Aktuell kann die Linkspartei in Berlin vor Kraft kaum laufen: Innerhalb von knapp anderthalb Jahren ist der Landesverband in der Hauptstadt bei den Mitgliederzahlen um mehr als das Doppelte gewachsen, bei der Bundestagswahl konnte sich Die Linke in Berlin mit 19,9 Prozent der Zweitstimmen an die Spitze der Parteien setzen[1] – beste Voraussetzungen für die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr. Doch noch fehlt der Partei ein Plan, wie die zahlreichen Neumitglieder integriert werden können und mit welchen Konzepten in den Wahlkampf gestartet werden kann.
Mit dem Landesparteitag am Wochenende soll sich das ändern. »Wir müssen neue Strukturen aufbauen«, sagte der Landesvorsitzende Maximilian Schirmer am Montag bei einer Pressekonferenz. Mit einer »roten Tour de Berlin« wolle man nun Kontakt zu den Neumitgliedern suchen. Ziel sei, die Neumitglieder für die Parteiarbeit fit zu machen: »Viele von den neuen Mitgliedern haben sich noch nie mit Parkraumbewirtschaftung beschäftigt«, führte Schirmer als Beispiel an. Im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahl soll es zudem einen Dialogprozess mit Nicht-Mitgliedern zum Wahlprogramm geben.
Mit der organisatorischen Neuaufstellung[2] ist auch ein personeller Wechsel verbunden: Die bisherige Landesvorsitzende Franziska Brychcy wird nicht erneut für die Landesspitze antreten. Sie wolle sich künftig auf ihr Mandat im Abgeordnetenhaus konzentrieren, sagte die Bildungspolitikerin. Gemeinsam mit dem bisherigen Ko-Vorsitzenden Schirmer kandidiert stattdessen Kerstin Wolter, Bezirksvorsitzende in Friedrichshain-Kreuzberg, die sich vor allem zu feministischen Themen profiliert hat.
Mietenpolitik soll weiterhin im Fokus der Programmatik stehen. Das in der Fraktion bereits beschlossene »Sicher-Wohnen-Gesetz« soll nun auch formal Teil der Parteiprogrammatik werden. Es sieht vor, dass Vermietern vorgeschrieben werden soll, neu vermietete Wohnungen zu einer bestimmten Quote an arme Menschen zu vergeben. Der Volksentscheid zur Enteignung von Großwohnkonzernen soll zügig umgesetzt werden – und das möglichst billig. »Wir werden unter Verkehrswert entschädigen«, sagte Brychcy. Stattdessen sollen alternative Methoden der Wertermittlung genutzt werden.
Auch eine Grundsatzdebatte steht dem Landesverband bevor: Der Jugendverband Solid hat beantragt, eine »innerparteiliche Strategiedebatte« zu organisieren, um die Frage zu klären, ob sich die Partei weiter an Landesregierungen beteiligen soll. »Der Landesvorstand und die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus sowie weitere Mandatsträger*innen sollen solange davon absehen, in der Öffentlichkeit Stimmung für Rot-Rot-Grün zu machen«, heißt es im Antrag.
Die Landesspitze hat zwar einen Änderungsantrag gestellt, der den Solid-Antrag deutlich abschwächt, signalisiert aber auch vorsichtige Zustimmung. Es sei »legitim, über Regierungsbeteiligungen zu diskutieren«, sagte Schirmer. Der Landesvorstand sei offen für einen Austausch über Fehler der bisherigen Senate unter Linke-Beteiligung.
Der ewige Zankapfel Nahost wird dagegen nur eine kleine Rolle beim Landesparteitag spielen. Auf der Tagesordnung steht nur ein Antrag gegen mögliche Abschiebungen von Palästina-Aktivisten, der wohl auf Konsens stoßen wird. Die scheidende Landesvorsitzende Brychcy nutzte die Pressekonferenz trotzdem, um sich von Beschlüssen des Chemnitzer Bundesparteitags am Wochenende zu distanzieren. Dort war beschlossen worden, dass sich die Linkspartei künftig an der umstrittenen Jerusalem-Definition von Antisemitismus orientieren will. Das in Abgrenzung zur staatlich anerkannten IHRA-Definition formulierte Konzept wird dafür kritisiert, israelbezogenen Antisemitismus auszublenden.
»Alle Antisemitismus-Definitionen haben ihre wissenschaftliche Berechtigung«, sagte Brychcy. Nur eine Definition zu nutzen, verenge den Diskurs. »Wenn uns jüdische Organisationen spiegeln, dass sie sich nicht sicher sind, ob wir zu ihnen stehen, haben wir ein Problem«, so Brychcy. Man dürfe keinen Zweifel lassen, dass die Linkspartei jede Form von Antisemitismus ablehne.
Ob solche Töne auch künftig von der Berliner Landesspitze zu hören sein werden, ist fraglich: Mehrere Kandidaten für den Landesvorstand hatten zu Jahresanfang eine Solidaritätserklärung für den wegen antisemitischer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossenen Aktivisten Ramsis Kilani unterstützt, darunter die designierte stellvertretende Landesvorsitzende Jorinde Schulz. Jaime Martínez Porro, Kandidat für den Landesvorstand, war 2023 in die Kritik geraten, nachdem er kurz nach dem Hamas-Massaker im Süden Israels am 7. Oktober getwittert hatte, dass »alle besetzten Völker das Recht und die Pflicht haben, sich zu verteidigen«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191176.vorstand-die-linke-in-berlin-neuanfang-mal-wieder.html