nd-aktuell.de / 01.06.2025 / Berlin

Kleiner Buchladen: Abschiedsfeier im Karl-Liebknecht-Haus

Nach 35 Jahren ist der Kleine Buchladen im Karl-Liebknecht-Haus geschlossen worden

Andreas Fritsche
Ein letztes Mal Andrang im Kleinen Buchladen im Karl-Liebknecht-Haus bei der Abschiedsfeier am Freitagabend.
Ein letztes Mal Andrang im Kleinen Buchladen im Karl-Liebknecht-Haus bei der Abschiedsfeier am Freitagabend.

Auf den Fensterbrettern stehen Kisten mit alten Büchern, die vom versunkenen Leseland DDR künden. Verlage, die längst abgewickelt sind oder nur noch ein Schattendasein führen, konnten einst auf Qualität achten. Sie druckten dies und jenes nicht, was politisch unerwünscht war. Vor allem aber verlegten sie keinen Schund. So müssen in Berlin die letzten Kunden des Kleinen Buchladens[1] im Karl-Liebknecht-Haus am Freitag und Samstag nicht lange stöbern, um lesenswerte Literatur zu entdecken.

Ein Schauspieler ist zufällig vorbeigekommen und erfährt erst jetzt, dass der Kleine Buchladen nach 35 Jahren geschlossen wird. Der 84-Jährige bedauert es zutiefst. Er nutzt die letzte Gelegenheit und kauft »Aus Goethes Brieftasche«, die schönsten Aufsätze des Dichters über Natur, Kunst und Volk und dazu Baltasar Gracians »Kunst der Weltklugheit« für zusammen fünf Euro.

Es bildet sich noch einmal eine lange Schlange an der Kasse. Wenn es immer so wäre, hätte Inhaber Wanja Nitzsche nicht aufgeben müssen. Aber so, wie die Umsätze während der Corona-Pandemie eingebrochen waren, ging es nicht mehr weiter. Die Miete war dem Buchladen schon lange erlassen worden, und er musste auch keine Betriebskosten mehr zahlen. Es nützte alles nichts.

Als Göran Schöfer den Kleinen Buchladen 2012[2] übernahm, konnten die damals schon einmal eingebrochenen Umsätze nur stabilisiert, aber leider nicht gesteigert werden. Ohne ehrenamtliches Engagement und Beschäftigung zum Niedriglohn wäre es schon viel früher vorbei gewesen. »Viele dachten, mit so einem Buchladen könne man sicher Geld verdienen«, erzählt Schöfer. »Wir konnten es leider nicht.«

Wanja Nitzsche hat sich von Schöfer zum Buchhändler ausbilden lassen und übernahm den Laden 2023[3], als Schöfer in Rente ging. »Als ich angefangen habe, habe ich geahnt, dass das nicht klappen wird«, sagt Nitzsche am Freitagabend bei der Abschiedsfeier im Innenhof des Karl-Liebknecht-Hauses. Er schildert die allgemeine Krise der Buchhandlungen. Selten eröffne eine neu, aber regelmäßg melde das Börsenblatt der Branche Schließungen. Nitzsche spricht an, was seiner Meinung nach schief läuft. Bücher für 24 Euro und mehr seien einfach zu teuer. Da überlege sich ein Arbeiter dreimal, eins zu kaufen, wenn er mehrere Stunden dafür arbeiten müsse. Erschwingliche Taschenbücher seien nicht von ungefähr einst von Arbeiterkindern erfunden worden, erinnert Nitzsche. »Wir haben jeden Tag Leute im Laden, die können sich die neuen Bücher einfach nicht leisten.« Außerdem fehle es an allgemeinverständlicher Literatur. Linke Verlage würden zu oft viel zu komplizierte Schriften verlegen, für die sich nur ein ganz kleiner Kreis von Intellektuellen interessiere.

Zur Abschiedsfeier sind einige gekommen, die im Laufe der Jahre im Kleinen Buchladen oder seinen früher vorhandenen Filialen gearbeitet haben: Noch ganz jung Kim Just, alt geworden Birgit Hoffmann. Ihr Mann Werner Hoffmann hatte 1990/91 begonnen, Bücher bei PDS-Veranstaltungen zu verkaufen. Er baute ein kleines Netz von Buchläden in Berlin, Dresden und Potsdam auf, wobei der Verkauf oft bei den Geschäftsstellen der Partei angesiedelt war, so wie in Alt-Marzahn 64, wo der Kleine Buchladen seinen Anfang nahm und wo Klaus Baltruschat arbeitete. 1995 verunglückte Werner Hoffmann. Doch seiner Frau Birgit hatte er zuvor gesagt, wenn ihm einmal etwas zustoßen sollte, so solle sie den umsatzstärksten Laden behalten und die anderen abgeben. Der höchsten Umsatz sei im Karl-Liebknecht-Haus gemacht worden, erinnert sich Birgit Hoffmann.

»Wir haben jeden Tag Leute im Laden, die können sich die neuen Bücher einfach nicht leisten.«

Wanja Nitzsche Buchhändler

In Alt-Marzahn übernahm Klaus Baltruschat[4] mit seiner Frau. Die kauften niemals etwas für ihr Antiquariat an. Einwohner von Berlin-Marzahn leerten bei Umzügen ihre Regale und brachten die Bücher, für die sie keinen Platz mehr hatten. Die Baltruschats trugen in diese Bücher keine Preise ein, sondern sagten ihren Kunden, diese sollten geben, was ihnen das jeweilige Exemplar wert sei und was sie zahlen können. Wer kein Geld hatte, durfte sich auch mal ein Buch umsonst einstecken. Andere gaben freiwillig 20 Mark für Nikolai Ostrowskis Roman »Wie der Stahl gehärtet wurde«.

Reich konnten die Baltruschats damit nicht werden. Einmal hatten sie im Jahr 1998 dennoch eine Million Mark auf dem Konto. Das kam so: Sie hatten die Einnahmen einer Woche bei der Bank eingezahlt. Doch eine Bankangestellte irrte sich und verbuchte statt 5000 Mark 500 000 Mark. Auf den Fehler aufmerksam gemacht, zog sie nicht 500 000 ab, sondern buchte weitere 500 000 Mark dazu. »Wir hatten von Freitag bis Montag tatsächlich eine Million auf dem Konto«, erzählt Klaus Baltruschat. »Aber wir sind ja ehrliche Leute.«

Baltruschat berichtet auch, welche Folgen der Angriff des Neonazis Kay Diesner im Februar 1997 hatte. Eine Folge ist nicht zu übersehen. Diesner hatte auf Klaus Baltruschat geschossen, dem der linke Unterarm amputiert werden musste. Auf der Flucht hatte Diesner dann in Schleswig-Holstein einen Polizisten erschossen und deshalb wurde dem Täter in Lübeck der Prozess gemacht. Um bei den Gerichtsterminen dabei zu sein, fehlten die Baltruschats an insgesamt 54 Tagen in ihrem Buchladen. Es hätte den wirtschaftlichen Ruin bedeuten können. Doch ein Pfarrer schickte seinen erwachsenen Sohn zur Aushilfe, und auch andere halfen ohne Lohn, den Laden in der genannten Zeit offen zu halten.

Baltruschat ist am Freitagabend schon gegangen, als auf dem Hof Liedtexte ausgeteilt werden, um gemeinsam zu singen. Zuerst wird die »Internationale« angestimmt. »Wacht auf, Verdammte dieser Erde«, schallt es die Fassade der Bundeszentrale der Linken hinauf. Und: »Es rettet uns kein höhres Wesen.«

Wanja Nitzsche und Kim Just arbeiten jetzt schon in anderen Buchläden. Ein Potenzial sieht Nitzsche aber nach wie vor auch im Karl-Liebknecht-Haus. Mit der Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner sei er darüber im Gespräch, verrät er. Vielleicht findet sich noch eine neue Lösung.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190630.kleiner-buchladen-linke-buchhandlung-im-karl-liebknecht-haus-wird-geschlossen.html?
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/204772.kleiner-buchladen-steht-vor-dem-ende.html?
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171633.kultur-kleiner-buchladen-grosses-ziel.html?
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1134799.linke-geschichte-fuer-jede-ein-foto.html?