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Im Nebel einen Berg hinauf

Zum Tode des US-amerikanischen Bestsellerautors Norman Mailer

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Sein künstlerisches und persönliches Engagement im Sinne humanistischer und dem gesellschaftlichen Fortschritt dienender Bestrebungen ist beachtenswert. Es erwächst allerdings aus einer verworrenen, höchst individualistischen Weltsicht«, so wurde Norman Mailer vor 40 Jahren in einem Lexikon aus dem Bibliographischen Institut Leipzig charakterisiert. So befremdlich das heute klingt, es ist so falsch nicht. Bis auf das »Allerdings«: Denn für diesen Autor gehörte beides zusammen – die Resistenz gegenüber herrschenden Meinungen, die politische Aufmüpfigkeit und die Eigenständigkeit, Unberechenbarkeit seiner Person. Nicht anders wollte er leben als wild und ungestüm, was Rücksichtslosigkeit gegen ihm Nahestehende einschließen mochte.

So sei hier auch das (gewohnt) rigorose Urteil von Marcel Reich-Ranicki zitiert: »Der amerikanische Autor Norman Mailer war nicht unbedingt ein bedeutender Schriftsteller – die meisten seiner Bücher sind längst vergessen – und doch ein Autor, dessen Weltruhm seine guten Gründe hat.« Einen »außerordentlichen Einfluss« von Mailers Publizistik räumt der zweieinhalb Jahre Ältere wohl ein, setzt aber den Akzent auf sein abenteuerliches Leben: dass die Massenpresse gern über seine Keilereien berichtete (in einer hat er ein Auge verloren), dass er sechs Mal verheiratet war und eine seiner Frauen mit einem Messer verletzte; hinzufügen ließen sich seine Alkohol- und Drogenexzesse.

Was von ihm für immer in der Weltliteratur bleiben wird, ist der Roman, den er 1948, als 25-Jähriger, schrieb: »Die Nackten und die Toten«, in dem er seine eigene Militärzeit von 1944 bis 1946 auf den Philippinen und in Japan reflektierte. Ein hartes Buch (in der BRD 1950, in der DDR 1967 erschienen), das ein beklemmendes Bild der amerikanischen Gesellschaft bietet – kein Antikriegsroman, an den sich der Leser anlehnen kann, sondern einer, an dem man sich reibt. Die Brutalität der Kampfhandlungen geht unter die Haut, und mehr noch schockiert die Menschenverachtung auf Seiten derer, die da einen »gerechten Krieg« gegen die japanischen Verbündeten der Nazis führen. Sind General Cummings und, auf niedrigerer Ebene, Sergeant Croft wirklich besser als ihre Gegner? Was der junge Autor hier schon als Menetekel an die Wand malt, sind die Folgen des US-amerikanischen Selbstverständnisses von Weltherrschaft: autoritäre, ja faschistoide Gesellschaftsstrukturen im eigenen Land. Es hat ihn geschmerzt, wie weit der amerikanische Traum von Freiheit und individueller Selbstverwirklichung von der Realität entfernt war. Und er blieb ohne Illusionen. Wofür er später auch immer eintrat und wogegen er sich wandte, es hatte darin seinen Kern: »sein Amerika« zu verteidigen und sich freizukämpfen aus Beengung.

»Warum sind wir in Vietnam«, fragte er 1967 in einem gleichnamigen Buch. Für seine Reportage »Heere aus der Nacht«, in der er einen Protestmarsch von Kriegsgegnern zum Pentagon schilderte, bekam er einen Pulitzer-Preis. Einen zweiten für »The Ececutioners Song« – »Gnadenlos« – über den mehrfachen Mörder Gary Gilmore. Darin deckte er zum einen die Vermarktung seines Lebens durch die Medien auf (an der er freilich selbst beteiligt war) und zum anderen ergründet er den widersprüchlichen Charakter Gilmores, der den Bundesstaat Utah zwang, das jahrelang ausgesetzte Todesurteil zu vollstrecken.

Seinen Ruf als »Angry Old Man« festigte Norman Mailer mit seinem Buch »Why are we at War« (2003), in dem er sich voller Ironie und Pathos mit »Amerikas Kreuzzug« auseinandersetzte. Präsident George W. Bush fand in Mailer einen seiner schärfsten Kritiker: Einen einmalig dummen Kriegsführer nannte er ihn; in Irak finde »der schlimmste Krieg« statt, den dieses Land je geführt hat. Wieder einmal zeigte sich Norman Mailer als redlich Unbeugsamer, der dabei immer wusste, wie man seine Stimme gebraucht.

Als Sohn einer aus Litauen eingewanderten jüdischen Buchprüferfamilie, ist Norman Mailer am 31. Januar 1923 in Long Branch/ New Jersey geboren worden und hat am Harvard College Flugingeneurswesen studiert, bevor er mit der Realität des Krieges konfrontiert wurde. Ein fester Wille, als Schriftsteller Karriere zu machen, darf vermutet werden. »Reklame für mich selber« – der Titel einer Textsammlung von 1959 erscheint programmatisch. Norman Mailer war nie jemand, dem es nur auf den Vorgang der Selbstäußerung ankam. Er hat immer auch auf ein Medienecho hingeschrieben, das, zustimmend oder ablehnend, auf jeden Fall vehement sein sollte. Nur so kann man Bücher verkaufen. Bloß nicht dem Leser gleichgültig werden!

Wer so spektakulär in die Literatur eingetreten war wie er, hat es ohnehin schwer, an den ersten Erfolg anzuknüpfen. Mit »American Dream« (1964) – »Der Albtraum« – der CIA-Satire »Harloth's Ghost« (1990) – »Gespenster« – oder »Oswald's Tale« (1995), der fiktionalen Biografie über den Kennedy-Attentäter, fand er auch bei der Kritik Zustimmung, aber zu Bestsellern sind auch andere seiner über 40 Romane geworden. Denn er hat dem Publikum immer wieder etwas Neues geboten. Kaum ein anderer US-amerikanischer Autor ist so vielseitig wie er gewesen. Das Boxen und die Friedensbewegung, der Faschismus und die Revolution, das Leben Jesu und das der Marilyn Monroe, der alt-ägyptische Totenkult, Sex und Politik – seine Interessen waren weit gespannt.

Das zeigt sich auch in seinen jüngsten Arbeiten. In »Über Gott« (2007) geht es um die Haltung des früheren Atheisten Norman Mailer zum Glauben und in »Das Schloss im Wald« (2007) um Adolf Hitler und »D.T«. Ja, tatsächlich: »Ich glaube der Teufel war im Herzen Adolf Hitlers«, meint der Autor – was historisch denkenden Lesern, gelinde gesagt, dubios vorkommen dürfte. »Es ist eine fünfhundert Seiten dicke Zumutung«, urteilte eine Kritikerin, »aber es liest sich.«

Der Autor hielt's für einen großen Wurf, saß schon an Teil zwei und hätte am liebsten fünf Bände dazu gemacht. »Ach, wissen Sie – ich bin heute in einer besseren Laune, als ich jemals war«, sagte er noch am 24. September 2007 in einem Interview. »Ruhig. friedlich. Sicher, physisch laufen die Dinge nicht so gut. Und ich werde irgendwann gehen. Aber ich bin erstaunlich gelassen. Und neugierig?« Auf den Tod? »Ja. es ist ein bisschen so, wie im Nebel langsam einen Berg hinaufzusteigen ...«

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