nd-aktuell.de / 10.05.2025 / Politik / Seite 1

Linke-Parteitag: Radikal gegen den Kapitalismus

Die Linke setzt auf verstärkte Opposition und Sichtbarkeit – vom Bundestag bis zum Freibad

Wolfgang Hübner
Klassenkampf mit Badetuch: Linke-Vorsitzende Ines Schwerdtner und Jan van Aken
Klassenkampf mit Badetuch: Linke-Vorsitzende Ines Schwerdtner und Jan van Aken

Delegierte von Linke-Parteitagen bringen seit einigen Jahren immer ein spezielles Geschenk mit nach Hause. Die Partei hat es sich zur Angewohnheit gemacht, Werbeträger in knalligem Rot mit Parteilogo zu verteilen – mal Mütze, mal Schal, mal Socken –, um so die Sichtbarkeit der Linken zu steigern. Man sieht an der bisherigen Auswahl: Parteitag finden oft im Herbst statt.

Diesmal lagen beim Parteitag in Chemnitz[1] Badetücher auf den Delegiertenplätzen, mit der Aufschrift »Tax the rich« (Besteuert die Reichen). Der Sommer ist nicht mehr weit, und die prekäre Finanzierung oder sogar Schließung vieler Schwimmbäder ist ein Politikum. Die Linke will nach der Bundestagswahl da weitermachen, wo sie im Wahlkampf überraschend erfolgreich war: Sie will sich um die Alltagssorgen der Menschen kümmern, derjenigen, wie es Ko-Parteichefin Ines Schwerdtner sagt, die vom Kapitalismus geknechtet werden.

Deshalb verschärft sie den Ton in der politischen Auseinandersetzung[2], will deutlicher, härter, auch schriller artikulieren. Laut Ines Schwerdtner will Die Linke »nicht mehr in Tarnbegriffen reden«, sondern schnörkellos über Klassen und demokratischen Sozialismus. Und die Ko-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek hatte in einem Interview vor dem Parteitag erklärt, man dürfe den Kapitalismus nicht stützen, sondern müsse ihn stürzen – was zu Schnappatmung in konservativen und rechten Medien geführt hatte. Im beschlossenen Leitantrag des Parteitags heißt es dazu, Die Linke solle »zu einer kraftvollen sozialistischen Mitgliederpartei für das 21. Jahrhundert« weiterentwickelt werden, »die auch jenseits von Wahlen in der Lage ist, Kampagnen durchzuführen und sogar zu gewinnen«.

Was heißt, dass Die Linke in der politischen Praxis schlagkräftiger werden will. Einerseits in der Konfrontation mit der Merz-Klingbeil-Koalition – »sie verachten unsere Leute und deshalb verachten wir ihre Politik«, sagte Ko-Parteichefin Ines Schwerdtner über die Politik von Merz und Co. Und es betrifft auch die Konkurrenz zu den Oppositionsparteien Grüne und erst recht AfD. Wobei allen klar sein sollte, dass es einen sehr langen Atem braucht, um aus der Opposition ein Thema wirklich durchzusetzen – nicht nur als Gegenstand öffentlicher Debatten, sondern auch als Beschluss und Gesetz. Als Vorbild gilt in der Linken der gesetzliche Mindestlohn, bei dem es etliche Jahre Kampf gegen viele Vorbehalte und Widerstände erst in der Linken selbst, dann in Gewerkschaften, dann bei anderen Parteien brauchte, bis der gesetzliche Mindestlohn beschlossen war.

Die Linke will nach der Bundestagswahl da weitermachen, wo sie im Wahlkampf überraschend erfolgreich war: Sie will sich um die Alltagssorgen der Menschen kümmern.

Themen für Kampagnen zu brennenden Problemen gibt es genügend. Im Leitantrag ist von Kampagnen für einen bundesweiten Mietendeckel die Rede, aus der Bundestagsfraktion war zu hören, dass man eine Kampagne für Steuergerechtigkeit anstrebe. Es gebe unfassbar viel Reichtum in Deutschland, sagte der Ko-Parteivorsitzende Jan van Aken auf dem Parteitag, aber dieser Reichtum sei krass ungerecht verteilt. Viele Menschen seien einsam, weil sie keine Arbeit haben, weil sie Angst um ihre Wohnung oder darum haben, ob sie ihren Kindern am Monatsende noch ein warmes Essen auf den Tisch stellen können. »Mit dieser Einsamkeit muss Schluss sein«, forderte van Aken. In den Hunderttausenden Haustürgesprächen der Linken während des Wahlkampfs hätten zwei Fragen eine große Rolle gespielt: »die Horrormieten und die hohen Lebensmittelpreise«. Aber im Koalitionsvertrag von Union und SPD tauche das Stichwort Lebensmittelpreise nicht ein einziges Mal auf. »Das ist abgehobene Politik«, kritisierte van Aken

Um die Kampagnenfähigkeit der Partei, die vor der jüngsten Bundestagswahl lange Zeit ein Schwachpunkt war, zu steigern, sind Schulungen vor allem für die vielen neuen und jungen Mitglieder vorgesehen. Immerhin ist die Hälfte der aktuell etwa 112 000 Linke-Mitglieder erst im letzte Dreivierteljahr hinzugekommen. Ko-Parteichefin Ines Schwerdtner sprach von einer lernenden Partei, die laut Leitantrag zu einer »organisierenden Klassenpartei« werden soll; das reicht vom Umgang mit Fehlern und Misserfolgen über Fortbildungen in Sachen Organizing bis zum »ABC des Marxismus«.

Wie so etwas gelingen kann, darüber informieren sich Linke-Vertreter regelmäßig in Gesprächen mit befreundeten linken Parteien etwa in Belgien und Österreich. Das ursprünglich im Leitantrag vorgesehene Ziel, innerhalb von vier Jahren die Mitgliedschaft auf 150 000 zu steigern, ist letztlich nicht mehr enthalten; den einen erschien es zu zahm, den anderen zu ambitioniert. Im beschlossenen Antrag heißt es stattdessen nur allgemein, Die Linke solle für die politische praktische Arbeit fit gemacht werden. Die Linie hatte Ko-Fraktionschefin Heidi Reichinnek gleich zu Beginn des Parteitags ausgerufen: »Wenn es radikal ist zu fordern, dass alle Menschen bekommen, was sie zum Leben brauchen, dann sind wir radikal.«

Fit machen für die praktische Arbeit – diese Aufgabe steht auch für die Bundestagsfraktion. 64 Abgeordnete zählt sie; nur 13 waren zuletzt schon im Bundestag, fünf weitere schon einmal früher, aber 46 Fraktionsmitglieder sind Parlamentsneulinge, darunter Krankenpflegerinnen und Mechatroniker. Eine Herausforderung, daraus in kurzer Zeit ein arbeitsfähiges Team zu machen. Ko-Fraktionschef Sören Pellmann kann sich noch daran erinnern, wie er 2017 als Neuling in die Linksfraktion kam »und nichts an Strukturen infrage gestellt werden durfte, über nichts diskutiert wurde«. Eine Kritik auch an der damaligen Fraktionsführung um Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. »Wir machen es diesmal anders«, versprach Pellmann.

Wobei sich Die Linke, wenn sie denn eine dauerhafte Kraft im Bundestag bleibt, auf mehr Wechsel und Wandel einstellen muss. Der Parteitag beschloss im Leitantrag, dass die Mandatszeit für Bundestagsabgeordnete auf drei Wahlperioden beschränkt werden soll. Das Stichwort in der Debatte dazu hieß Anti-Establishment. Das bedeutet auch, dass es nach Gregor Gysi wohl keinen Alterspräsidenten der Linken mehr geben wird; das Kurzzeitamt zur Eröffnung einer Wahlperiode bekommt die- oder derjenige Abgeordnete mit der längsten Zugehörigkeit zum Bundestag. Die Linke-Abgeordneten wurden vom Parteitag per Beschluss aufgefordert, einen Teil ihrer Diäten an Sozialfonds der Partei zu spenden.

Die Linksfraktion will sich laut Pellmann unter anderem dem Kampf gegen rechts und den Interessen Ostdeutschlands widmen. »Wir überlassen den Osten nicht den Nazis«, sagte Pellmann, dessen Fraktion im Bundestag der stark angewachsenen AfD-Fraktion direkt gegenübersitzt. Die AfD sei im Gegensatz zu ihrer Selbstdarstellung keine Partei der kleinen Leute, hatte zuvor van Aken erklärt, »sondern eine Partei der Reichen«. Sie mache Politik mit der Angst, und wer, so Pellmann mit Blick auf die neue Bundesregierung, »aus Angst vor den Rechten selbst rechte Politik macht, vertieft diese Angst«.

Dagegen will Die Linke auf die Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft setzen, um die zu kämpfen sich lohnt. »Wir sind die Hoffnung!« ist schon der Leitantrag dieses Chemnitzer Parteitags überschrieben. Das gilt auch für die in diesem und vor allem im nächsten Jahr anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen, bei denen die Linke unter anderem den erstmaligen Einzug in Landesparlamente von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz anvisiert.

Laut Jan van Aken sind viele auch neue Mitglieder nach der Bundestagswahl wieder unterwegs bei Haustürgesprächen. Der massenhafte Bürgerkontakt soll keine Eintagsfliege des Wahlkampfs sein, Die Linke will weiterhin und verstärkt sichtbar sein. Demnächst vielleicht auch mit Handtuch auf der Liegewiese im Freibad.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191085.linkspartei-die-linke-und-der-zweifache-frieden.html?sstr=Hübner
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191117.chemnitz-parteitag-der-linken-dann-sind-wir-radikal.html