sieht Carmen Khan einen Zusammenhang. Außerdem berichtet sie davon, dass sie erst vor Kurzem den Nazi-Code »88« auf der Kirchentreppe übersprüht habe.
»Rassismus ist für mich die Ausschlussdiagnose. Was soll es sonst gewesen sein?«
Carmen Khan
Pfarrerin Kirchengemeinde Baumschulenweg
Auch der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhöft geht von einem rassistischen Motiv aus, wie er »nd« sagt. Dafür spreche, dass die Angreifer erst von Monir Khan abließen, nachdem sie seine Uniform erkannt hatten. Er weist damit auf den Zusammenhang von Sozialchauvinismus und Rassismus hin: So hätten die Angreifer Monir Khan als »nützlichen Ausländer« markiert und nicht als »Sozialschmarotzer«.
Außerdem habe die Polizei an dem Tag schon die Personalien von mehreren Menschen aufgenommen, die Anwohner*innen dem rechten Spektrum zuordnen, sagt Düsterhöft. Er nahm als Sprecher des Bündnisses für Demokratie und Toleranz an der Kundgebung am Sonntag teil.
Auf die Nachfrage an Carmen Khan, ob ihr politisches Engagement auch eine Rolle bei dem Angriff auf ihren Ehemann gespielt haben könnte, meint diese, dass sie nicht glaubt, dass den Tätern bewusst gewesen sei, dass sie die Ehefrau von Monir Khan ist. Die Pfarrerin war bereits in der Berliner Flüchtlingskirche tätig, hat Interviews gegeben zu ihrer Liebe für Multireligiösität und bekennt sich als links. Dieses Jahr habe sie den Ramadan mit ihrem Mann begangen und auch öffentlich ein Iftar gefeiert, ein Fest des Fastenbrechens.
»So etwas erzeugt schon große Irritationen, auch in der Gemeinde«, sagt Carmen Khan, die es in die Hauptstadt zog, weil sie in Württemberg aus der Ausbildung zur Pfarrerin geflogen ist, als sie ihren muslimischen Mann heiratete. Für sie sei wichtig, dass die Gemeinde ein »zweckfreier« Ort ist, an dem sich Menschen ohne Konsumzwang begegnen. »Da muss nicht immer ›christlich‹ drüberstehen«, meint sie.
Damit keine weiteren Angriffe auf Menschen geschehen, weil sie aussehen, wie sie aussehen, müssten die Täter »klar und deutlich spüren, dass sie damit nicht durchkommen«, so Carmen Khan. Den Platz vor der Kirche[1] will die Gemeinde fortan wöchentlich bespielen.
Ist Baumschulenweg nun ein neuer Nazi-Hotspot[2]? Eine Sprecherin der Berliner Register für Treptow-Köpenick sagt »nd«, die Ecke sei bisher nicht durch organisierte Nazi-Strukturen aufgefallen. Stattdessen seien gewisse Kneipen und ein rechtes Fußball-Milieu dort bekannt. Sie verweist jedoch auch auf einen Vorfall von 2023 aus dem angrenzenden Kiez Plänterwald: Dort soll auf die Wohnung einer Frau mit einem schwarzen Kind geschossen worden sein.
Für den Abgeordneten Düsterhöft ist es nun wichtig, den öffentlichen Raum nicht den Nazis zu überlassen. »Ich erwarte, dass der Staatsschutz ermittelt«, sagt er. Laut Angaben des »Tagesspiegel« sei dies noch nicht der Fall. Die Pressestelle der Polizei hat bis Redaktionsschluss keine Angaben dazu gemacht, ob ein politisch motivierter Hintergrund geprüft werde.
Auch Moritz Warnke, Bezirksvorsitzender der Linken, weist auf die Rolle der Ermittlungsbehörden[3] hin: So brauche es eine »schnelle, konsequente und lückenlose Aufklärung – bei der auch die sich aufdrängenden rassistischen Motive der Täter in den Blick genommen und gründlich ermittelt werden«, teilt er mit.
Im Gespräch mit »nd« verweist er darauf, dass im Raum stehe, dass die Polizei den Tatort nicht gründlich durchsucht hätte. So sei sie nicht dem Hinweis gefolgt, in welche Richtung die mutmaßlichen Täter gerannt seien. Außerdem habe sie eine Flasche, die den Tätern zugeordnet wurde, in den Mülleimer geworfen. Hinzu käme, dass ein Nachbar der Khans dem Bezirksverordneten erzählt habe, wie er auf dem Weg nach Hause einer auffälligen und schwarz-gekleideten Gruppe begegnet sei, die sich hinter dem Gemeindehaus aufgehalten habe. Zu dem Zeitpunkt habe der Mann noch nicht gewusst, dass sein Nachbar Monir Khan zusammengeschlagen worden sei.