nd-aktuell.de / 12.05.2025 / Kultur / Seite 1

Neue Bundesregierung: Überleben im Gruselkabinett

Die neue Regierung hat nicht nur einen, sondern gleich mehrere harte Schocker im Angebot. Einer sticht jedoch heraus

Thomas Blum
Neeeein, bitte kein Bild von Alexander Dobrindt. Ein gruseliges Foto von menschlichen Silhouetten hinter einem Laken reicht doch.
Neeeein, bitte kein Bild von Alexander Dobrindt. Ein gruseliges Foto von menschlichen Silhouetten hinter einem Laken reicht doch.

Was früher schlicht ein Wort war für einen intimen Raum, in dem Gegenstände und Figuren ausgestellt sind, die ein Gruseln und Abscheu hervorrufen sollen (»Gruselkabinett«), bezeichnet heute in hervorragender Weise auch jene Kreaturen von der dunklen Seite der Macht, die der neue Bundeskanzler Friedrich »Mister Burns« Merz soeben als Bundesminister und -ministerinnen installiert hat[1]. Zusammen bilden sie so etwas wie die deutsche Ein-Euro-Shop-Version der Trump-Administration.

Die schrillste Personalie unter den aufgereihten Bösewichten ist der früher bereits mehrfach durch eklatante Fehlentscheidungen und Pannen (»Pkw-Maut«) auffällig gewordene ehemalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der »im Auftreten als zuweilen geckenhaft angesehen« wird (»Tagesspiegel«). Merz hat ihn nun als »Abschiebeminister«[2] und, salopp formuliert, als personifizierten Polizeiknüppel eingesetzt. Eine Aufgabe, bei welcher Dobrindt sich sichtlich ganz in seinem Element fühlt. Sein derzeitiges Treiben, das darauf angelegt ist, die kärglichen Reste des Grundrechts auf Asyl – das wohlgemerkt als Lehre aus der Schoa ins deutsche Grundgesetz aufgenommen wurde – vollständig zu eliminieren, will der neue Innenminister verstanden wissen als »Signal, dass sich die Politik in Deutschland geändert hat«.

Sicher ist jedenfalls: Der alte deutsche Begriff »Gruselkabinett« hat neuerdings ungeahnte Aktualität bekommen.

Man darf, wenn solche markigen Sätze aus dem Munde eines geradezu rauschhaft selbstgefälligen CSU-Hardliners kommen, der soeben Chef der deutschen Polizei geworden ist, davon ausgehen, dass sie etwas bedeuten sollen. Dass der Mann keinerlei Scheu hat, seine Aushebelung eines Grundrechts und seine Grenzpolizeiverstärkung zum 80. Jahrestag des Endes des deutschen Faschismus anzukündigen, dürfte nicht nur ein zarter Hinweis darauf sein, wie vergangenheitssensibel und geschichtsbewusst Herr Dobrindt ist. Wer die Schamlosigkeit besitzt, hierzulande einen Tag vor dem 8. Mai zu demonstrieren, dass er Schutzsuchende für lästiges Menschenmaterial hält, gibt auch einen Fingerzeig, in welche Richtung künftig die deutsche Politik insgesamt marschieren wird. Ein bisher meist sowieso nur rituell und mit erkennbarer Interesselosigkeit absolviertes Gedenken an die NS-Vergangenheit beziehungsweise an die zwölf Vogelschissjahre der deutschen Geschichte braucht es heutzutage nicht mehr zwingend, soll das heißen. Wer den Stiefeltritt auf dem deutschen Pflaster derzeit noch immer nicht hört, dem dürfte auch beim Hörakustiker nicht zu helfen sein.

Künftig, so die Botschaft, wird es nach den Gerechtigkeitsvorstellungen der meisten Deutschen gehen (»mal richtig durchgreifen und aufräumen«, »Kurzer Prozess!«, »Rübe runter!«). Und um auf diese Eindruck zu machen, führt Dobrindt sein Law-and-Order-Gehampel auf, das »schneidig« und unerbittlich wirken soll und das von eben jenen Deutschen traditionell geliebt wird. Es ist als Signal an die rechtsextreme AfD und deren demokratieverachtende Klientel zu verstehen: »Wir, die CDU/CSU«, soll das heißen, »sind jetzt zu 100 Prozent bereit, vorauseilend AfD-Politik zu machen« (was am Ende, wie jeder Fünfjährige heute weiß, hauptsächlich zu Euphorie bei den Rechtsextremen und dazu führen wird, dass bei der nächsten Wahl noch mehr Deutsche als bisher die Neofaschisten wählen werden).

Alexander Dobrindt, der dem radikalen Katholiban-Flügel der extrem rechtskonservativen CSU angehört, ist ein Mann, der in der Vergangenheit keinerlei Zweifel an seinen politischen Präferenzen aufkommen ließ und dem es mit der Orbánisierung Deutschlands nicht schnell genug gehen kann. Er bevorzugte schon immer das bayrische Modell der Demokratie, wie es einst von dem Schriftsteller und Kabarettisten Gerhard Polt skizziert wurde: »Ich brauch’ keine Opposition, weil ich bin schon Demokrat.«

Klimaschützer denunziert er als »kriminelle Vereinigung«, und die gemäßigt sozialdemokratische Linkspartei will er am liebsten verbieten lassen, während er im selben Atemzug freimütig mitteilt, wie er mit den Rechtsextremen und Neofaschisten im Parlament künftig zu verfahren gedenkt: »Man muss die AfD nicht wegverbieten.« Der neue Innenminister hat bereits festgestellt: »Es gibt keine pauschalen Konsequenzen für Beamte, die sich zur AfD bekennen.« AfD-Funktionäre und -Mitglieder, die im Staatsdienst arbeiten, müssen »nicht per se mit dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen« (»Die Zeit«), was beispielsweise bedeutet, dass Geschichtsrelativierer und Holocaust-Bagatellisierer, von denen sich ja einige in der AfD tummeln, auch in Zukunft als Lehrerinnen und Lehrer ganz entspannt ihre Neonazipropaganda an Schulen verbreiten dürfen.

Wie finster es in der Rübe Dobrindts zugeht, hat man bereits vor sieben Jahren gewusst, als er ohne Not dem ebenfalls extrem rechten Springerblatt »Die Welt« mitteilte, er wünsche sich eine »konservative Revolution der Bürger«. Man weiß nicht, ob Dobrindt damals nicht gewusst hat, »dass man unter der ›konservativen Revolution‹ gemeinhin eine Strömung von rechtsextremen Stichwortgebern und Wegbereitern des Nationalsozialismus versteht, ob es ihm egal ist oder er den Begriff eben deshalb gewählt hat« (»Jungle World«). Doch ob seine Äußerung nun auf mangelhafte Bildung oder auf Gleichgültigkeit zurückzuführen war oder ob sie ein unverhohlenes Bekenntnis zu jenen antidemokratischen Strömungen war, die den deutschen Faschismus vorbereiteten, ist nicht so wichtig. Vermutlich werden alle drei Dinge eine Rolle gespielt haben.

Ich bin mir jedenfalls nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft von Bundesregierungen nicht darauf verzichtet werden sollte, die Menschen das Fürchten zu lehren. Sicher ist jedenfalls: Der alte deutsche Begriff »Gruselkabinett« hat neuerdings ungeahnte Aktualität bekommen. Dobrindt dürfte in diesem vorerst die Hauptattraktion sein.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191128.merzwahl-brav-merz-waehlen-sonst-hilft-das-der-afd.html?sstr=friedrich|merz
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190985.neuer-innenminister-dobrindt-will-sofortige-migrationsabwehr-anordnen.html?sstr=alexander|dobrindt