Keine Bären auf Russlands Straßen

Spannend an den Dumawahlen im Dezember ist allenfalls der Kampf um Platz zwei

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit der Partei »Einiges Russland«, deren Spitzenkandidat der »parteilose« Wladimir Putin ist, scheint der Sieger klar zu sein. Trotzdem bleibt die Parlamentswahl am 2. Dezember in Russland eine spannende Angelegenheit.

»Hier laufen keine Bären durch die Straßen – das wollen wir der Welt zeigen.« So bringt Oleg Morosow, Vizevorsitzender der Staatsduma, der Partei »Jedinaja Rossija« (Einiges Russland) und ihrer Fraktion die Wahl zur Duma auf den politischen Punkt. Am Sieg mag nicht er und auch sonst niemand zweifeln. Wenn es überhaupt gewisse Sorgen gibt, dann vielleicht um die absolute Mehrheit.

500 Gesetze habe die so genannte Partei der Macht vorbereitet, nur 100 seien bis zur Wahl zu schaffen, begründet Morosow vor internationalen Experten vom »Club Waldai« die vom Kreml und seinem Hausherrn gewünschte Kontinuität. Sie muss auch deshalb als unzerstörbar zementiert gelten, weil sich Präsident Putin inzwischen persönlich und demonstrativ zu seiner Partei-Schöpfung bekannt hat und ihr unübersehbar präsidiale Statur, programmatische Richtung und medial allgegenwärtige Stimme verleiht. Angesichts der allgemeinen Umfragezustimmung könne niemand gegen Putins erklärten Willen gewählt werden, sagt Morosow.

So wäre der Sieger also gesetzt. Nicht nur der Politologe Dmitri Orlow sieht deshalb den Kampf um Platz zwei zwischen der KP der Russischen Föderation (KPRF) und der Partei »Gerechtes Russland« als das einzig Spannende. Dabei habe die KP größere Chancen: »Sie wird wohl auf 15 bis 17 Prozent, ›Gerechtes Russland‹ auf 12 bis 14 Prozent kommen«, glaubt Orlow.

Die »Gerechten« bilden die zweite und deutlich blassere Kremlpartei. »Sprawedliwaja Rossija« sollte künftig eine Art sozialdemokratischen Part in einem Zwei-Parteien-System übernehmen. Davon hat sich Putin mit seinem einseitigen Engagement aber offenbar abgewandt.

Das Protestpotenzial samt scharfer sozialer Ausrichtung als Partei der Werktätigen könnte die Kommunistische Partei unter Vorsitz Gennadi Sjuganows locker übernehmen. »Nur wir werden als ernsthafte Opposition angesehen«, ist Sjuganow bei einem Gespräch in einem Restaurant am Moskauer Gartenring überzeugt.

Die Forderung nach »Gerechtigkeit für die Erde« und einer ebensolchen Verteilung des Profits unter Berufung auf Marx kommt dem Zuhörer nicht unbekannt vor. »Macht ohne Kontrolle ist ein Unglück«, klagt der Politiker, und die Macht in Russland sei eine »absolute der Beamten, Bürokraten und reichen Bourgeois«.

Dem wollen die Kommunisten als »stärkste Organisation«, die allerdings mit deutlich über 60 Jahren auch das höchste Durchschnittsalter der Mitglieder vermeldet, und als »kluge Opposition« entgegentreten. Das Beispiel Chinas als früherer Fahrrad- und heutiger Wachstumsweltmeisternation gilt Sjuganow als leuchtender roter Stern.

Die Kommunisten vergeben inzwischen wieder Pioniertücher an tausende Jungen und Mädchen und organisieren sich mit Hilfe des Nachwuchses durchaus modern. »Junge Leute kümmern sich um das Internet, und wir können alle Parteiorganisationen schnell informieren«, sagt stolz der KP-Chef. »Wir sind die letzten Garanten der Bürgerrechte, der Gerechtigkeit und der Freiheit des Wortes«, donnert der gelernte Lehrer routiniert. Seit fast 15 Jahren führt der 63-Jährige nun schon die KP, zweimal kandidierte er bei Präsidentschaftswahlen, erst gegen Jelzin, dann gegen Putin,

Gennadi Andrejewitsch wirkt gewohnt brummig, hat an Statur nichts verloren und zieht betont heiter auch in diese Schlacht. Munter signiert der Vorsitzende sein Büchlein »100 Witze von Sjuganow«. Die zielen zumeist auf Putin, obwohl auch Bären und Hasen erscheinen. Selbst Rabe und Fuchs machen mit. Ob er wählen gehe, fragt der Fuchs den Raben, worauf der »Njet!« kräht, dabei aber den Käse aus dem Schnabel verliert. Der Fuchs entweicht mit der herabgefallenen Beute und der Geprellte fragt sich: »Was aber hätte sich geändert, hätte ich ›Ja‹ gesagt?«

Für die Liberalen, als deren Vordenker – vor allem im Ausland – seit Post-Perestroika-Zeiten unverändert der Jabloko-Vorsitzende Grigori Jawlinski gilt, ändert sich sicher nichts. Auf dieser Seite des politischen Spektrums kann man sich einfach nicht auf Kooperation einigen. Wladimir Ryshkow, Irina Hakamada und manche andere gehen wie Jawlinski – bei aller intellektuellen Brillianz – sehenden Auges der politischen Bedeutungslosigkeit entgegen. Retten dürfte sich ironischerweise vielleicht gerade noch der höchst unliberale und rüplige Rechtsaußen Wladimir Shirinowski, Chef der Liberal-Demokratischen Partei.

Für das Mehrparteiensystem hat sich Präsident Putin klar ausgesprochen: »Es gibt kein anderes stabilisierendes System für die Gesellschaft.« Doch übertreiben will er es auch nicht. Das Scheitern der meisten der 11 antretenden Gruppierungen an der von ihm auf 7 Prozent angehobenen Hürde gilt als sicher. »400 Sitze der neuen Duma gehen an die Parteien der Macht, 50 bleiben für den Rest, und selbst die siegreiche Partei hat mit dem Regieren nichts zu schaffen«, klagt Jawlinski resigniert in seiner Parteizentrale im restaurierten Moskauer Zentrum.

Heftig umworben, doch letztlich gewohnt unbeachtet bleibt jene beachtliche Wählergruppe, die niemandem den Vorzug geben möchte. Allerdings wurde die Rubrik »Gegen alle« von den Wahlzetteln genommen. Örtlich erhielt dieser Nichtkandidat in der Vergangenheit oder bei Umfragen bis zu 40 Prozent. Was jetzt bleibt, sind die hier »Negativisten« genannten Verweigerer – rund 15 Prozent der Wählerschaft, die den Abstimmungslokalen fern bleiben wollen.

Der Leiter der Zentralen Wahlkommission Wladimir Tschurow wird mit dem Satz zitiert, dass es einige Leute überraschen möge, »aber ich versuche tatsächlich, bei den Wahlen niemanden zu betrügen«. Das dürfte auch kaum nötig werden.

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