»Dieser Tag ist der glücklichste Tag in meinem jungen Leben.« Mit diesen Worten erinnerte sich der ukrainische Zwangsarbeiter[1] Vasyl Kudrenko an den Tag seiner Befreiung Ende April 1945 in Berlin. Zu lesen ist das Zitat in der Ausstellung »Vergessene Befreiung. Zwangsarbeiter:innen in Berlin 1945« im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit im Berliner Ortsteil Schöneweide, erstellt anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsendes. Zur feierlichen Eröffnung in der vergangenen Woche erschienen neben dem damaligen Kultursenator Joe Chialo (CDU) auch zahlreiche Kinder und Enkelkinder ehemaliger Zwangsarbeiter*innen.
Der eigentliche Stargast des Eröffnungsabends war Bogdan Bartnikowski: Der mittlerweile 93-jährige Pole wurde während des Warschauer Aufstands zusammen mit seiner Mutter zunächst ins KZ Auschwitz[2], im Januar 1945 dann nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt. Der damals 13-Jährige musste Trümmer räumen und Ziegel reinigen. Neben der harten Arbeit gab es »Hungerrationen« und die ständige Angst vor Luftangriffen. »Ich war so erschöpft«, erzählt der 93-Jährige in einer bewegenden Rede. »Die Berliner Zeit war für mich sehr schwierig. Die einzige Änderung im Vergleich zu Auschwitz war, dass ich mit meiner Mutter sein konnte.«
Anfang 1945 befanden sich rund 370 000 ausländische Zivilarbeiter*innen[3], Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in der Reichshauptstadt Berlin. Ihr Alltag war von Hunger, Luftangriffen, Ausbeutung und Gewalt geprägt. Die Eroberung Berlins vor 80 Jahren durch die Rote Armee war für die Zwangsarbeiter*innen eine Befreiung. 14 ihrer Biografien stehen im Zentrum der Sonderausstellung.
»In der DDR galt der 8. Mai als Tag der Befreiung, in Westdeutschland lange als Niederlage, Zusammenbruch oder Stunde null«, sagt Gedenkstättenleiterin Christine Glauning in ihrer Eröffnungsrede. Erst in den 80er Jahren habe sich der 8. Mai allmählich als Tag der Befreiung für alle Deutschen durchgesetzt. Zwar könne der Begriff der Befreiung kritisch gesehen werden, weil er die Täter- und Mittäterschaft vieler Deutscher verschleiere. »Aber für die Verfolgten und Verschleppten war es eine Befreiung von Zwangsarbeit, Angst, Terror.«
Die Ausstellung beleuchtet mit zahlreichen Dokumenten, Fotos und Biografien die wenig erforschte Geschichte der Befreiung der Zwangsarbeiter*innen. Der Fokus liegt dabei auf neu recherchierten Biografien von Betroffenen und umfasst das gesamte Jahr 1945 – »die letzte chaotische Phase im zerstörten Berlin, die Radikalisierung, die Kriegsendverbrechen, die Angst der Zwangsarbeiter*innen vor Gewalt in letzter Minute, aber auch die Hoffnung auf die Befreiung, die Befreiung selbst und die Begegnung mit den sowjetischen Befreiern«, erläutert Glauning. Und schließlich »das Warten auf die Rückkehr, die vielfältigen Wege zurück in die Heimat – freiwillig oder erzwungen – oder auch in die Emigration sowie das Bleiben einiger weniger«.
Während des Krieges waren Zwangsarbeiter*innen allgegenwärtig, nach ihrer Befreiung kehrten die meisten so schnell wie möglich in ihre Heimatländer zurück. So schnell, wie sie nach dem Krieg wieder verschwanden, wurden auch ihre Geschichten vergessen. Das soll sich mit dieser Ausstellung in einer Baracke des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in Schöneweide[4] ändern. Sie ist thematisch auf drei Räume verteilt: letzte Kriegsphase, Befreiung und Nachkriegszeit. Dass der erste Raum düsterer gehalten ist und man dann durch ein blaues Portal in den Raum »Befreiung« betritt, fällt kaum auf – zu umfassend sind die zahlreichen Ausstellungstafeln mit Fotos und ergreifenden Berichten der Zwangsarbeiter*innen.
Bogdan Bartnikowski und seine Mutter konnten 1945 aus dem umkämpften Berlin fliehen, nachdem die Rote Armee am 22. April das Außenlager des KZ Sachsenhausen in Blankenburg erreicht hatte. »Für uns war wichtig, dass wir frei waren«, sagt Bartnikowski.
Stimmen wie die des 93-Jährigen werden 80 Jahre nach Kriegsende immer wichtiger, denn die Wahrnehmung, dass die Deutschen vor allem Opfer waren, habe die Erinnerungskultur Jahrzehnte später geprägt, sagt Sarah von Holt, Kuratorin der Ausstellung im Dokumentationszentrum. »Aktuell erleben wir ein Wiedererstarken der politischen Rechten und auch ein Wiederaufleben genau solcher Narrative.« Deswegen sei es wichtig, »die Perspektiven und Erfahrungen der Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, für die das Jahr 1945 tatsächlich eine Befreiung von Leid und Ausbeutung war«.
Die Ausstellung »Vergessene Befreiung. Zwangsarbeiter:innen in Berlin 1945« ist bis zum 2. November im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit zu besichtigen: Britzer Straße 5, 12439 Berlin, geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei.