nd-aktuell.de / 04.06.2025 / Politik

Freispruch trotz unrechtmäßiger Schüsse

Düsseldorfer Polizist hatte Unbewaffnetem in den Rücken geschossen

Friedrich Kraft
Immer wieder steht die Polizei in der Kritik wegen brutaler Einsätze.
Immer wieder steht die Polizei in der Kritik wegen brutaler Einsätze.

Rückblick: In der Nacht zum 10. August 2024 waren zwei Polizeibeamtinnen zu einem Düsseldorfer Park gerufen worden. Zeuginnen hatten einen verwirrten Mann gemeldet, sich von ihm bedroht gefühlt. Hier kam es zu einer später verhängnisvollen Verwechselung: Der Polizei[1] wurde ein »Butterfly-Messer« gemeldet, mit dem der Mann hantiere – in Wahrheit handelte es sich um einen Schlüsselbund. Doch wegen dieser Meldung ging die Polizei bereits vor Erreichen des Ortes von einer »Messerlage« aus, verhielt sich dementsprechend.
Als der nun angeklagte Beamte auf den der Polizei[2] bereits als psychisch beeinträchtigt bekannten 32-Jährigen traf, eskalierte die Situation unter Vorhalt der Dienstwaffe direkt. »Hinlegen oder ich nutze den Distanzelektroschocker!«, rief er dem sichtlich verwirrten Mann zu. Doch der Angesprochene folgte der Aufforderung nicht, sondern fuchtelte herum, griff in seine Tasche. Der Beamte halfterte seine Pistole ein, feuerte seinen Taser ab. Der Elektroschock zeigte kaum Wirkung, der Versuch, den 32-Jährigen zu fixieren, misslang. In einem Gerangel soll der Wohnungslose[3] dem Polizeibeamten anschließend den Taser entwendet haben, wobei es während der Beweisaufnahme zu Abweichungen in den Aussagen von Zeug*innen und den Behauptungen des angeklagten Polizisten kam.
Daraufhin zog der Polizist die Pistole und gab drei Schüsse ab. Der dritte Schuss traf den Flüchtenden in den Rücken. Der 32-Jährige wurde lebensgefährlich verletzt, überlebte mutmaßlich nur durch eine Notoperation. Aufgrund seines psychischen Zustands wurde seine Zeugenaussage vom Gericht als unbrauchbar gewertet, eine Nebenklage bestand nicht.

Nach der Beweisaufnahme stand außer Frage, dass der Schusswaffeneinsatz nicht gerechtfertigt war. Der Vorsitzende Richter Rainer Drees betonte in der Verhandlung unmissverständlich: »Objektiv bestand keine Notwehrlage«, gerade »das Wegbewegen des Mannes« spreche eklatant dagegen.
Umso erstaunlicher scheint das Ergebnis: Freispruch. Merklich wollte oder konnte das Gericht den Schützen nicht zur strafrechtlichen Verantwortung ziehen. Der Beamte habe unter enormem Stress gestanden und in Sekundenbruchteilen eine fatale Fehleinschätzung getroffen. »Wir hatten tagelang Zeit, hier alles zu würdigen. Der Beamte hatte nur wenige Sekunden«, hob der Richter hervor.

Der Angeklagte habe zwar »falsch subsummiert«, von einem »schießwütigen Polizisten« könne und dürfe »keine Rede« sein. Deshalb blieb der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung im Amt am Ende ohne Strafe, der Beamte habe in einem »Augenblicksversagen aufgrund einer Fehleinschätzung« geschossen. Die Erwägung des Richters, die letztlich zu dem Freispruch führte: Der Staat müsse einstehen für seine Beamt*innen. In dieser »besonderen Entscheidungssituation« sei nach Ansicht der Kammer Fingerspitzengefühl zu wahren. Von strafrechtlichen Konsequenzen sei abzusehen, da der Polizist nicht »willkürlich oder missbräuchlich« gehandelt habe. Für Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, die den Prozess kritisch begleitete, zeigt das Urteil, welch »kreative Stunden« Gerichte in solchen Konstellationen erlebten: »Um wegen Polizeigewalt Angeklagte zu entlasten und möglichst jeglichen (potenziell) tödlichen Schuss zu rechtfertigen – und sei es in den Rücken –, werden abseitige und völlig unverständliche juristische Konstruktionen bemüht.«

Nach dem Urteilsspruch erklärte Staatsanwalt Alexander Ofiarkiewicz, man werde Rechtsmittel prüfen, der Freispruch und seine Begründung entsprächen nicht seinen Rechtsauffassungen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191446.polizei-polizeikritik-gewalt-statt-deeskalation.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191394.verletzung-der-grundrechte-grundrechte-report-der-ton-wird-rauer.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191665.obdachlosigkeit-obdachlose-in-der-klimakrise-hitze-vor-der-tuer.html