Jeden Morgen um die gleiche Zeit bildet sich eine längere Schlange vor den Eingängen von Robinsons Place. Wenn um Punkt zehn Uhr die Türen ins Innere des Einkaufstempels öffnen, strömen die Menschen an den die Taschen prüfenden Sicherheitsleuten vorbei in den mehrgeschossigen Einkaufstempel.
Robinsons Place, eine der riesigen Malls, wirkt wie ein gigantisches Ufo, gelandet inmitten von Ermita. Verschiedene Hochschulen sind in den umliegenden Gebäuden beheimatet, ein großes Krankenhaus befindet sich einen Häuserblock entfernt. Während es in anderen Bezirken Manilas weitaus modernere Shoppingcenter gibt, scheint Robinsons Place trotz der Glitzerwelt im Inneren ein wenig in die Jahre gekommen. Das gilt auch für die unmittelbare Nachbarschaft.
Ermita und Malate sind kulturell und sozial vielfältige Innenstadtteile und so etwas wie das eigentliche Zentrum Manilas. Hier befinden sich jede Menge kleiner Läden und Restaurants in den Erdgeschossen der meist zwei- bis fünfstöckigen Häuser, von denen die ältesten noch aus dem Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert stammen mögen. Teilweise sind sie mit altehrwürdigen Stuckelementen verziert. Daneben stehen teils gesichtslose Betonklötze aus den 1960er und 1970er Jahren oder mancher Bau aus modernerer Zeit, darunter eine Reihe preiswerter Mittelklasse-Hotels.
Der Luxus-Bauboom hält an – trotz einer Leerstandsquote von 29,3 Prozent.
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Manch neuverputzte Fassade fällt in diesem bunten Mix auf, während an anderen Gebäuden sichtbar der Zahn der Zeit nagt und scheinbar schon für geringe Schönheitsreparaturen das Geld fehlt. In einem Obergeschoss reihen sich die Firmenschilder verschiedener, eher weniger seriös wirkender Vermittlungsagenturen aneinander, die den künftigen Pows (Philippine Overseas Workers) eine lukrative Anstellung in Saudi-Arabien, Kuwait oder Dubai versprechen. Und im Nachbargebäude liegen jede Menge spartanische Wohnungen, die noch mit einem kleinen Angestelltengehalt bezahlbar sind. Es ist ein Viertel im beständigen Wandel. Inzwischen stehen dort auch einige noble Herbergen, wenn man in Richtung des Roxas Boulevard geht. An dieser achtspurigen Hauptstraße am Ufer der Bucht von Manila gibt es abends manch grandiosen Sonnenuntergang zu bewundern, sofern man die Muße dafür hat.
Doch die traditionelle Vielfalt ist in Gefahr und ein rapider Verdrängungswettbewerb im Gange. Immobilienspekulanten machen sich breit. Wie noch nie in den vergangenen Jahren wird so viel gebaut wie in jüngster Zeit. Ein neuer Wolkenkratzer reckt sich in Sichtweite des nächsten in die Höhe, riesige Baukräne drehen sich noch hier und da, während eine Querstraße weiter längst die ersten Mieter einziehen – die sich von der traditionellen Bewohnerschaft der Umgebung dadurch unterscheiden, dass sie das nötige Geld dafür mitbringen. Die Apartments in den modernen Wohntürmen, teilweise nur ein Zimmer mit Bad und Küche auf 30 bis 40 Quadratmeter, kosten jeweils ein kleines Vermögen.
Manila ist eine der weltweiten Metropolen mit dem am stärksten wachsenden Segment im Bereich Luxuswohnungen, liest man seit ein bis zwei Jahren auf einschlägigen Portalen und in den herkömmlichen Medien. Die Stadt erlebt einen fragwürdigen Boom, der mittlerweile so weit geht, dass gar nicht mehr so viel betuchte Kundschaft vorhanden ist, um das stetig wachsende Angebot nach der Fertigstellung auch zeitnah rentabel unter die Leute zu bringen. Noch scheint weiter genug Investorengeld vorhanden, um auf zusätzlichen Baustellen Etage um Etage in die Höhe wachsen zu lassen. Doch dass die Immobilienblase irgendwann platzt, scheint absehbar – die Frage ist, wie großflächig bis dahin Ermita und andere vorrangig betroffene Stadtteile ihr angestammtes Gesicht verändert haben.
In einem Außensegment von Robinsons Place, wo sich bis vor Kurzem ein beliebtes orientalisches Restaurant befand, sind die Türen momentan verrammelt. Dort wird aber lediglich für neue Mieter renoviert und umgestaltet. In der Häuserzeile schräg gegenüber klaffen hingegen einige Lücken. Dort ist schon hier und da ein Abbruch erfolgt und die Grundstücksbesitzer warten nur noch auf das nächsthöhere Angebot der Immobilienmafia, damit alsbald ein Hochhaus mit 30, 40 oder 60 Stockwerken die jetzige Leerstelle einnimmt.
Wem gehört eigentlich die Stadt? Diese Frage stellt sich nicht nur im größten Slum Tondo immer wieder neu, sondern auch in Ermita. Der Luxus-Bauboom[1] hält an, obwohl bei den neuen Wohnungen laut jüngsten Statistiken inzwischen eine Leerstandsquote von 29,3 Prozent herrscht und der Markt im Schnitt über acht Jahre braucht, um diese »zu absorbieren«, wie das im Fachjargon der Branche genannt wird. Joey Bondoc, Forschungsdirektor des Instituts Colliers, sagte unlängst bei einer Pressekonferenz, von welcher der »Philippine Insider« und andere Medien berichteten, dass die Projektentwickler bereits auf 74 000 fertigen Luxuseinheiten säßen, die sie noch nicht verkaufen konnten – mit einem Gesamtwert von 158 Milliarden Pesos (rund 2,65 Milliarden Euro).
Mit einem Preis-Plus von stolzen 26,3 Prozent schob sich Manila 2023 sogar an die Spitze des Prime International Residential Index 100 (PIRI 100), der Jahresstatistik des global agierenden Immobilienkonzerns Knight Frank. Im vergangenen Jahr blieb am Ende zwar nur noch Platz zwei hinter dem neuen Spitzenreiter Seoul. Dennoch können sich immer mehr Einwohner Manilas, die längst nicht zu den ganz Armen gehören, ihr angestammtes Wohnviertel kaum noch leisten.
Als 2012 der Birch-Tower mit 52 Etagen in einer Seitenstraße gleich 50 Meter neben Robinsons Place bezugsfertig wurde, war er in der Gegend noch eine ziemliche Ausnahmeerscheinung. Inzwischen ist seine Fassade schon etwas verblasst und die Konkurrenz ähnlicher Prunkhochhäuser, alle noch etwas nobler und teurer, beträchtlich. Die brandneuen »Hollywood Suites« locken ganz frisch an der Kreuzung von Adriatico Street und Santa Monica Street. Der Prospekt, der zu Füßen des Neubaus verteilt wird, wirbt mit »360-Grad-Sicht auf Manila Bay und Makati«, was vor allem für die größeren Einheiten bis zum Penthouse gelten mag. Ein kleines »Studio« von etwa 25 Quadratmetern ist im Promo-Angebot ab 29 000 Pesos zu haben, umgerechnet also knapp 500 Euro Monatsmiete. So etwas ist für die angestammten Bewohnern Ermitas und Malates unbezahlbar. Ob dieser Projektentwickler noch ausreichend solvente Kunden findet, um seine Investition wieder hereinzuholen, muss sich auch erst zeigen.