nd-aktuell.de / 10.05.2025 / Kommentare / Seite 1

Linke: Masse und Klasse

Wolfgang Hübner über die Kursbestimmung auf dem Linke-Parteitag in Chemnitz

Wolfgang Hübner
Ines Schwerdtner will aus der Linken eine »organisierende Klassenpartei« machen.
Ines Schwerdtner will aus der Linken eine »organisierende Klassenpartei« machen.

Es gibt Tradition in der Linken, die bei aller inhaltlicher und personeller Veränderung Bestand haben. Dazu gehört, dass zum Abschluss eines Parteitags die »Internationale« gesungen wird. Die Parteitagsregie spielt immer die erste Strophe ein, die Delegierten schmettern begeistert auch die zweite und dritte Strophe. Inzwischen hat sich eingebürgert, die Hymne der Arbeiterbewegung mit »Rot-Front«-Rufen aufzupeppen. Auf dem Chemnitzer Parteitag[1] am Wochenende gab es eine Neuerung: Nach der Liedzeile »Wir sind die stärkste der Partei’n« ertönte der Zwischenruf »Schön wär’s!«

Damit ist kurz und knapp umrissen, wo Die Linke gerade steht[2]. Sie ist nach einer tiefgreifenden Krise immer noch oder wieder da – je nach persönlichem Optimismusgrad –, sie ist sogar deutlich gestärkt. Aber sie steht auch vor erheblichen Herausforderungen: Seit Kurzem amtiert eine von der deutlich nach rechts gerückten Union dominierte Bundesregierung, der braune AfD-Block ist im Bundestag, in Landtagen und in Umfragen erschreckend groß, die globalen Konflikte folgen keinem einfachen Gut-böse-Schema mehr – wenn sie es denn je getan haben.

In dieser Lage hat Die Linke unverhofft ein großes Plus: mehr als 60 000 neue Mitglieder seit dem letzten Sommer, die vor allem im Wahlkampf zur Linken gefunden haben, aus Empörung über die verschärfte Asyl- und Migrationspolitik, als Protest gegen das Erstarken der AfD und als Reaktion auf die BSW-Abspaltung. Aber Masse allein macht es nicht, auch wenn sie im Wahlkampf eine spürbare Unterstützung war.

Zehntausende junge Leute in einem emotionalen Moment für Die Linke zu begeistern, ist das Eine. Sie dauerhaft zu integrieren – auch dann, wenn es in die Mühen der Ebenen geht, wenn der Gegenwind wieder mal stärker wird -, ist etwas ganz Anderes. Soll also der Aufschwung der Linken in den letzten Monaten nicht nur ein Strohfeuer sein und das in Chemnitz ausgegebene Ziel einer organisierenden Klassenpartei kein Phantom bleiben, dann braucht diese Linke mindestens ein großes gemeinsames Projekt. Das können Kampagnen etwa für einen bundesweiten Mietendeckel sein – ein Thema, das im besten Sinne alltagstauglich ist –, und als Voraussetzung dafür Schulung und Bildung.

Was Die Linke hier vorhat, vor allem für die Zehntausenden neuen, meist sehr jungen Mitglieder, könnte im besten Fall in eine neue Qualität der politischen Handlungsfähigkeit münden. Der von Ko-Parteichefin Ines Schwerdtner benutzte Begriff einer lernenden Partei klingt sympathisch und nicht besserwisserisch; die von der Linken in der Bildungspolitik erhobene Forderung nach längerem gemeinsamem Lernen könnte hier eine neue generationsübergreifende Bedeutung erlangen. Denn dieses Lernen wird auf Gegenseitigkeit beruhen. Die jungen Mitglieder werden ihre Sichtweisen und Interessen einbringen. Zwangsläufig werden etwa die Klimakrise als globales Thema und Klimagerechtigkeit als zentrale soziale Frage sowie der Kampf gegen Kriege und um Frieden stärker als zuletzt in den Blickpunkt der Linken rücken, weil sie direkt mit den Lebensperspektiven der jungen Generationen zu tun haben. Differenzen dabei müssen geklärt und können nicht dauerhaft in die zweite Reihe zurückgestellt werden. Das wird auch eine Aufgabe der angekündigten Erneuerung des Parteiprogramms sein.

Wenn die Linkspartei in solchen essenziellen Fragen die Gesellschaft verändern will, braucht sie mehr Durchschlagskraft auf den Straßen und in den Parlamenten. Schritte dahin können die in diesem und im nächsten Jahr anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen sein, bei denen es für die Partei um einiges geht. Bei den Kommunalwalen in Nordrhein-Westfalen und anderswo soll die in den letzten Jahren bröckelnde Basis gefestigt werden. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz will man endlich tief im Westen mehr als Lebenszeichen senden. Und in Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern geht es nicht zuletzt um die Rückgewinnung ostdeutscher Kompetenz und Stärke. Bis zu einer Oppositionspartei, die die Regierung vor sich hertreibt – wie auf dem Parteitag zu hören war –, ist es noch ein weiter Weg.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191122.linke-parteitag-linke-parteitag-radikal-gegen-den-kapitalismus.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191117.chemnitz-parteitag-der-linken-dann-sind-wir-radikal.html?sstr=Hübner