nd-aktuell.de / 02.06.2025 / Politik

Polen: Systemkritik gab knapp den Ausschlag

Skandale des rechtspopulistischen Kandidaten Nawrocki fielen nicht entscheidend ins Gewicht

Katja Spigiel
Stimmabgabe in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl in Polen in Sopot.
Stimmabgabe in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl in Polen in Sopot.

Wer ist das kleinere Übel? Die Frage könnten sich viele Pol*innen gestellt haben. Dabei ging es vor allem um die Stimmen der mäßig Überzeugten. Die Redewendung »na żyletki« war seit der ersten Wahlrunde vor zwei Wochen viel zu hören – also eine Wahl, die so haarscharf ist, als würde man auf Rasierklingen balancieren.

In ersten Prognosen kurz nach Schließung der Wahllokale lag der liberale Rafał Trzaskowski 0,6 Prozentpunkte vor seinem Kontrahenten. Ein Vorsprung im Bereich des statistischen Fehlers. Doch der Oberbürgermeister Warschaus und Kandidat der in der Regierungskoalition unter Donald Tusk führenden Partei trat kurz nach den ersten Hochrechnungen vor die Kameras und erklärte sich zum Sieger.

Der von der rechtspopulistischen PiS-Partei aufgestellte bürgerliche Kandidat, Karol Nawrocki, zeigte sich zeitgleich kämpferisch. Man habe sich nicht vom politischen Gegner brechen lassen, erklärte er und fügte hinzu: »Wir werden noch gewinnen.« Als die folgenden Hochrechnungen ihm einen Vorsprung prognostizierten, dürfte sich das Gefühl verfestigt haben.

In den Sondersendungen zur Wahl im TV und auf Nachrichtenportalen konnte lange keine Rede von einem Sieger sein, dafür waren die Prognosen zu vage. Teilweise wirkte es, als ob niemand so recht wusste, was überhaupt zu sagen war.

Am Morgen wurde dann klar: Karol Nawrocki ist als der nächste polnische Präsident gewählt. Der ist als ehemaliger Hooligan bekannt, der bestätigt, sich häufiger an Schlägereien beteiligt zu haben. Außenpolitisch inszenierte sich der unerfahrene Politiker als Sympathisant der Trump-Politik und EU-Gegner. Innenpolitisch schmiegte er sich besonders stark an die rechtsextremen, systemkritischen Kräfte und versprach, ohne Wenn und Aber ihre politischen Forderungen zu übernehmen.

Dabei hatte der zurückliegende Wahlkampf immer neue, zweifelhafte Episoden der Vergangenheit des 42-Jährigen zu Tage befördert: Auf die Frage nach seinem Wohneigentum hat Nawrocki erst gelogen. Dann kam heraus, dass er einem hilfsbedürftigen Mann Hilfe angeboten und sich im Gegenzug dessen Wohnung angeeignet haben soll. Kritiker*innen sahen darin Missbrauch einer prekären Situation einer vereinsamten Person. Nawrockis Glaubwürdigkeit mag das geschadet haben, nicht aber seinen Zustimmungswerten. Eine weitere Recherche[1] ergab kurz vor der Stichwahl, dass Nawrocki als Wachmann eines Hotels in Sopot Gästen Prostituierte vermittelt haben soll. Auch das hatte offenbar kaum schädliche Folgen für ihn.

Die Parlamentsabgeordnete Aleksandra Kot, die sich im Trzaskowski-Wahlkampf für die Mobilisierung von jungen Wähler*innen engagierte, schrieb dem »nd« dazu: »Wir haben bis zum Ende gehofft, dass es klappt. Die Stimmen von rechts waren dann doch zahlreicher.« Dass Trzaskowski als Kandidat des Regierungslagers ins Rennen gegangen ist, dürfte ihn für viele kaum wählbar gemacht haben – selbst wenn er sonst größtenteils[2] von Skandalen verschont geblieben ist. Die 2023 gewählte Koalition, die die rechtspopulistische PiS ablöste, konnte viele Versprechen nicht einlösen – zum einen wegen des Vetos des amtierenden PiS-nahen Präsidenten, zum anderen wegen Uneinigkeiten der Koalition. Wähler*innen hat das frustriert. Die Aufgabe lautete: diejenigen, die bei der Parlamentswahl zahlreich an die Urnen gegangen waren, wieder mobilisieren. Und sie davon zu überzeugen, das zu Ende zu bringen, was mit der vorherigen Wahl begonnen wurde.

In klassischen Medien wie auch in sozialen Medien wurde das Argument stark gemacht, dass es weniger darum gehe, für einen Kandidaten zu stimmen, sondern darum, den anderen zu verhindern. Die Polarisierung zwischen einer liberalen und einer konservativen Weltsicht erwies sich am Ende als entscheidend und ließ Skandale des PiS-Kandidaten in den Hintergrund treten.

Der parteilose Nawrocki wollte auch die ansprechen, die sich klar gegen das politische Establishment aussprechen. Mit dem aus dem Englischen übersetzten Ausspruch »Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente, dann ist es wahrscheinlich eine Ente« brachte Trzaskowski in einem TV-Duell auf den Punkt: Nawrocki bringe PiS-Politik in den Präsidentenpalast.

Links:

  1. https://wiadomosci.onet.pl/wybory/wybory-prezydenckie/karol-nawrocki-i-tajemnice-grand-hotelu-zrodla-onetu-uczestniczyl-w-procederze/kqwwbef
  2. https://notesfrompoland.com/2025/05/15/polish-ngo-implicated-in-alleged-illegal-election-ads-favouring-frontrunner-trzaskowski/