Schlechte Arbeitsbedingungen und Personalmangel bedingen sich gegenseitig. Das geht aus einer aktuellen Befragung von Berliner Beschäftigten hervor, die im Rahmen einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)[1] durchgeführt wurde. Ein »Teufelskreis«, sagte Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) am Montag bei der Vorstellung des Berichts »Gute Arbeit in Berlin 2024«. Deshalb müssten Arbeitgeber, um Personal zu gewinnen und vor allem zu halten, auch die Arbeitsbedingungen verbessern. »Gute Arbeitsbedingungen lohnen sich für die Betriebe und die Beschäftigten«, so die Senatorin.
Von 1000 befragten Berliner Beschäftigten spüren 47 Prozent einen Personalmangel am eigenen Arbeitsplatz in hohem oder sehr hohem Maße. »Diese Beschäftigten haben eine höhere Bereitschaft, den Arbeitgeber oder sogar den Beruf zu wechseln«, sagt Kiziltepe[2]. In der Befragung gaben 28 Prozent derjenigen, die von einem hohen Personalmangel betroffen sind, an, dass sie über einen Berufswechsel nachdenken. Bei den anderen Beschäftigten gaben dies 16 Prozent an.
Am meisten leiden die Beschäftigten in Gesundheitsberufen[3] unter fehlendem Personal. Hier gaben 69 Prozent der Befragten an, davon in hohem oder sehr hohem Ausmaß betroffen zu sein. Das Baugewerbe mit 62 Prozent sowie Informatik und naturwissenschaftliche Berufe mit 55 Prozent folgen. Auch im Bereich Soziales, Erziehung und Lehre/Forschung sowie im Bereich Verkehr, Logistik, Sicherheit und Reinigung spüren viele Beschäftigte die Folgen unbesetzter Stellen.
Beschäftigte, die die Auswirkungen des Personalmangels bei der eigenen Arbeit spüren, geben an, dass sie deshalb mehr Aufgaben erledigen müssen, auf Pausen verzichten, Überstunden leisten und zum Teil Aufgaben übernehmen müssen, für die sie sich nicht qualifiziert fühlen. Unter jenen Beschäftigten, die ihre Arbeitsbedingungen allgemein als schlecht beurteilen, geben 70 Prozent an, dass sie den Personalmangel in hohem Maße wahrnehmen. Hingegen nehmen 73 Prozent der Beschäftigten mit allgemein guten Arbeitsbedingungen den Personalmangel gar nicht oder in geringem Maß wahr.
Neben zu hoher Arbeitsbelastung und fehlendem Personal treiben die Berliner Beschäftigten Geldsorgen um. 46 Prozent vermuten, dass ihre Rente nicht ausreichen wird; 34 Prozent geben an, sie werde knapp ausreichen – beides habe sich in den vergangenen Jahren kaum geändert, heißt es im Gute-Arbeit-Bericht. Derweil geben 29 Prozent der Befragten an, dass ihr Gehalt nicht oder gerade so ausreiche; 71 Prozent der Beschäftigten können gut oder sehr gut davon leben. Hier wiederum zeigt sich laut Bericht tatsächlich eine positive Entwicklung.
»Wir müssen die Tarifbindung stärken, und der gesetzliche Mindestlohn muss auf 15 Euro erhöht werden.«
Cansel Kiziltepe (SPD) Arbeitssenatorin
Arbeitssenatorin Kiziltepe spricht sich angesichts der Zahlen für tarifliche Löhne aus, denn diese würden auch eine auskömmliche Rente ermöglichen. Auch politisch müsse gegen Niedriglöhne vorgegangen werden. So habe Berlin etwa den Vergabemindestlohn im Mai 2024 auf 13,69 Euro erhöht. Das heißt, dass das Land Aufträge nur an jene Firmen vergibt, die einen solchen Lohn an ihre Beschäftigten zahlen. Der für alle Beschäftigten geltende Mindestlohn von 12,82 Euro wird auf Bundesebene festgesetzt. »Wir müssen die Tarifbindung stärken, und der gesetzliche Mindestlohn muss auf 15 Euro erhöht werden«, sagt Kiziltepe.
Eine stärkere Tarifbindung für Berliner Betriebe fordert auch die Gewerkschafterin Katja Karger, Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg: »Wir haben in Berlin einen grottenschlechten Wert: Nur 43 Prozent der Beschäftigten haben den Schutz eines Tarifvertrags.« Eine Tarifbindung erhöhe zudem die Aussicht auf eine auskömmliche Rente durch betriebliche Altersvorsorge. Das sei auch eine Geschlechterfrage: »Die meisten betrieblichen Rentenansprüche gedeihen den Männern an, weil Frauen viel häufiger in Betrieben arbeiten, die nicht tarifgebunden sind.«
Unterschiede bei den Arbeitsbedingungen zwischen Männern und Frauen zeigen auch die Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung. So geben Männer etwa deutlich öfter als Frauen an, dass sie mit ihrer Arbeit keinen oder nur einen geringen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Auch müssen Männer öfter im Schichtdienst arbeiten. Frauen hingegen fühlen sich in einem deutlich höheren Maße in ihrer Arbeit davon belastet, dass sie respektlos behandelt werden oder mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte erfahren. Außerdem geben Frauen öfter als Männer an, dass sie das Gefühl haben, mehr schaffen zu müssen.