Dutzende schwarze Ballons steigen Samstagnachmittag in den strahlend blauen Himmel über Oldenburg. Es ist der 11. Mai 2025, der 22. Geburtstag von Lorenz A. Statt einer Feier versammeln sich knapp 1000 Menschen, um an den jungen Oldenburger zu erinnern, den ein Polizeieinsatz vor drei Wochen[1] aus dem Leben riss.
Auf schwarzen T-Shirts steht »Ruhe in Frieden, Lorenz«, doch von Ruhe kann für viele Anwesende, die ihn persönlich kannten, keine Rede sein. »Wir sagen klar und deutlich, das war kein tragischer Zufall – das war Mord«, ruft Soniya Alkis von der Initiative »Gerechtigkeit für Lorenz« ins Mikrofon. Viele Menschen halten Schilder in die Höhe – darauf steht etwa »3 Kugeln von hinten – wer war hier die Bedrohung?« oder »Dienstwaffe heißt nicht Freifahrtschein!«.
Die Wut auf dem Platz ist greifbar. Keine Woche nach den tödlichen Schüssen formierte sich eine Demonstration mit 10 000 Teilnehmenden[2]. »Gedenken heißt auch kämpfen«, erklärt Alkis unter Applaus und betont, dass Lorenz’ Tod kein Einzelfall sei.
Ellen, eine enge Freundin der Familie, ergreift das Wort und spricht wie bei der Großdemonstration mit zitternder Stimme im Namen der Familie: »Diese Nacht, diese fünf Schüsse von hinten auf Lorenz, haben unser Leben für immer verändert.« Lorenz’ Mutter, seine Familie und Freunde stünden vor den Trümmern ihres Lebens und suchten verzweifelt nach dem Warum. Dennoch findet sie Worte des Dankes: Die Anteilnahme all der Menschen in Oldenburg und deutschlandweit gebe der Familie Kraft.
Es folgen weitere, sehr persönliche Wortbeiträge. Erce, für den Lorenz »wie ein Bruder« war, hat einen Abschiedsbrief mitgebracht. Maisha, eine Freundin aus Kindertagen, liest stellvertretend: »Manchmal fehlen einem die Worte – besonders dann, wenn man Abschied nehmen muss von einem Menschen, der so viel mehr war als nur ein Freund.« Lorenz habe »ein Herz gehabt, das größer war als alles andere«, und sei immer für seine Freunde da gewesen. Es sei kaum zu ertragen, all die gemeinsamen Momente nie wieder erleben zu können. »Lorenz, du warst ein Geschenk in meinem Leben, und ich werde dich nie vergessen.«
Auch Lorenz’ Cousine Alina hat eine Botschaft verfasst, die von Beybun Seker von der Initiative »Gerechtigkeit für Lorenz« verlesen wird. Darin beschreibt sie ihren Cousin als Menschen, der immer zur Stelle war – »stark und schützend«, wenn sie ihn brauchte. Er habe oft leise und zurückhaltend gewirkt, »aber er hatte so viel Herz«. »Du warst genug. Du warst wundervoll«, endet Alinas Text, viele in der Menge wischen sich immer wieder Tränen aus den Augen.
In die Trauer mischen sich auch entschlossene Rufe wie etwa: »No justice, no peace!« Als Suraj Mailitafi als Sprecher der Initiative fragt: »Wie soll jemand von hinten eine Bedrohung sein?«, schreien einige entschieden zurück: »Gar nicht!« Vier Kugeln trafen den 21-Jährigen in Rücken, Kopf und Hüfte, eine fünfte Kugel verfehlte ihr Ziel. »Wie sollen wir Vertrauen in eine Polizei haben, die erst tötet und dann selbst ermittelt?«, fragt Mailitafi weiter. Auch dass die Bodycams der Beamten ausgeschaltet waren, lässt das Misstrauen vieler wachsen. »Es reicht!«, schallt es über den Platz. »Wir fordern Gerechtigkeit – lückenlos, unabhängig, konsequent!«
Zum Abschluss singt die gesamte Versammlung »Happy Birthday« – tränenreich und an diesem Muttertag, der auf Lorenz’ Geburtstag fällt, direkt an seine Mutter gerichtet, die in den ersten Reihen steht. »Auch wenn wir diese Kundgebung jetzt beenden – unser Einsatz hört nicht auf«, verspricht Soniya Alkis von der Initiative. Lorenz’ Tod sei »kein Ende, sondern der Anfang von Widerstand«. Solange es nötig sei, wollten sie weiterkämpfen.
Dem Aufruf, sich bei ihnen nach Ende der Veranstaltung zu melden, um in der Initiative aktiv zu werden, seien viele Menschen nachgekommen, bestätigt die Initiative später gegenüber »nd«.