nd-aktuell.de / 12.05.2025 / Politik / Seite 1

Faschistisches Momentum und linke Hoffnung

Das Ziel der Linken sind neue Mehrheiten 2029 und vor allem andere gesellschaftliche Kräfteverhältnisse

Janis Ehling
Auf dem Parteitag in Chemnitz profilierte sich Die Linke nach ihrem Wahlerfolg als Alternative zu rechter Gefahr, Militarisierung und Sozialabbau.
Auf dem Parteitag in Chemnitz profilierte sich Die Linke nach ihrem Wahlerfolg als Alternative zu rechter Gefahr, Militarisierung und Sozialabbau.

Wir erleben in Deutschland ein faschistisches Momentum, das den Fortbestand der Demokratie ernsthaft bedroht. Die Merz-Regierung erklärt den nationalen Notstand, um Grenzkontrollen massiv auszuweiten, die AfD führt die Wahlumfragen an. Anders als in den vergangenen 20 Jahren gibt es Mehrheiten rechts der Mitte. Die neue Große Koalition[1] hat auf die Fragen der Zeit keine Antworten. Als Linke haben wir damit eine klare Aufgabe: eine soziale, antifaschistische und demokratische Opposition zum Zeitgeist zu sein. Der Rechtsruck ist menschengemacht und deshalb nicht in Stein gemeißelt.

August Thalheimer beschrieb das faschistische Momentum in seiner noch heute bedeutenden Analyse über den Faschismus als Bonapartismus. Dabei griff er auf Karl Marx’ Analyse der Machtergreifung von Napoleon Bonaparte III. zurück. Der nutzte die Zeit der Blockaden nach der Revolution von 1848 und setzte sich als großer Macher an die Spitze der Regierung Frankreichs. Auch heutzutage leben wir in einer Zeit der gesellschaftlichen Blockaden und der vermeintlich großen Macher.

US-Präsident Joe Biden scheiterte ebenso wie die Ampel von Olaf Scholz mit ihrem Programm der ökologischen Modernisierung: Biden wurde ausgebremst durch den konservativen Flügel der US-Demokraten, Olaf Scholz scheiterte am eigenen Unvermögen und natürlich auch an der destruktiven Blockadepolitik Christian Lindners. Ihre Programme sollten die Wirtschaft stärken, Arbeitsplätze sichern und die ökologische Wende vorantreiben. Aufgrund der Krisen und der massiv gestiegenen Preise kam davon kaum spürbar etwas bei den Bürger*innen an. Das Ergebnis ist eine wachsende Entfremdung der Menschen von der herrschenden Politik: Liberale, Konservative und die schwache Linke blockieren sich politisch. Pessimismus, Resignation und Irrationalismus greifen um sich und die bonapartistische Rechte tritt auf die Bühne der Politik.

Das ist der bonapartistische oder faschistische Moment, in dem zugleich die Figur des Machers auftaucht: verkörpert durch Donald Trump[2], der erfolgreiche Geschäftsmann, der es schafft, gegenüber dem abgehalfterten Joe Biden mit seinem gescheiterten Modernisierungsversprechen.

Gezielt testet Trump die Lücken und Schwächen der liberalen Demokratie. Sein Satz »He who saves his country does not violate any law« (Derjenige, der sein Land rettet, bricht kein Gesetz) ist sehr nahe bei Carl Schmitt, der die Legalität durch die Legitimität des großen Mannes begründete. Das bonapartistische Moment wird zur konservativen Revolution, zum kalten Putsch, unterstützt von rechten Multimilliardären und Tech-Mogulen. Mit deren Hilfe greift Trump die Interessen der arbeitenden Mitte und der Schwächsten sowie die Fundamente der liberalen Demokratie an.

Die Linke darf nicht in Schockstarre verfallen[3], wenn das Recht beiseitegeschoben wird, wenn Arbeitnehmerrechte und die Demokratie beschnitten, wenn den Armen das Wahlrecht und die Bildung gestrichen werden. Die Linke muss sich vorbereiten und selbstbewusst handeln.

Zum großen Märchen in Deutschland gehört die Erzählung, dass die Extreme die Weimarer Republik zu Fall brachten. Die linken Parteien verloren zwischen 1928 und 1932 kaum Wähler*innen. Entscheidend war vielmehr der Rechtsruck der Mitte: Liberale und regionale Parteien verloren massiv, während viele ihrer Wählerinnen – ebenso wie Teile der protestantischen Arbeiterschaft – zu den Faschisten überliefen.

Heutzutage erleben wir Parallelen: Die neue Rechte greift geschickt die wachsende Unzufriedenheit mit den liberalen Regierungen auf und inszeniert sich als Anti-Establishment. Wie damals stammt sie weniger aus der Oberschicht als aus der kleinbürgerlichen Mitte. Sie bedient sich populistischer Rhetorik und erklärt die progressive, akademische Mittelschicht zur »woken Elite«. Diese Umdeutung wird von Teilen der CDU/CSU, der FDP und dem BSW verstärkt.

Dabei verschleiert die Rechte gezielt die realen Machtverhältnisse. Die Macht der konservativen Eliten – von den Medienmachern von »Bild« bis Bertelsmann bis zu den konservativen alten Eliten in den Firmenetagen der Dax-Konzerne. Stattdessen macht man Erwerbslose, Migrant*innen oder progressive Lebensstile verantwortlich für gesellschaftliche Krisen. Auch die CDU bedient sich solcher Narrative, um ihre Mitverantwortung an der sozialen und wirtschaftlichen Misere zu verschleiern.

Die neue Rechte steht wie der historische Faschismus an einem Punkt, an dem sie entscheiden muss, mit wem sie paktieren will. Fast immer entscheiden sich die Rechten in dieser Situation für den Pakt mit der konservativen Oberschicht. Anklang findet die neue Rechte vor allem bei kleinstädtischen Eliten, Teilen der Mittelklasse und männlichen Beschäftigten, die mit den Händen arbeiten und in ihrer Identität einen realen Bedeutungsverlust erfahren haben. Die AfD [4]inszeniert sich als Anwältin dieser Gruppen, obwohl sie in Wahrheit brutale neoliberale Kürzungsprogramme vertritt. Auch sie sucht das Bündnis mit dem reichsten Menschen der Welt, ähnlich wie Trump.

Rechte Wahlerfolge sind kein Naturgesetz. Die Rechte vergisst schnell, wen sie angeblich vertritt, und dann muss die Linke da sein. Viele Wähler*innen sind von der Sozialdemokratie enttäuscht oder haben sich aus Politikverdrossenheit abgewendet. Diese Menschen kann Die Linke gewinnen – mit konkreten Angeboten, Haltung und Sichtbarkeit. Große Demonstrationen gegen rechts senden ein starkes, wichtiges Signal. Sie erreichen jedoch viele Unzufriedene nicht. Gleichzeitig muss sich Die Linke fragen, wie sie innerhalb breiter demokratischer Bündnisse sichtbar bleibt. Genau diese Sichtbarkeit hat gefehlt.

Mit dem Aufstieg rechter Kräfte erlebt der aggressive Nationalismus ein Comeback, das weltweit zu mehr Konflikten, Kriegen und Unsicherheit führt. Putins Angriffskrieg hat direkte Annexionen wieder salonfähig gemacht. In dieser Lage ist die »Der Feind meines Feindes ist mein Freund«-Logik, wie sie etwa Sahra Wagenknecht vertritt, fehl am Platz – sie verkennt auch den Imperialismus kleinerer Staaten.

Die neue Blockkonfrontation hat wirtschaftliche Ursachen: Die derzeitige kapitalistische Überproduktionskrise und der Aufstieg Chinas und Indiens verschärfen die Konkurrenz. Das gefährdet die Wertschöpfung im globalen Norden. Die Rechten profitieren vom wachsenden Pessimismus. Viele Menschen, die keine Hoffnung mehr auf Verbesserung haben, verteidigen das Erreichte – nach außen und unten.

Trump setzt auf Protektionismus statt Freihandel, angeblich zur Reindustrialisierung der USA. Seine chaotische Politik wird jedoch von wirtschaftlichen Eliten ausgebremst, auf deren Interessen er letztlich Rücksicht nimmt. Gleichzeitig verschärft seine aggressive Zollpolitik die globale Blockbildung. Die Nato droht zu zerfallen, Europa steht zunehmend allein da.

Rechte Wahlerfolge sind kein Naturgesetz. Die Rechte vergisst schnell, wen sie angeblich vertritt, und dann muss die Linke da sein.

Diese Entwicklung verunsichert viele Menschen – von Trumps Autokratismus bis zum Krieg in der Ukraine. Aus Angst unterstützen sie Aufrüstung, in der Hoffnung auf Sicherheit. Gleichzeitig befürwortet eine Mehrheit internationale Abrüstung. Die Abrüstungsabkommen des Kalten Kriegs senkten nachweislich die globalen Militärausgaben und erhöhten die Stabilität. Trotzdem treiben viele Parteien eine Remilitarisierung voran. Die dafür nötigen Milliarden fehlen dann bei Bildung, Bahn und Industrieumbau.

Die Linke lehnt jeden Imperialismus ab und steht für Frieden und die Souveränität aller Länder. Deshalb lehnen wir diese Aufrüstung ab, weil sie Angriffskriege ermöglicht, stehen aber für echte Landesverteidigung ein. Europa sollte zwischen den Blöcken vermitteln. Die Linke strebt eine strategische Autonomie Europas und eine friedliche Weltordnung an.

Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD bleibt hinter den großen Herausforderungen wie sozialer Spaltung, drohender Deindustrialisierung und Klimakrise deutlich zurück. Kanzler Merz setzte sich vor allem bei Migration und Bürgergeld durch und lenkt mit Scheinlösungen von echten Problemen ab. Die SPD konnte einige Härten abmildern, aber kaum eigene Akzente setzen. Die Rückkehr zur neoliberalen Kürzungspolitik droht. Gleichzeitig ist die AfD in Umfragen stärkste Kraft.

Im Bund bleibt Die Linke vorerst in der Opposition – und wird diese Rolle selbstbewusst ausfüllen. Wir setzen auf konkrete Verbesserungen – von Mietendeckel über Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau bis zu günstigeren Lebenshaltungskosten. Wir werden die Merz-Regierung kritisch begleiten.

Die Mehrheitsverhältnisse bleiben schwierig. Die – wenn auch bröckelnde – Brandmauer zur AfD erschwert stabile Regierungsbildungen. Paradoxerweise wächst dadurch der Einfluss der Linken in Ländern – etwa durch die Duldung von Minderheitsregierungen oder kommunale Bündnisse. Doch das birgt Risiken: Instabile Regierungen können Politikverdrossenheit verstärken. Klar ist für uns: Wir werden nicht diejenigen sein, die den Rechten erstmals seit 1945 wieder Zugriff auf den Staat geben.

Klar ist für uns: Wir werden nicht diejenigen sein, die den Rechten erstmals seit 1945 wieder Zugriff auf den Staat geben.

Wo wir regieren, muss linke Politik sichtbar sein. Unser Ziel sind neue Mehrheiten 2029 und vor allem andere gesellschaftliche Kräfteverhältnisse. Weder Friedrich Merz noch die AfD sind das Ende der Geschichte. Selbst wenn CDU und AfD regieren sollten: Wir bereiten uns vor und sie werden in uns ihre entschlossensten Gegner finden.

Als Linke haben wir uns selbst am Schopf gepackt und aus dem Sumpf gezogen. Das wäre nicht möglich gewesen ohne die Arbeit unserer Vorgängerinnen und aller engagierten Mitglieder der Linken. Auch nicht ohne die Abspaltung von Wagenknecht. Die riesige Unterstützung der gesellschaftlichen Linken und vieler neu Politisierter im Wahlkampf hat uns einen kräftigen Schub gegeben. Schon vor dem gewaltigen Zulauf der vergangenen Monate gab es einen politischen Generationswechsel. Im dritten Anlauf ist Die Linke mit dem Neumitgliederansturm im Westen und Osten zur gesamtdeutschen Partei geworden. Das ist eine riesige Chance, die wir als Partei nicht verstreichen lassen dürfen. Bis 2027 werden wir an einigen Stellen unser Grundsatzprogramm überarbeiten, insbesondere auch, um unsere neu gewonnenen Mitglieder einzubinden.

Der gesellschaftliche Rechtsruck schärft unseren Fokus: Unser Antifaschismus, unser Einsatz für die arbeitende Mitte, für Arme und alle, die sich das Leben nicht leisten können, unser Kampf für die Rechte von Frauen, gegen Rassismus und Diskriminierung gehören zur DNA unserer Partei.

Der italienische Philosoph und Kommunist Antonio Gramsci schrieb 1930: »Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren. Es ist die Zeit der Monster.« Egal ob Trump, Le Pen, Höcke oder Weidel: Wir werden die Monsterjäger sein und für eine Welt kämpfen, die die Arbeits- und Lebensverhältnisse für alle Menschen verbessert. Unsere Zukunft wird von den Rechten, dem Klimawandel und der wachsenden Ungleichheit bedroht – wir sind die, die diesen Kampf annehmen.

In der nd-Serie »Wohin geht die neue Linke?« zuletzt erschienen: »Mehr ökologische Klassenpolitik« von Thomas Goes[5]

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191049.kanzlerwahl-das-kalte-herz-des-buergertums.html?sstr=Hübner
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191098.vatikan-papst-leo-xiv-n-der-anti-trump.html?sstr=Donald|Trump
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191122.parteitag-der-linken-radikal-gegen-den-kapitalismus.html?sstr=Hübner
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191162.bundesweite-demos-ein-afd-verbotsverfahren-ist-kein-luxus.html?sstr=Merz
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190880.linkspartei-mehr-oekologische-klassenpolitik.html