nd-aktuell.de / 06.05.2025 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Scharfe Kritik an EU-Coronafonds

Europäischer Rechnungshof sieht erhebliche Lücken bei Kontrollen und Transparenz

Felix Sassmannshausen
Die Trauben des EU-Corona-Fonds hingen weder zu hoch noch waren sie sauer, wie die Kritik des Rechnungshofes zeigt. Auch Landwirte nahmen die Mittel teils über die Maßen in Anspruch.
Die Trauben des EU-Corona-Fonds hingen weder zu hoch noch waren sie sauer, wie die Kritik des Rechnungshofes zeigt. Auch Landwirte nahmen die Mittel teils über die Maßen in Anspruch.

Ivana Maletić vom Europäischen Rechnungshof bemühte sich am Dienstag bei der Vorstellung des Berichts zur Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) der EU um Differenzierung: »Die ARF spielte eine wichtige Rolle bei der Erholung nach der Pandemie«, sagte die ehemalige konservative EU-Abgeordnete.

In ihrem Bericht analysiert die europäische Aufsichtsbehörde die kreditfinanzierten Förderungen der EU zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sowie zur digitalen und ökologischen Transformation. Die Fazilität umfasst 650 Milliarden Euro, wovon knapp 275 Milliarden Euro bereits ausgezahlt wurden.

Die EU-Staatsanwaltschaft ermittelt in 307 Fällen mit Bezug zu dem Fonds, es geht um 2,8 Milliarden Euro.

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In Deutschland finanzierte man mit etwa 30 Milliarden Euro Projekte zur Digitalisierung der Bildung und zum Ausbau des Wasserstoffnetzes. Auch die Pharma- und die Automobilindustrie profitierten erheblich. BMW, Mercedes und Stellantis erhielten jeweils zweistellige Millionensummen für die Umstellung auf Elektromobilität.[1]

Das Instrument war entscheidend, als die fiskalische Kapazität der Mitgliedstaaten erschöpft war, erklärte Jorg Petrovič vom Rechnungshof. »Die EU war die einzige Instanz, die die nötigen Mittel aufbringen konnte«, so der Ökonom. Die Union verdoppelte damit ihre Finanzkraft in kürzester Zeit. Von den Mitgliedstaaten war im Unterschied zu anderen EU-Programmen keine Kofinanzierung erforderlich.

Hinter den diplomatischen Worten verbirgt sich jedoch scharfe Kritik. Die Prüferinnen und Prüfer bemängeln gravierende Schwachstellen der ARF, etwa bei Rechenschaftspflichten und Transparenz der Mittelvergabe. Informationen über tatsächliche Kosten und erreichte Ziele der geförderten Projekte fehlen, heißt es im Bericht.

Das größte Problem: Die Mittelvergabe an private Unternehmen war nicht an Leistungskriterien gebunden, obwohl die EU-Kommission das Instrument so anpries. Der Erfolg der Projekte und ihre ökonomischen Auswirkungen bleiben unüberprüft.

Bei Förderungen im Rahmen der ökologischen Transformation ist etwa unklar, ob sie den CO2-Ausstoß tatsächlich reduzieren. Der Bericht nennt die Gebäudesanierung als Beispiel[2]: Nur der Energieverbrauch am Ende wird berücksichtigt, nicht der Ausstoß während der Sanierung selbst. Und man könne nicht ausschließen, dass einige Projekte, für die Gelder ausgezahlt wurden, nie realisiert werden, sagte Petrovič. 42 Prozent der Mittel sind ausgezahlt, aber nur 28 Prozent der Etappenziele bislang erreicht. Die Mitgliedstaaten haben bis August 2026 Zeit, um die Projekte abzuschließen.

»Oft ist auch unklar, wer die Gelder erhielt«, kritisiert Maletić. In Förderberichten nennen einige Staaten nur Verwaltungen oder Ministerien, nicht die Endempfänger. Das liege an unpräzisen Vorgaben der EU-Kommission, sagt Petrovič. Die Länder interpretieren diese unterschiedlich. Das erschwert die Aufdeckung von Betrug und Korruption. Die EU-Staatsanwaltschaft ermittelt in 307 Fällen mit Bezug zur ARF, es geht um 2,8 Milliarden Euro. Der Graubereich ist groß, etwa wenn Unternehmen Gelder doppelt abrechnen.

Einen Mechanismus zur Rückforderung von Finanzmitteln gibt es indes nicht. Der Bericht nennt ein Beispiel aus Frankreich: Ein Digitalisierungsprojekt kostete 368 Millionen Euro, ein Viertel weniger als veranschlagt, doch die gesamte Summe wurde ausgezahlt.

Trotz der Kritik solle man die ARF nicht rundherum ablehnen, betont Maletić. Mit Blick auf die Corona-Pandemie, die nachfolgenden ökonomischen Herausforderungen und Krisen sei das Instrument sehr wirkungsvoll gewesen. »Es geht nicht darum, ob wir es gut finden oder nicht. Wichtig war, das Design des Instruments zu analysieren«, sagte sie vor dem Hintergrund ihrer Befunde. Auch der Rechnungshof weist darauf hin, dass viele Projekte durchaus im Sinne der ARF umgesetzt wurden.

Mit Blick auf den nächsten EU-Haushaltsrahmen gebe es viel Spielraum für Verbesserungen. Das betrifft auch das Finanzierungsmodell. Die ARF-Mittel stammen fast vollständig aus Krediten, die bei niedrigen Zinsen aufgenommen wurden. Die Finanzierungskosten könnten sich bis 2026 durch Zinserhöhungen mehr als verdoppeln, warnen die Analyst*innen.

Bei künftigen Modellen müsse die EU Zinsrisiken eindämmen und einen Kredittilgungsplan aufstellen. Klare Transparenzvorgaben für tatsächliche Kosten und Leistungen sind nötig. »Es braucht klare Regeln, sonst sollten solche Instrumente nicht genutzt werden«, sagte Petrovič. Die Kommission stellt ihre Budgetpläne für 2028 bis 2034 im Juli vor.

Klimaverbände wie das Climate Action Netzwerk fordern in dem Rahmen zusätzliche Mittel für die ökologische Transformation und feste Kriterien, um Klimaziele zu erreichen. Gewerkschaften wollen Sozialklauseln einführen und die Vergabe öffentlicher Gelder an Tarifstandards binden.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180571.automobilbranche-tesla-von-gruenheide-ueber-wall-street-bis-peking.html?sstr=Elektromobilität
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184161.gebaeudesanierung-ideen-fuer-eine-gerechte-klimafoerderung.html?sstr=Gebäudesanierung