nd-aktuell.de / 16.05.2025 / Berlin

Brandenburg müsste doppelt so viel investieren

Forschungsgruppe sieht jährlichen Bedarf von 3,9 Milliarden Euro allein für Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Klimaschutz

Andreas Fritsche
Steht bei Investitionen angeblich auf der Bremse: Finanzminister Robert Crumbach (BSW)
Steht bei Investitionen angeblich auf der Bremse: Finanzminister Robert Crumbach (BSW)

Gegenüber 1990 erheblich reduziert wurde der CO2-Ausstoß in Brandenburg nicht etwa, weil Betriebe so modernisiert worden wären, dass sie klimaschonender produzieren. Die Ersparnis ergab sich schlicht und einfach aus dem Zusammenbruch der Industrie, den Ostdeutschland mit dem Ende der DDR insgesamt erlebte. Diesen Effekt herausgerechnet, habe Brandenburg seit 1992 jährlich nur 21 Tonnen CO2 eingespart. Um wie angepeilt im Jahr 2045 wirklich klimaneutral zu wirtschaften, müssten ab jetzt pro Jahr 600 Millionen Tonnen eingespart werden, erläutert Torsten Windels.

Windels gehört in Hannover zur Forschungsgruppe für Strukturwandel und Finanzpolitik. Gemeinsam mit Juliane Bielinski und Arno Brandt hat er den Bedarf für staatliche Investitionen im Land Brandenburg analysiert – und das Ergebnis am Freitag im Landtag vorgestellt. Demnach müsste das Bundesland in den nächsten zehn Jahren insgesamt 39 Milliarden Euro allein in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz und Infrastruktur stecken. Dabei müssten für Investitionen in Bildungsstätten 10,8 Milliarden Euro fließen, für solche in Krankenhäuser, Pflegeheime und dergleichen 2,3 Milliarden. Für den Klimaschutz wären 12,8 Milliarden Euro erforderlich, für die Infrastruktur 13,2 Milliarden.

Schätzungsweise etwa die Hälfte dieser Investitionen seien bereits geplant, für den Rest müsste noch nachgelegt werden, sagt Windels. Der noch nicht gedeckte Bedarf sei unterschiedlich verteilt. An die Krankenhäuser sei beispielsweise schon gedacht, bei den Hochschulen dagegen hapere es noch sehr.

In Auftrag gegeben wurde die 79 Seiten lange Studie »Öffentliche Investitionen für Demokratie, Gerechtigkeit und Wohlstand in Brandenburg« vom Gewerkschaftsbund DGB und von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Es wurden ähnliche Bedarfsanalysen zuvor zum Beispiel schon für Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg erstellt.

In Brandenburg ist die für Ostdeutschland typische Entwicklung zu beobachten, dass in den 90er Jahren viele Straßen und andere Dinge saniert oder neu gebaut wurden. Seitdem aber verkommt das Volksvermögen zunehmend. Es wird tendenziell auf Verschleiß gefahren. Die einstmals geschaffenen Werte verringern sich nun unter dem Strich immer weiter. Im Westen ist das schon die ganzen vergangenen 35 Jahre der Fall gewesen.

Erforderlich wäre aus Sicht des DGB, nun endlich mutig zu investieren. Landesbezirksvize Nele Techen erinnert daran, dass dies auch noch in anderen Bereichen wie Kultur und Wohnen erforderlich wäre und nicht nur bei Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Klimaschutz. Aber für diese vier Bereiche unterlege die Studie nun mit Zahlen, was die Gewerkschaft schon lange gefordert habe.

»Politik heißt gestalten, und Gestalten kostet Geld«, sagt DGB-Landesbezirkschefin Katja Karger. Eine Chance, an die erforderlichen Mittel zu gelangen, eröffnet sich jetzt, weil die seit 2020 geltende, aber mit der Corona-Pandemie ausgesetzte Schuldenbremse auch 2025 nicht wieder in Kraft tritt. Das erlaubt dem Land Brandenburg, Schulden zu machen[1], um Investitionen zu finanzieren. Außerdem genehmigt sich der Bund ein 500 Milliarden Euro umfassendes Sondervermögen. Brandenburg wird in den kommenden zwölf Jahren auch etwas davon abbekommen. Durch Schuldenmachen und Sondervermögen stünden jährlich 700 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Brandenburg müsste nur zugreifen.

Doch Finanzminister Robert Crumbach[2] (BSW) stehe auf der Bremse, beklagt DGB-Landesbezirkschefin Karger. »Was wir im Moment nicht gebrauchen können, ist die schwäbische Hausfrau. Denn die Infrastruktur ist marode«, sagt Karger. Das Land Brandenburg sollte die sich eröffnenden Möglichkeiten nutzen.

Die Schwaben gelten als geizig und von der schwäbischen Hausfrau als Musterbild sparsamer Haushaltsführung ist die Rede, seit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) diesen Vergleich 2008 bei einem Bundesparteitag in Stuttgart bemühte.

»Die Studie kommt zum richtigen Zeitpunkt«, meint Urban Überschär, der das Landesbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung leitet. Er erwähnt bei dem Termin am Freitag als Einziger, »dass das Geld knapper geworden[3] ist«, nachdem Brandenburg seit der Corona-Pandemie außerplanmäßige Kredite aufgenommen und seine Rücklagen fast vollständig aufgebraucht hat. Doch Überschär warnt, nun zu wenig zu investieren: »Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie abgehängt werden, dass sie zu kurz kommen, dann neigen sie dazu, sich extremistischen Parteien anzunähern.«

Brandenburg könnte tatsächlich abgehängt werden. Dass dieses Bundesland bisher vergleichsweise gut dasteht und sich zuletzt bis vergangenes Jahr gegen den Trend noch positiv entwickelte, lag nicht zuletzt am Berliner Speckgürtel und an dem Modernisierungsschub durch die 2022 eröffnete Tesla-Fabrik in Grünheide. Doch gerade breche der Absatz der dort gefertigten Elektroautos ein, sagt Ökonom Windels. Man müsse schauen, was nun werde.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190244.haushalt-kredite-trotz-schuldenbremse-n-ein-trick-soll-sie-erlauben.html?
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190483.finanzen-spar-an-der-falschen-stelle-haushalt.html?
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191275.bildung-unterrichten-mit-uhr-ohne-zeiger.html?