Noch immer kämpfen vor allem einst von Berufsverboten Betroffene[1] für die Aufarbeitung des »Radikalenerlasses«[2]. Der führte in der BRD ab 1972 zu Hunderttausenden Anfragen öffentlicher Arbeitgeber beim Verfassungsschutz. Der sollte mitteilen, ob ein Beamter oder Anwärter auf eine Stelle fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe. Auskünfte wurden fast nur über Linke angefragt. Einer von ihnen ist Werner Siebler[3], der wegen seiner DKP-Mitgliedschaft ab 1984 nicht mehr Briefträger sein durfte.
Der Freiburger klagte sich 1991 wieder in seinen Job ein. Aber: Er verlor den damals bei der Post üblichen Beamtenstatus. Die Folge: Der 69-Jährige bekommt jeden Monat 600 Euro weniger Rente als seine Altersgenossen. Außerdem wurde der aktive Gewerkschafter und ehrenamtliche Richter am Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg weiter »beobachtet«. Seit 2021 dringt er deshalb auf Herausgabe der über ihn gesammelten Informationen. Immerhin: 37 »Erkenntnisse« wurden ihm mitgeteilt. Über die zahllosen weiteren, die bis ins Jahr 1973 zurückreichten, könne man keine Auskunft erteilen, weil »das Interesse an der Vermeidung eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwandes« Sieblers Interesse an der Auskunftserteilung überwiege, so der Verfassungsschutz. Der Mann mit der runden Brille nahm das nicht hin und klagte am Verwaltungsgericht Stuttgart auf Herausgabe der vollständigen Akte. Denn er will auch wissen, ob er immer noch ausgespäht wird. Doch das Gericht folgte nun der Auffassung des Geheimdienstes. Nach Lektüre der Urteilsbegründung will Siebler entscheiden, ob er in Berufung geht.