»Das patriotische Polen hat gewonnen.« Das bekundete Karol Nawrocki, der Kandidat der nationalkonservativen Opposition, am Wahlabend triumphierend. Nawrocki wird das künftige Staatsoberhaupt eines Landes, in dem die Präsidentschaftswahl die scharfe Teilung in zwei politische Hälften noch einmal bestätigte. Aber die Waage schlägt am Ende nach rechts aus. Nawrocki gewann 50,9 Prozent der abgegebenen Stimmen, Rafał Trzaskowski,[1] der Kandidat des Regierungslagers, kommt auf 49,1 Prozent. Beide Kandidaten erhielten jeweils über zehn Millionen Stimmen, ganze 360 000 Stimmen machen den Unterschied. Die politische Farbe im Präsidentenpalast wechselt nicht, allerdings wird der nationalistische Grundton noch einmal verstärkt.
Nawrocki war von Parteichef Jarosław Kaczyński für die rechtspopulistische PiS zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl bestimmt worden, was auch im eigenen Lager überraschte, denn der mit einer Arbeit zum antikommunistischen Widerstand in der VR Polen promovierte Historiker hat kaum politische Erfahrung vorzuweisen. Der 42-Jährige war in dem Feld der für die Kaczyński-Richtung so wichtigen Geschichtspolitik die Karriereleiter hochgeklettert. Von 2017 bis 2021 war er Direktor im Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk, im Mai 2021 wurde er vom Sejm zum Direktor des staatlichen Instituts für Nationale Erinnerung (IPN) gewählt. Das IPN hatte in der Regierungszeit der Nationalkonservativen nach 2015 eine überragende Bedeutung bekommen für die Neudeutung der jüngeren Vergangenheit, die beiden tragenden Säulen sind die deutsche bzw. sowjetische Okkupation im Zweiten Weltkrieg und die Zeit der Volksrepublik Polen.
Kaczyńskis Entscheidung, Nawrocki ins Rennen gegen den Warschauer Stadtpräsidenten Trzaskowski zu schicken[2], zeugt jedenfalls von dem großen politischen Gewicht, das dem strikt antikommunistisch ausgerichteten Umgang mit Polens Zeitgeschichte beigemessen wird. Obendrein hatte er einen Kandidaten gefunden, dem der deutschlandkritische Blick gar nicht erst gelehrt werden musste. Kein Zufall also, wenn die »deutsche Karte« im Wahlkampf gezogen wurde, denn Trzaskowski hätte – so die widersinnige Behauptung – im Bunde mit Regierungschef Donald Tusk deutschen Interessen in die Hände gespielt, die polnischen im Stich gelassen. Wer es nämlich mit dem EU-Blau übertreibe, wer nationale Souveränitätsrechte leichtfertig weiter zugunsten Brüssels abbauen wolle, der agiere schlichtweg im Sinne Berlins! Oder anders gesagt: Trzaskowski zeige sich gerne als glühender Anhänger der blauen EU-Fahne, das polnische Weiß-Rot stehe ihm gar nicht, es sei anmaßend wie beleidigend, wenn er sich damit kleide.
»Das patriotische Polen hat gewonnen.«
Karol Nawrocki Polens Präsident in spe
Angelegt im Wahlkampf war bereits die künftige Rolle, die Nawrocki nun spielen wird. Die Floskel, ein Präsident aller Polen sein zu wollen, also zumindest zu suggerieren, auch die Interessen der unterlegenen Hälfte angemessen zu berücksichtigen, wird Nawrocki wohl nicht über die Lippen kommen. Er sieht sich als Repräsentant des »patriotischen Polens«, dieses hat gewonnen. Die erste Aufgabe werde sein, die »antipatriotischen« Angriffe der Gegenseite – also die mit parlamentarischer Mehrheit verabschiedeten Gesetzesvorhaben der Regierung – zu parieren. Das Präsidentenveto ist ein scharfes Schwert, ein ausgesprochener Fluch im politischen System Polens, wenn es einseitig parteipolitisch gezogen wird. Ex-Präsident Aleksander Kwaśniewski hatte den Kandidaten aus eigener Erfahrung empfohlen, im Falle des Sieges auch die unterlegene Seite bei der Postenbesetzung im Präsidentenamt zu berücksichtigen, um Brücken über die immer tiefer werdende Trennungslinie zu bauen.
Gezielt wird im Kaczyński-Lager nun auf die nächsten Parlamentswahlen, die turnusmäßig im Herbst 2027 anstehen. Gerechnet wird mit einer sich im »Stellungskrieg« gegen den Präsidentenpalast zermürbenden Regierungskoalition, die sogar früher zerbrechen könnte. Zwar erklärte Ministerpräsident Tusk, dass die Koalitionsregierung zusammenhalten werde, doch die Niederlage Trzaskowskis ist ein herber Rückschlag. Im Herbst 2023 hatten bei den Parlamentswahlen die jungen Wählerschichten (bis 39 Jahre) für den Sieg des gegen die nationalkonservative Regierung vereinten demokratischen Oppositionslagers gesorgt. Jetzt hatte in diesem wichtigen Wählerbereich Nawrocki die Nase vorn, plakativer »Patriotismus« siegte über das Versprechen, vor allem jene Dinge in Ordnung zu bringen, die für eine emanzipatorische Gesellschaftsentwicklung von zentraler Bedeutung sind. Aus der Perspektive der Frauenproteste vom Herbst 2020 ist der Wahlausgang eine kaum vorstellbare Entwicklung, die indes viel zu tun haben dürfte mit der Regierungsarbeit seit Herbst 2023. Und mit einer veränderten politischen Großwetterlage – mit Trump, mit den hörbarer werdenden Tönen gegen die Ukraine, mit nachlassender Bindungskraft der kriselnden EU.
Die Großstädte haben Trzaskowski gewählt, der Norden wie Westen des Landes bleiben mehrheitlich liberal ausgerichtet. Umgekehrt sind der Osten und Südosten – wie gehabt – stolze Hochburgen der Nationalkonservativen, über 80 Prozent der Landwirte haben Nawrocki die Stimme gegeben. Viel hat sich nicht geändert an den seit zwei Jahrzehnten bekannten Strukturen und Gefällen – doch der Wahlausgang wird gravierende Folgen haben.