Die Stimmung ist trotzig bei Inter Mailand[1]. »Man weiß nie, was im Fußball geschehen kann. Wir peilen das Finale in der Champions League an«, meinte Mittelfeldspieler Kristjan Asslani. Der Albaner sagte dies mit der Überzeugung eines Siegtorschützen. Sein erfolgreicher Kick vom Elfmeterpunkt brachte einer B-Elf von Inter am Samstag den knappen 1:0-Sieg gegen Hellas Verona. Inter stoppte damit immerhin eine Negativserie in der Serie A mit zuvor zwei Niederlagen und einem Remis in vier Spielen.
Die Chance auf ein Triple haben die Nerazzurri allerdings in den letzten Wochen durch Unkonzentriertheiten und einen physischen Leistungsabfall verspielt. Statt mit drei Punkten vor Verfolger Neapel die Tabelle anzuführen, liegt man in der Serie A inzwischen drei Punkte zurück. Zudem flog man im Stadtduell gegen den AC Mailand recht kläglich im Halbfinale aus dem nationalen Pokalwettbewerb.
Schuld daran waren auch seltsame Aussetzer von Leistungsträgern wie Hakan Çalhanoğlu und Nicolo Barella im Mittelfeld sowie Schienenspieler Federico Dimarco. Hinzu kamen Verletzungen von Denzel Dumfries und Marcus Thuram. Aber auch der zweite Anzug passte nicht. Asslani, der Matchwinner gegen Verona, hatte großen Anteil am Ausscheiden in der Coppa Italia. Der Iraner Mehdi Taremi, im Sommer mit viel Vorschusslorbeeren vom FC Porto geholt, drängte sich nicht als dritter Stürmer neben Thuram und Kapitän Lautaro Martinez auf. Und auch der deutsche Jungnationalspieler Yann Bisseck[2] brachte nicht die Stabilität in der Innenverteidigung, die sich Trainer Inzaghi von ihm versprach.
Selbst der Erfolgscoach geriet wegen der Niederlagenserie in die Kritik, so sehr, dass sich Präsident Giuseppe Marotta gezwungen sah, ihn öffentlich zu verteidigen: »Bei der Bewertung von Inzaghi zählen nicht die Wochen, sondern die Jahre. Wir hatten zuletzt großartige Jahre. Und was wir bisher erreicht haben, ist zu großen Teilen sein Verdienst.« Auch bei einem Ausscheiden gegen Barca und dem zweiten Platz hinter Neapel dürfte der Job des früheren Stürmers von Lazio Rom gesichert sein. Er kann sich im kommenden Jahr dann über Bruder-Trainer-Duelle mit Filippo freuen. Der bekanntere der beiden Inzaghi-Brüder, einst Champions-League-Sieger beim AC Mailand, machte gerade mit Pisa den Aufstieg in die Serie A perfekt.
Aktuell wird der als Trainer erfolgreichere Bruder allerdings eher daran denken, wie er Lamine Yamal an diesem Dienstag fesseln kann. Das soll mit einer doppelten, ja dreifachen Bewachung auf dem Flügel geschehen, spekulierte die Gazzetta dello Sport. Das ließe allerdings den anderen, am Ball ebenfalls nicht ganz ungeschickten Offensivkünstlern von Hansi Flicks Barcelona[3] größere Räume. Inzaghi steht vor der wohl kniffligsten Aufgabe seiner Trainerlaufbahn.
Hinzu kommt: Vollstrecker Lautaro Martinez ist durch eine Muskelverletzung angeschlagen, kam erst Anfang der Woche ins Mannschaftstraining zurück. Seine Nebenleute sind ausgelaugt. Schon jetzt bestritt Inter 54 Partien. Beim Triple-Erfolg 2010 waren es in der gesamten Saison 57. Trotz Ausscheiden aus der Coppa Italia können es in dieser Saison noch 61 Spiele werden, zählt man die drei gesetzten Spiele der Klub-WM noch hinzu. Das entfachte die Debatte über die Inflation des Kalenders auch in Italien neu.
Abseits des Spielfelds gibt es ebenfalls Probleme. Am Wochenende erstach ein Inter-Fan einen Anhänger von Atalanta Bergamo im Streit. Mehrere Inter-Ultras sind zudem in einen Strafprozess verwickelt, in dem es um Erpressung und Verbindungen zur organisierten Kriminalität geht. Weil einige Spieler und Offizielle zu enge Kontakte mit den mutmaßlich kriminellen Elementen der Fankurve hatten, wurden zuletzt auch Coach Inzaghi und Mittelfeldlenker Çalhanoğlu für ein Spiel gesperrt.
Das sind die unschönen Nebenklänge einer sportlich bisher recht erfolgreichen Saison. Beim 3:3 in Barcelona[4] begeisterte Inter sogar die Konkurrenz. Manchester Citys Trainerikone Pep Guardiola erklärte nach dem Hinspiel: »Ich bin überrascht, wie schön das Match war. Wenn du so spielst, werden die Stadien niemals leer werden. Inter hat einmal mehr bewiesen, wie gut organisiert die Truppe ist und wie perfekt sie das Umschaltspiel beherrscht.«
Nach dem Feuerwerk mit sechs Toren sowie einem wegen minimalstem Abseits aberkannten Treffer von Inter darf man sich auf ein Rückspiel der Extraklasse freuen. »Lasst für den Abend des 6. Mai alle anderen Verabredungen sausen«, forderte die »Gazzetta dello Sport« alle Sportliebhaber und auch die Nichtsportliebhaber auf. Sie hatte das Hinspiel zum »wohl schönsten Spiel der Saison überhaupt« erklärt. Im Spiel nach dem schönsten Spiel geht es für Inter jetzt um alles oder nichts. Mehr Spannung ist kaum denkbar. Ob sie zur Explosion oder zur Implosion führt, wird man am späten Dienstagabend wissen.