nd-aktuell.de / 06.05.2025 / Reise / Seite 1

Ausflugsziel Buchhandlung

Ein Buchladen in Neuenhagen hat sich auf Literatur aus der Region spezialisiert. Den Besuch kann man mit einer Wanderung durchs Erpetal kombinieren

Ulrike Wiebrecht
Kopfweiden im Erpetal
Kopfweiden im Erpetal

Kopfweiden, die am Flüsschen Spalier stehen, Wasserbüffel, die dunkle Tupfen in die Feuchtwiesen setzen, dazu blühende Obstbäume und Buschwindröschen, die sich tapfer ihren Weg durch das Laub vom Vorjahr bahnen: Im Frühling gehört das Erpetal zu den reizvollsten berlinnahen Wandergebieten.

Mitten durch das Naturschutzgebiet führt der Europäische Fernwanderweg E11, der auf rund 5000 Kilometern die Niederlande mit Estland verbindet – und dabei auch Brandenburg quert. Die klassische, rund zwölf Kilometer lange Tour startet mehr oder weniger gut ausgeschildert in Friedrichshagen, passiert Kleingärten, ein paar Waldstücke, den Lenné-Park mit dem frisch restaurierten Schloss Dahlwitz und endet unweit der Galopprennbahn an der S-Bahn von Hoppegarten. Aber wer zwei Kilometer weiter läuft in die Gartenstadt Neuenhagen, kann noch eine ganz andere Entdeckung machen.

Auf den ersten Blick wirkt Neuenhagen recht unspektakulär. Mit rund 19 000 Einwohnern am östlichen Stadtrand von Berlin gelegen, ist es einer jener typischen Orte im Speckgürtel, in dem Großstadtmüde Zuflucht in einem Eigenheim mit oder ohne Garten suchen. Touristisch versucht man sich zusammen mit Rüdersdorf und Hoppegarten als Märkische S5-Region an der gleichnamigen S-Bahnlinie zu vermarkten. An der Rudolf-Breitscheid-Straße reihen sich Siedlungshäuser verschiedener Bauart aneinander, hier und da eine Pizzeria, ein Asia-Imbiss und die Eisdiele »Süße Sünde«.

Immerhin ragt aus der Häuserlandschaft ein 42 Meter hoher Turm mit expressionistischer Klinkerfassade heraus: das Werk des Architekten Wilhelm Wagner, eine Kombination von Wasserturm und Rathaus. Innen lockt der Max-Thormann-Saal mit handbemalten Fenstern, im 41. Stockwerk eine Aussichtsterrasse mit tollem Rundblick.

Ein paar Straßen weiter wohnte von 1930 bis 1932 der Schriftsteller Hans Fallada in einem hübschen Reihenhaus am heutigen Falladaring 10. Eine Gedenktafel an der terrakottafarbenen Fassade weist darauf hin, dass er hier seinen Roman »Kleiner Mann, was nun?« verfasste. Dieses und viele andere Publikationen kann man ein paar Straßen weiter bei »Brandenburg-Buch« erwerben und gleichzeitig einen tiefen Einblick in die Region bekommen.

»Entwicklung der Cottbusser Tuchindustrie«, »Geschichte der Prignitzer Landwirtschaft« – bei solchen Buchtiteln bekommen die meisten Menschen das große Gähnen. Ebenso wie bei »Militärgeschichtlichen Blättern« über Zossen oder Publikationen über das Bahnbetriebswerk Salzwedel.

Doch es gibt auch Leute, die genau so etwas lesen wollen. Und wenn sie irgendwo fündig werden, dann in dem kleinen Buchladen in Neuenhagen, wo ein riesiges Sortiment an Brandenburg-Literatur die Regale füllt. Um die 2000 Bücher, Broschüren, Landkarten und historische Stadtpläne aus der oder über die Hauptstadtregion hält das Geschäft parat – vom preußischen Kochbuch über Lausitz-Krimis, das Kursbuch Oder-Spree, Reiseführer zum Gurkenradweg, Literatur der Sorben bis zu Romanen von Juli Zeh.

Was verschlägt eine solche Exoten-Buchhandlung ausgerechnet in die Speyerstraße von Neuenhagen? »Wir hatten hier auf einem Gartengrundstück, das meinem Schwiegervater gehörte, ein Wohnhaus mit einem Laden gebaut«, erklärt Mischa Klemm. »Meine Frau ist gelernte Buchhändlerin und wollte gern in ihrem Beruf arbeiten.« Als das Haus allerdings 1998 fertig wurde, hatte bereits ein anderer Buchladen in Neuenhagen eröffnet. Und für zwei schien kein Platz zu sein. Deshalb beschlossen die Klemms, sich einerseits auf den Handel im Internet zu spezialisieren, der damals noch in den Kinderschuhen steckte, andererseits auf Brandenburg. Das Thema war ihnen – sie stammt aus Neuenhagen, er aus Strausberg – sozusagen in die Wiege gelegt. »Außerdem herrschte damals eine gewisse Aufbruchstimmung«, erinnert sich der Buchhändler. »Viele wollten nach der Wende das Umland entdecken. Brandenburg wurde touristisch zunehmend interessant.«

Während das Geschäft erst mal schleppend anlief, betrieben die Klemms einen »normalen«, gut laufenden Buchladen in Friedrichshain, bis 2024 der Pachtvertrag auslief. Seitdem sind beide nur noch in Neuenhagen in Sachen Brandenburg tätig.

Wenn man die Öffnungszeiten sieht – Mittwoch und Freitag von 15 bis 18 Uhr –, könnte man auf die Idee kommen, dass sie sich bereits im Vorruhestand befinden. Doch weit gefehlt. Das Hauptstandbein von »Brandenburg-Buch« ist schließlich der Online-Handel. »Es gibt zwar Leute, die hierherkommen, weil sie etwas ganz Spezielles suchen, eine Orts-Chronik, einen schönen Kalender oder dergleichen«, sagt Mischa Klemm. »Manche wollen sich auch vor Ort inspirieren oder Tipps für die passende Urlaubslektüre im Spreewald geben lassen. Doch die meisten Stammkunden bestellen ihre Bücher im Internet.«

Buchhändler mit Faible für das Besondere: Mischa Klemm von »Brandenburg-Buch«
Buchhändler mit Faible für das Besondere: Mischa Klemm von »Brandenburg-Buch«

Warum dann nicht bei den sonstigen Buchhandlungen? Offensichtlich tauchen viele Titel in den üblichen Buchsuchmaschinen gar nicht auf oder sind in den Buchhandlungen nicht präsent. Zum Beispiel die Werke von Indie- oder Kleinstverlagen wie dem Regia-Verlag in Cottbus, der sich mit Dialekten, Sagen oder Persönlichkeiten wie Fürst Pückler beschäftigt. Andreas Peter, der Nachtwächter in Guben ist, gibt wiederum nebenbei Publikationen wie das »Eberswalder Handwerksbuch« heraus, die im Buchhandel nicht so leicht zu bekommen sind.

Natürlich ist mit denen kein großes Geschäft zu machen. Besser verkäuflich sind Brandenburg-Krimis wie »Spreewaldrache« von Christiane Dieckerhoff oder Romane von Schriftstellern wie Saša Stanišić, Franziska Fischer oder Jenny Erpenbeck, die Brandenburg zum Schauplatz haben. Mischa Klemm hat beobachtet, dass es viele Autoren zumindest zeitweise aus der Großstadt ins Umland gezogen hat, aus dem sie dann oft auch den Stoff für ihre Werke schöpfen.

Welche Bedeutung hat Brandenburg ansonsten heute für die Menschen? »Für mich persönlich, der ich quasi im Sommer auf einem Dauercampingplatz bei Grünheide aufgewachsen bin, ist die Region nach wie vor der Ruhepol zur Metropole. Ich verbinde damit viel Natur und stille Nachmittage, an denen man durchatmen kann. Doch im Allgemeinen ist das Image des Bundeslands nicht besonders gut«, räumt der Neuenhagener ein.

Da mag er leider recht haben. Die Antwort auf die Frage, warum das so ist, lässt sich vielleicht in der entsprechenden Lektüre finden. Was auch immer die Gründe sind – die Wanderung durchs Erpetal mit einem Abstecher nach Neuenhagen ist in jedem Fall zu empfehlen. Als Souvenir bietet sich zum Beispiel ein Brandenburg-Buch an.