Es ist ja nicht so, dass die flirrenden Halbfinals in den Europapokalwettbewerben gänzlich ohne deutsche Beteiligung über die Bühne gingen. Felix Zwayer blies beide Backen kräftig auf, als der Unparteiische aus Berlin das Champions-League-Halbfinale zwischen Paris St.-Germain und FC Arsenal (2:1) abpfiff. Auch wenn ein detektivisch mit VAR-Hilfe ermittelter Handelfmeter durchaus strittig war, so stand unter dem Strich eine ordentliche Vorstellung im Prinzenpark von Paris. »Gute, weil großzügige Linie, klare Körpersprache«, urteilte das Fachmagazin »Kicker«.
Noch glücklicher wirkte zuvor in Mailand der deutsche Nationalspieler Yann-Aurel Bisseck. Auch wenn er am Ende ausgewechselt auf der Bank sah, wie die Kollegen von Inter Mailand eine historische Auferstehung gegen den FC Barcelona (4:3 n. V.) bewerkstelligten: Der gebürtige Kölner war mittendrin statt nur dabei. Oder wie der 24-Jährige sagte: »Jeder war mit 110 Prozent dabei.« Der intelligente Verteidiger wird der einzige Deutsche in allen drei Europapokal-Finals sein.
Wie weit die Bundesliga abgehängt ist, hat der epische Schlagabtausch aus dem San Siro offenbart, der wegen seiner unglaublichen Mischung aus Wucht, Finesse und Dramatik in die Geschichte eingeht. Wegen unfassbarer Torhüterparaden eines Yann Sommer, dem beim FC Bayern wenig Vertrauen geschenkt wurde, weshalb der tadellose Tormann aus der Schweiz 2023 in die Serie A weiterzog. Wegen elektrisierender Einzelkönner wie Lamine Yamal, dessen Fantasien für keinen irdischen Gegenspieler einzufangen sind.
Wenn es noch eines Beleges bedurfte, warum Bayern München und Borussia Dortmund an der Schwelle zum Halbfinale scheiterten, dann waren es die Begegnungen zwischen den besten Teams Italiens und Spaniens. Die beiden deutschen Vertreter an der Klub-WM hat wirklich niemand unter den letzten vier vermisst – auch wenn die Bayern hauchdünn im Viertelfinale an Inter (1:2, 2:2) scheiterten.
Dass München sich beim Finale am 31. Mai auf seine Gastgeberrolle beschränken muss, tut den Bayern-Verantwortlichen weh, doch dahinter verbirgt sich auch die Einsicht, dass die Bundesliga in der Spitze den Anschluss verloren hat. Übrigens ein Umstand, der Axel Hellmann, dem Vorstandschef von Eintracht Frankfurt, durchaus zu schaffen macht. Man müsse die Lektionen lernen, um für die Liga wie im vergangenen Jahr über die Uefa-Wertung einen fünften Königsklassen-Startplatz zu ergattern. »Für uns ist der fünfte Startplatz überragend wichtig.« Dieses Bonbon bekommen jedes Jahr die beiden punktbesten Nationen: England und Spanien profitieren diesmal. Deutschland fallen die teils grottenschlechten Resultate von RB Leipzig in der Champions League und der TSG Hoffenheim in der Europa League auf die Füße, dazu kam das frühe Ausscheiden des VfB Stuttgart.
Die Eintracht scheiterte als letzter deutscher Europa-League-Vertreter bekanntlich im Viertelfinale an Tottenham Hotspur (1:1, 0:1). Dass sich Tottenham jetzt im Halbfinale gegen den norwegischen Underdog FK Bodö Glimt (3:1, 2:0) ebenso deutlich behauptete wie Manchester United gegen Athletic Bilbao (4:1, 3:0), belegt: Selbst Teams auf Platz 15 und 16 der Premier League besitzen noch so viel Substanz, um dem Rest vom Europa eine lange Nase zu drehen.
Bilbao als Schauplatz fürs Finale am 21. Mai wird also ganz in englischer Hand sein. War zuletzt 2019 der Fall, als sich der FC Chelsea und FC Arsenal in Baku in Aserbaidschan begegneten. Englands Mannschaften machen aus ihrer finanziellen Übermacht auch sportlich einiges. Das war nicht immer so.
Gerade für die Wettbewerbe im Schatten der Königsklasse, wo absurd anmutende 2,467 Milliarden Euro zur Ausschüttung kommen, hat ein Sinneswandel eingesetzt. Obwohl es in der Europa League (565 Millionen Euro) und Conference League (285 Millionen) weniger zu verdienen gibt, ist die Wertschätzung gestiegen. Ein Grund: Der Europa-League-Sieger zieht in die Champions League ein. Es bietet sich also für die »Spurs« und die »Red Devils« die letzte Chance, die Saison zu retten. Manchesters Teammanager Ruben Amorim gab am Donnerstagabend zu: »Ich bin jetzt schon gestresst wegen des Endspiels. Denn wenn man es nicht gewinnt, ist es am Ende nichts wert. Schauen wir mal.«
Tottenham holte bereits 1972 und 1984 den früheren Uefa-Cup. Durch das Finale zwischen den Premier-League-Klubs steht fest, dass England erstmals in der Geschichte der Champions League gleich sechs Teilnehmer stellen wird. Damit fließen weitere Uefa-Erlöse in die reichste Liga der Welt. Und mit dem FC Chelsea steht noch eine dritte renommierte Marke in einem Finale: Die Blues spielen am 28. Mai in Wrocław gegen Betis Sevilla, das sich in einem dramatischen Halbfinalduell der Conference League gegen AC Florenz (2:1, 2:2 n. V.) durchsetzte.
Auf der Verliererseite mit Robin Gosens ein mächtig enttäuschter deutscher Nationalspieler: »Mein Herz weint so sehr. Dieses Finale wollten wir unbedingt nach Hause bringen. Wir haben alles gegeben, aber ein Detail hat das Spiel entschieden. Ich fühle mich leer«, sagte der 30-Jährige, der mit zwei Toren die Hoffnung auf ein drittes Finale in Folge der Fiorentina geschürt hatte. Mehr deutsche Zutat ging nicht.
Europa League, Halbfinale, Rückspiele:
FK Bodö/Glimt | – | *Tottenham Hotspur | 0:2 (0:0) | Hin 1:3 |
*Manchester United | – | Athletic Bilbao | 4:1 (0:1) | Hin 3:0 |
Conference League, Halbfinale, Rückspiele:
AC Florenz | – | *Betis Sevilla | 2:2 n. V. (2:1,2:1) | Hin 1:2 |
*FC Chelsea | – | Djurgardens IF | 1:0 (1:0) | Hin 4:1 |