nd-aktuell.de / 08.05.2025 / Politik / Seite 1

Die Linke und der zweifache Frieden

Auf dem Parteitag in Chemnitz muss Die Linke dafür sorgen, dass der Wahlerfolg nicht nur ein Ausrutscher nach oben war

Wolfgang Hübner
Ist Die Linke startklar? Neue Wählerstimmen und Mitglieder beantworten noch nicht die Frage, was eine Friedenspartei heute ausmacht.
Ist Die Linke startklar? Neue Wählerstimmen und Mitglieder beantworten noch nicht die Frage, was eine Friedenspartei heute ausmacht.

Die Linke hat an diesem Wochenende in Chemnitz einen Arbeitsparteitag vor sich. Die Bundestagswahl war über alle Erwartungen hinaus gut gelaufen, die Mitgliederzahl hat sich in kurzer Zeit auf über 110 000 mehr als verdoppelt – nun steht die Partei unter Erwartungsdruck, zumal nach dem Amtsantritt der schwarz-roten Regierung[1], und muss sich neu organisieren. Da sind zwei halbe Beratungstage (von Freitagmittag bis Sonnabendnachmittag) ziemlich wenig Zeit. Aber große Säle wie die auf dem Chemnitzer Messegelände müssen langfristig gebucht werden, und als Die Linke das seinerzeit getan hat, ging man noch von der Bundestagswahl im September aus: Wahlprogramm beschließen, Spitzenkandidaten feiern, fertig.

Das ist bekanntlich alles Geschichte, die Ampel ist weg, Friedrich Merz ist Kanzler[2] und Die Linke unerwartet stark im Rennen. Auch deshalb, weil sie nach dem Abgang des Wagenknecht-Flügels den zermürbenden Streit hinter sich gelassen hat. Natürlich gibt es weiterhin Diskussionen, aber Die Linke hat ihren inneren Frieden wiedergefunden. Bei der Sache mit dem Weltfrieden ist das schon schwieriger – und das lässt letztlich auch den inneren Frieden nicht unberührt.

Denn hinter dem Bekenntnis, eine konsequente Friedenspartei zu sein, gruppieren sich verschiedene Ansichten. Die versuchte man bislang in den Hintergrund zu schieben; in der Strategie zur Europawahl 2024 gab es sogar die ausdrückliche Empfehlung, über Krieg, Frieden und die russische Aggression in der Ukraine nicht aktiv zu sprechen. Und auch vor der Bundestagswahl konzentrierte sich die Partei lieber auf soziale Themen wie Mieten, Löhne und Lebensmittelpreise.

Mit Erfolg, wie man sieht, aber unterhalb des in Chemnitz sicherlich noch einmal anschwellenden Jubels kann man es grummeln hören. Zahlreiche Anträge an den Parteitag wollen die Rolle und Aufgabe der Linken als Friedenspartei bekräftigen. Im Leitantrag heißt es, die Partei trete »bedingungslos für das Völkerrecht und den Schutz derjenigen ein, die unter den Kriegen dieser Welt leiden«. Man wolle stärker mit Vorschlägen für diplomatische und andere nichtmilitärische Lösungswege durchdringen und »die Positionen, die uns vereinen, in den Mittelpunkt stellen«.

Die Linke hat ihren inneren Frieden wiedergefunden. Schwieriger ist das beim Weltfrieden. Beides hat miteinander zu tun.

Das liest sich so, als sei es vom diplomatischen Dienst im Karl-Liebknecht-Haus formuliert. Die dem Thema innewohnenden Triggerpunkte werden aber in Chemnitz zur Sprache kommen. Das wird allein schon deshalb passieren müssen, weil die Zustimmung der Landesregierungen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern – beide mit Linke-Beteiligung – im Bundesrat [3]zu dem Monsterpaket aus Lockerung der Schuldenbremse, riesigen Rüstungsausgaben und Investitionen in die Infrastruktur weiter für Verstimmung in der Partei sorgt. Denn die Beschlusslage zu Rüstungsausgaben ist eine andere, und im Bundestag hatte die damalige Linke-Gruppe dagegen gestimmt. Auch in den beiden betreffenden Landesverbänden der Linken hatte man keine Zustimmung empfohlen beziehungsweise diese im Nachhinein mehr oder weniger deutlich kritisiert.

Deshalb fordern die Linksjugend Solid und der Studierendenverband Die Linke.SDS in einem Antrag an den Parteitag den Rücktritt der linken Minister und Senatoren in Schwerin und Bremen, die »offenkundig entgegen den Interessen der Partei gehandelt« hätten. Der Parteivorstand wird dafür kritisiert, dass er die Zustimmung im Bundesrat nicht ausreichend verurteilt habe. Die Berliner Linksjugend hat sogar den Parteiaustritt der Minister und Senatoren gefordert.

In dieser zugespitzten Frage kulminiert ein Dissens, der in Chemnitz angefasst werden und danach weiter behandelt werden muss. Denn namhafte Politiker der Linken plädieren im Rahmen des ukrainischen Rechts auf Selbstverteidigung für Waffenlieferungen oder lehnen sie zumindest nicht ab, während die Beschlusslage der Partei klar gegen Waffenlieferungen steht. Es gibt Leute wie Parteichef Jan van Aken, die meinen, ein Frieden in der Ukraine dürfe kein Diktatfrieden zu Putins auch territorialen Bedingungen sein. Und es gibt Leute wie den Philosophen Michael Brie, der erklärt, man dürfe nicht der Rückkehr zum Status quo vor dem Krieg das Wort reden, wenn dieser zu Ende gehen soll.

Die Linke, die sich in den letzten Monaten verdoppelt hat, wird auf dem Parteitag noch von den Abgesandten der »älteren Hälfte« vertreten.

Manche setzen sich in Abgrenzung zur Trump-Administration und zur Nato für den Ausbau von EU-Streitkräften ein, andere lehnen das strikt ab. Jan Schlemermeyer vom Vorstand des Instituts Solidarische Moderne schrieb neulich in einem Gastbeitrag für »nd«, Die Linke solle den Aufrüstungshype nicht mitmachen, aber die Bedrohung der Demokratie durch Autokraten wie Trump und Putin anerkennen »und sich einer gemeinsamen EU-Außen- und Verteidigungspolitik nicht mehr versperren«. Kritiker wenden ein, dass die EU sich zunehmend militarisiert und Die Linke dabei nicht mitmachen dürfe.

Das sind Fragen, die auch deshalb diskutiert und beantwortet werden müssen, weil sich die Partei drastisch verändert hat. Nicht nur Wähler, auch Mitglieder sind in großer Zahl hinzugekommen. Darunter sind sehr viele vor allem junge Leute, die bisher nur wenig oder gar nicht explizit politisch aktiv waren. Die Delegierten dieses Chemnitzer Parteitags wurden im Spätsommer 2024 gewählt, das heißt: Die Linke, die sich in den letzten Monaten verdoppelt hat, wird auf dem Parteitag noch von den Abgesandten der »älteren Hälfte« vertreten. Auch das wird sich ändern, und damit können sich Perspektiven und thematische Zugänge verschieben.

Den inneren Frieden hat Die Linke zwar vorerst wieder, zur Ruhe kommt sie deshalb noch lange nicht. Ruhe soll ja angeblich mal die erste Bürgerpflicht gewesen sein; für eine Partei in Bewegung, zumal eine linke, ist sie kein akzeptabler Zustand. Und die äußeren Umstände geben das auf absehbare Zeit auch nicht her.

Man muss nicht so weit gehen wie manche Beobachter, die schon wieder eine linke Spaltung wittern. Aber die Debatte enthält Sprengstoff. Genau das ist der Grund dafür, dass sie von der Parteispitze mit sehr viel Vorsicht angefasst wird. Der Entschärfungsdienst wird in Chemnitz und auch danach viel zu tun haben.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190670.bundestag-bodo-ramelow-entsetzt-was-der-koalitionsvertrag-nicht-enthaelt.html?sstr=Hübner
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191049.kanzlerwahl-das-kalte-herz-des-buergertums.html?sstr=Hübner
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189960.ruestungs-und-infrastrukturpaket-mega-aufruestung-die-linke-hat-ein-dickes-problem.html?sstr=Hübner