Spaniens König dankte ab

Hugo Chávez trieb Juan Carlos mit Verbalattacken in die Flucht

  • Gerhard Dilger, Porto Alegre
  • Lesedauer: 5 Min.
Streit auf dem 17. Iberoamerikanischen Gipfeltreffen: König Juan Carlos verließ am Samstag zeitweilig das Plenum in Chiles Hauptstadt Santiago. Spaniens König war erbost über die harsche Kritik der Präsidenten Venezuelas und Nikaraguas, Hugo Chávez und Daniel Ortega, an spanischen Politikern und Unternehmen.

Nichts deutete darauf hin, dass der diesjährige iberoamerikanische Gipfel besonders stürmisch werden würde. Im Gegenteil: Das Thema »Soziale Kohäsion« schien geradezu ideal auf die derzeitige Gemengelage in der Ländergemeinschaft zugeschnitten, der neben den 18 spanischsprachigen Ländern Lateinamerikas auch Brasilien, Spanien, Portugal und Andorra angehören. Zudem regiert in Spanien, das den ersten Gipfel 1991 angeregt hatte, mit José Luis Rodríguez Zapatero ein Sozialdemokrat, der mit den linken Präsidenten Lateinamerikas gut kann. Ebenso bekannt ist allerdings, dass die Armen Lateinamerikas von den Wachstumsraten der letzten Jahre erheblich weniger profitiert haben als die Reichen: »Weder durch die Demokratisierung noch durch die ökonomische Modernisierung ist die historische soziale Schuld in der Region erfolgreich angegangen worden«, stellte Gastgeberin Michelle Bachelet im ersten Präsidentenplenum am Freitag fest.

Zu diesem Zeitpunkt war der Gipfel bereits vom Zwist zwischen Uruguay und Argentinien überschattet. Bei der Eröffnungsrede hatte Uruguays Staatschef Tabaré Vázquez gesagt, er wünsche eine »brüderliche, lange Umarmung zwischen unseren Völkern«. Doch dann wurde bekannt, dass er Stunden vorher grünes Licht für den Betrieb der umstrittenen Zellulosefabrik am Uruguay-Grenzfluss gegeben hatte. Argentiniens scheidender Präsident Néstor Kirchner, der auf die Vermittlung Spaniens gesetzt hatte, war empört: »Du hast dem argentinischen Volk einen Dolchstoß versetzt«, soll er Vázquez angeraunzt haben.

Doch dann holte Hugo Chávez aus. Geradezu genüsslich provozierte der Venezolaner einen Eklat: Erneut bezeichnete er den ehemaligen spanischen Regierungschef José María Aznar mehrfach als Faschisten. Aznar mache noch heute gegen Venezuela Stimmung, so Chávez. Über den Putschversuch gegen ihn im April 2002 sei Aznar im Bilde gewesen und habe ihn unterstützt. Außer den USA habe damals nur noch Spanien die knapp zwei Tage lang amtierende Regierung in Venezuela anerkannt.

Dann erzählte er eine Anekdote aus dem Jahr 2000. Beim Staatsbesuch in Caracas habe Aznar das Ölland Venezuela in den »Klub der ersten Welt« eingeladen. Auf seine Frage, was denn mit Haiti und den armen Ländern Zentralamerikas und Afrikas sei, habe Aznar erwidert: »Die sind am Arsch.« Die Schlussfolgerung des Venzolaners: »Eine Schlange ist menschlicher als ein Faschist oder ein Rassist, ein Tiger ist menschlicher als ein Faschist oder ein Rassist«. Als Zapatero Respekt für seinen Vorgänger einforderte, wurde er mehrmals von Chávez unterbrochen. Daraufhin platzte König Juan Carlos der Kragen: »Warum hältst du nicht den Mund?« rief er Chávez zu.

Anschließend griff Nicaraguas Präsident Daniel Ortega den spanischen Stromversorger Unión Fenosa an, der in Nicaragua Tage zuvor wegen seiner hohen Tarife Massenproteste ausgelöst hatte. Zudem habe der spanische Botschafter bei früheren Wahlen seine konservativen Rivalen unterstützt, sagte Ortega. Juan Carlos stand auf und verließ das Plenum – eine Premiere in der 16-jährigen Gipfelgeschichte. Bachelet holte den aufgebrachten König zurück und mahnte zu »konkreter Arbeit für die soziale Kohäsion«.

Gemeinsam mit Evo Morales aus Bolivien waren Chávez und Ortega auch die Hauptredner auf der Abschlusskundgebung des »Völkergipfels«, zu dem sich allerdings nur 5000 Aktivisten am Nationalstadion von Santiago eingefunden hatten. Chávez nahm während seiner fast zweistündigen Rede einen Anruf von Fidel Castro entgegen. Ortega geißelte die »Diktatur des globalen Kapitalismus, an der auch Europa beteiligt ist«.

Bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die linke Pri-vatuniversität der Künste und der Sozialwissenschaften versicherte Chávez am Abend, er habe die Worte des spanischen Königs nicht gehört. »Wer schlecht dasteht, ist jener, der die Kontrolle verliert und andere zum Schweigen auffordert, weil er meint, wir sind noch seine Untertanen wie im 17. oder 18. Jahrhundert.«


Hintergrund - Chávez und die Bank des Südens

Kommt er? Kommt er nicht? Vor ein paar Jahren war die spannendste Frage vor den Ibero-Gipfeln stets, ob Fidel Castro mit von der Partie sein würde. Ähnlich wurde diesmal über die Teilnahme von Hugo Chávez beim Treffen in Santiago gerätselt. Chávez kam. Dass der Venezolaner das Erbe Fidels als führender Linkspolitiker Lateinamerikas angetreten hat, zeigen auch seine Initiativen zur Integration des Subkontinents. Nach dem Satellitenkanal Telesur, der seit Juli 2005 auf Sendung ist, wird gerade die Bank des Südens auf den Weg gebracht. Bereits im Mai hatten sie die Finanzminister Argentiniens, Brasiliens, Boliviens, Ecuadors, Paraguays und Venezuelas in Quito beschlossen, im Oktober folgte die Bestätigung in Rio. Uruguay kam hinzu, und selbst Kolumbien möchte mitmachen.

Mit der Entwicklungsbank setzen die Südamerikaner ein Zeichen für größere regionale Autonomie ? vor allem gegenüber der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Banco del Sur werde eine »zentrale Rolle im Rahmen einer neuen regionalen Finanzarchitektur« spielen, heißt es. Die Kredite sollen nicht an makroökonomische Auflagen geknüpft werden, wie man sie von IWF und Weltbank kennt. Brasilien will zwar ausdrücklich nicht auf Konfrontation zu den etablierten Kreditgebern gehen, strebt aber auch eine »weniger asymmetrische« regionale Integration an.

Noch offen sind die Höhe des Gesamtkapitals und die Einlagen der einzelnen Mitglieder. Im Gespräch ist ein Gründungskapital von 7 Milliarden US-Dollar. Von den Aktivisten aus Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen wird vor allem die Frage nach einer neuen Entwicklungslogik diskutiert. Sie lehnen die Finanzierung von Großstaudämmen, Gaspipelines oder Bergbauprojekten ab, die gegen die betroffene Bevölkerung durchgesetzt werden. (GD)

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