Der US-amerikanische Christ Dean und die indische Hindu Adheti haben vor vier Monaten in den USA geheiratet. Vor knapp zwei Monaten wurde dann in Indien geheiratet. In Nashik, 160 Kilometer nordöstlich von Mumbai – nach hinduistischen Bräuchen und Traditionen. Eine beeindruckende, pompöse Feier an drei Tagen mit knapp 700 Gästen aus ganz Indien und acht US-Amerikanern. Bunt, fröhlich und offen ging es her, mit Tanz, Musik, Essen und Showeinlagen.
»Meine Eltern hatten nie ein Problem mit der interreligiösen Hochzeit, weil sie wussten, dass wir beide es ernst meinen«, sagt Adheti in einer kurzen ruhigen Minute auf der Hochzeit. Die 27-Jährige lebt zusammen mit ihrem Ehemann seit vier Jahren in den Staaten und studiert dort. Dennoch sei für ihren Mann, Dean, alles neu gewesen, sagt sie. »Er war erst einmal in Indien und kennt den Hinduismus nicht gut.«
Eheschließungen zwischen zwei Religionen sind nicht immer leicht. Besonders in Indien. Zwar sind interreligiöse Ehen unterschiedlicher Religionen und Kasten standesamtlich auf Basis des 1954 eingeführten Special Marriage Act in Indien teilweise möglich. Dennoch sind sie gesellschaftlich verpönt. Es kann durchaus vorkommen, hört man, dass Paare wegen ihrer Heiratsabsicht getötet werden.
Wer als Muslim einen Hindu oder umgekehrt heiraten will, der muss sich von nun an offiziellen Prüfungen unterziehen, besser gesagt: unterwerfen.
»Interreligiöse Ehen werden auch von staatlicher Seite nicht gern gesehen«, erklärt die Indologin der Universität Heidelberg Ute Hüsken gegenüber »nd«. Geächtet sind vor allem Eheschließungen zwischen Muslimen und Hindus oder Christen. Zumal der Islam in Indien spätestens seit dem Siegeszug des Hindunationalismus von Premierminister Narendra Modi keinen leichten Stand mehr hat.[1] Im Gegenteil.
Das bestätigt auch Patrick Eisenlohr vom Centre for Modern Indian Studies der Georg-August-Universität Göttingen. Und führt den bekannten wie umstrittenen Film »Bombay« von Mani Rathnam aus dem Jahr 1995 an. »Wie die Handlung des Filmes auch schon andeutet, haben solche Ehen manchmal das Potenzial, schwere Konflikte, wenn nicht Gewalt auszulösen«, sagt Eisenlohr. Der Film erzählt die Geschichte von Shekhar und Shaila Bano. Beide wachsen in einem kleinen Dorf im Süden Indiens auf. Als sich der Hindu Shekhar in die Muslimin Shaila Bano verliebt, können das die Väter nicht akzeptieren und es kommt zum folgenschweren Bruch in und mit den Familien.
Diese schmerzhaften Erfahrungen machen viele junge Paare verschiedenen Glaubens und verschiedener Kasten, die es offiziell in Indien eigentlich so nicht mehr gibt. In den Köpfen der Inder existieren sie sehr wohl weiter. Diese »Mauer in den Köpfen« ist vielen auch aus Deutschland bekannt. Manche Paare müssen sich vor der Heirat wieder trennen, da ihre Familien – in Indien von zentraler Bedeutung – dies so wünschen. Andere müssen heimlich heiraten oder ganz abtauchen und sich von ihren Familien lossagen. Schwierig in Indien, denn die Familie ist omnipräsent.
Der indische IT-Spezialist Milind, selbst Hindu, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, erklärt, dass in gebildeten Familien und urbanen Gegenden die Zustimmung zu gemischten Ehen tendenziell höher ist. Voraussetzung: »Das Paar heiratet auch tatsächlich.« Eine 2020 veröffentlichte Studie des Pew Research Center über Religion und religiöses Zusammenleben in Indien unterstreicht, dass im Süden des Landes und in urbanen Gebieten der Anteil der Menschen, die sich gegen gemischte Ehen aussprechen, geringer als im Zentrum und im Norden des Landes ist.
Dennoch bestätigt auch Milind die Einschätzung, dass interreligiöse Ehen kein einfaches Thema in Indien seien. Viele Inder neigten dazu, Freundschaftskreise innerhalb ihrer eigenen Religionsgemeinschaft zu bilden, und heirateten meistens jemanden, der die gleiche Religion hat. »Interreligiöse Ehen sind eher selten, und viele finden es sehr wichtig, dass Männer und Frauen in ihrer Gemeinschaft nur innerhalb ihrer Religion heiraten«, schreiben die Autoren der Studie des Pew Research Center. Besonders stark verbreitet sei dies bei Hindus und Muslimen; Christen und Buddhisten hätten tendenziell etwas offenere soziale Netzwerke und legten weniger Wert auf die Vermeidung interreligiöser Ehen.
»Insbesondere die soziale Klasse ist da ein wichtiger Punkt. Mir sind durchaus unproblematische interreligiöse Ehen aus dem akademisch-wissenschaftlichen Umfeld von Kollegen in Indien bekannt«, sagt Eisenlohr. Auch in der Welt der Filmstars sind laut dem Forscher interreligiöse Ehen nicht ungewöhnlich. Aber: »Oft lastet auf solchen Ehen in Indien latent die Last des modernen Kommunalismus (ein wissenschaftlicher Begriff, der vor allem in Südostasien eine Ideologie bezeichnet, die aus einer sozialen Gemeinschaft auch eine politische konstruiert, Anm. d. Red.), der derzeit besonders ausgeprägt ist durch die hindunationalistischen Strömungen und gezielte antimuslimische Kampagnen.
Ganz andere, nämlich positive Erfahrungen machte das junge internationale Ehepaar – der Christ Dean und die Hindu Adheti. Auch Deans Eltern freuten sich über die internationale Eheschließung. «Das ist etwas ganz Besonderes für uns», sagt sein Vater mit Stolz. Die Probleme interreligiöser Ehen im Vielvölkerstaat Indien seien ihnen zwar bekannt gewesen, aber nicht so im Falle von Dean und Adheti. «Sie passen doch gut zueinander», findet der Vater.
Was man in Indien unter «Love Jihad» versteht, dürfte Dean und seiner US-amerikanischen Familie daher auch nicht ganz so geläufig sein. Unter diesem 2009 von einem katholischen Priester im Süden Indiens erfundenen Kampfbegriff werden Muslime verdächtigt, hinduistische und christliche Frauen zu verführen, damit diese zum Islam übertreten und die gemeinsamen Kinder Muslime werden. Hindunationalistische Organisationen sind auf diesen Zug schnell aufgesprungen, wie etwa Premierminister Modis amtierende Regierungspartei BJP und die radikale Kaderorganisation RSS. «Das ist traurig», sagt Milind, der nicht versteht, wieso die Nation so weiter gespalten wird.
Die Familie ist nicht nur als Mikrokosmos wichtig, sondern nicht selten wurde früher die ganze Nation als inklusive Familie gesehen – egal, welcher Ethnie und Religion. Dies ist durch das «Erstarken des Hindunationalismus in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend marginal geworden», erklärt Wissenschaftler Eisenlohr.
Seit November 2020 gibt es ein Dekret, das religiöse «Konversion», also den Übertritt in eine andere Religion, nur dann billigt, wenn dabei keine Gewalt und betrügerische Mittel einhergehen. Die Konversion eigens für eine Eheschließung ist auch verboten und wird in der Regel mit Gefängnisstrafe geahndet. Anlass dafür waren vor fünf Jahren vermehrte Übertritte hinduistischer Mädchen zum Islam – vor allem im Norden des Subkontinents und vor etwa 20 Monaten eine Klage eines Muslims vor dem höchsten Gericht in Indien.
Auch das höchste Gericht hatte vergangenes Jahr die verabschiedeten Gesetze gegen den sogenannten Love Jihad für rechtens erklärt. Zuvor hatte der muslimische Mann gefordert, die Anklage gegen ihn wegen Vergewaltigung eines Mädchens fallen zu lassen. Er hatte laut «Vatikan News» das Mädchen nach dessen Konversion zum Islam geehelicht. Das Paar hatte vor der Eheschließung einen Kompromiss erreicht und forderte gemeinsam den Freispruch des Mannes.
Es sei besser gewesen, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, so das Gericht. Diese soll die Konversion als freiwilligen Akt bescheinigen, wenn man sich über alle Folgen und Konsequenzen im Klaren sei.
Schwierige Zeiten für alle, die fortan interreligiös heiraten wollen. Mehr noch: Wer als Muslim einen Hindu oder umgekehrt heiraten will, der muss sich von nun an offiziellen Prüfungen unterziehen, besser gesagt: unterwerfen. Diese Prüfungen sehen vor, dass der Ehepartner über alle Rituale, Praktiken und Gebräuche des neuen Glaubens aufgeklärt wird und umfangreiches Wissen sammelt. «Aller Konsequenzen» eines solchen Aktes muss er sich laut Gerichtshof bewusst sein, berichtet «Vatikan News». Beispielsweise werden «verpflichtende Ehe-Vorbereitungskurse» ins Spiel gebracht.
Selbstredend sind gemäß der Anordnung «gewaltlose» Übertritte zum Christentum, Hinduismus oder auch Islam keineswegs verboten, dennoch sind allein in elf von 29 indischen Bundesstaaten Konversionen generell untersagt. In den Bundesstaaten Madhya Pradesh und Uttar Pradesh sind interreligiöse Heiraten komplett verboten.
Adheti hatte Glück, dass ihre Familie aus dem Bundesstaat Maharashtra im Westen Indiens stammt, sie dort aufgewachsen ist und auch dort geheiratet hat. Und dass Dean kein Muslim ist.