Im Internet kursiert ein Witz, in dem die Frage, was uns zu Menschen macht, wie folgt beantwortet wird: alle Bilder mit Ampeln auszuwählen. Der Witz funktioniert aus zwei Gründen. Einerseits braucht er sich nicht weiter zu erklären; wer im Internet unterwegs ist, war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon einmal in der Situation, seine Menschlichkeit mithilfe eines sogenannten Captcha beweisen zu müssen. Gleichzeitig ist es offensichtlich ausreichend absurd, die kleine Überlegenheit gegenüber dem Computer, ein Foto von einer Ampel aus verschiedenen Perspektiven zu erkennen, als ausschlaggebende anthropologische Konstante festzumachen.
Dass der Witz – wie jeder gute Witz – aber auch einen Funken Wahrheit enthält, wird bei der Lektüre von Martina Heßlers »Sisyphos im Maschinenraum. Eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie« klar: Was wir als genuin menschlich verstehen, ergibt sich eigentlich erst aus der Differenz zur Maschine. Die Historikerin erzählt in dem gut lesbar geschriebenen Band Technikgeschichte als »Geschichte der modernen Ideen einer guten, einer besseren Gesellschaft«, indem sie das Mensch-Technik-Verhältnis der Gegenwart anhand einer einzelnen Doppelfigur herleitet: der fehlerhafte Mensch und sein Gegenpart die unfehlbare Maschine.
Heßler ist daran gelegen, diese Gegenüberstellung als historisch gewachsen und kontingent herauszustellen, nicht (nur) zur Verteidigung des Humanen, sondern in der Absicht, die Geschichte der bis heute andauernden Beziehung sichtbar werden zu lassen, die wir als Menschen mit der Maschinenwelt eingehen. Ihre These: Als fehlerhaft, das heißt nicht reibungslos und in regelhafter Weise leistungsfähig, sondern irrational und störanfällig, gilt der Mensch erst im titelgebenden Maschinenraum. Der Mensch sei zwar seit jeher als unvollkommen betrachtet worden, in Hinsicht auf Körperlichkeit, den Sündenfall und Irrtümer. Der »fehlerhafte Mensch« sei aber keine anthropologische Konstante, sondern eine relationale Kategorie und damit Auswuchs von »Technikchauvinismus«.
Den Begriff prägte die US-amerikanische Datenjournalistin Meredith Broussard, da die den technologischen Geräten zugeschriebenen Tugenden als strukturell überlegen gewertet werden. Während Heßler historisch noch junge Ansätze präsentiert, die der technischen Hegemonie kritisch ein Lob des Humanismus entgegenstellen, gilt ihr eigenes Interesse dem Humanen in Beziehung zur Maschine, also der Technikanthropologie. Die nachgezeichnete Beziehung ist komplex: Einerseits sollen die technischen Geräte kulturgeschichtlich althergebrachte menschliche Unvollkommenheiten einhegen oder überwinden, andererseits lassen sie den Menschen in historisch gänzlich neuer Art unzulänglich erscheinen.
Den Menschen als »faulty construction« zu bezeichnen, entleiht Heßler dem als pessimistischen Kritiker der Atombombe bekannt gewordenen Philosophen Günther Anders, dessen Denken sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Von ihm stammt auch der Begriff des »Prometheischen Gefälles«, der die Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten der Menschen und den Fähigkeiten der Maschinen beschreibt, wobei letztere ihre eigenen Schöpfer in Präzision, Effizienz und Leistungsfähigkeit überbieten.
Obwohl in dem Buch eine Vielzahl an Stimmen zu Wort kommen, prägt Anders das Buch maßgeblich. Was ihn jedoch nicht davor bewahrt, auch historisiert zu werden – gewinnbringend für Heßlers Untersuchung. Denn die Technik, wie der in der Mitte des 20. Jahrhunderts tätige Autor von »Die Antiquiertheit des Menschen« sie beschreibt, ist heute selbst antiquiert. Während besagte technikchauvinistische Doppelfigur des fehlerhaften Menschen und der unfehlbaren Maschine sich seit dem frühen 19. Jahrhundert etabliert hat und bis heute wirkt, befinden wir uns laut der Autorin etwa seit den 1970er Jahren in einer neuen technischen Epoche, geprägt von einer fehlerhaften Technik.
In vier nochmals untergliederten Kapiteln folgt Heßler ihrer Denkfigur durch diese verschiedenen technischen Epochen: von den Anfängen der Industrialisierung über die Maschinisierungs-Euphorien des 20. Jahrhunderts bis hin zu künstlicher Intelligenz und kybernetischen Körpern. Sie beginnt damit, Konzepte zu präsentieren, die sich gegen einen ausgeprägten Technikoptimismus richten und bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht. Im zweiten Kapitel verfolgt sie die Figur des fehlerhaften Menschen in das frühe 19. Jahrhundert zurück und geht dem Ideal der mechanischen Maschine nach, wobei sie im dritten Kapitel die Paradoxien aufzeigt, die der Doppelfigur innewohnen. Zudem zeichnet sie nach, wie in der Mitte des 20. Jahrhunderts in einem historischen Wendepunkt begonnen wurde, Mensch und Maschine (inklusive ihrer Fehlerhaftigkeit) relational zu betrachten.
Das vierte und längste Kapitel widmet Heßler dann den maschinellen Fehlern – und ihren Auswirkungen auf menschliches Leben: »Die Subjekte von Freiheit und Unfreiheit sind ausgetauscht. Frei sind die Dinge: unfrei ist der Mensch«. Das Zitat von Anders, der den Menschen zum »Objekthirten« degradiert sah, beschreibt Heßlers titelgebenden Sisyphos trefflich: Von technologisch vermitteltem Fortschrittsglauben getrieben, arbeitet er ununterbrochen an der Instandhaltung und Weiterentwicklung der Maschinen, die längst über ihn und seine Zwecksetzung hinausgewachsen sind. Dass sie dem berühmten Titanen und Feuerbringer Prometheus, mit dem Anders das Verhältnis der Menschen zur Technik beschrieb, eine weitere Figur der griechischen Mythologie an die Seite stellt, ist mehr als eine Hommage an den Philosophen. Es ist die konsequente Übertragung ins 21. Jahrhundert.
Die Technik – inklusive der sie begleitenden Welteinrichtung – ist den Menschen nicht mehr bloß über den Kopf gewachsen. Als Bediensteter im Maschinenraum muss der fehlerhafte Mensch immer neuere und leistungsfähigere Maschinen konstruieren, die neue, komplexere Fehler und Probleme produzieren. In der Figur des »modernen Sisyphos«, der unaufhörlich im Maschinenraum seiner eigenen Welt Fehler korrigiert, weil er den Glauben an die Fehler ausbessernde Kraft der Technik nicht los – den Stein nicht rollen – lassen kann, fasst Heßler die eingeführten Paradoxien zu einer klugen Kulturgeschichte zusammen. Es handelt sich daher bei dem Buch um keine Kritik der Technik, sondern um Kritik am »technological fix«: der in modernen Gesellschaften wirkmächtig gewordenen Überzeugung, dass gesellschaftliche, politische oder soziale Probleme rein technisch lösbar seien und an der damit einhergehenden Umdeutung komplexer Sachverhalte.
Der Band verwehrt sich als Debattenbeitrag zur technischen Gegenwart der Einordnung in ein technikoptimistisches oder technikfeindliches Lager. Dass die Autorin dabei keine ganz neuen Erkenntnisse zutage fördert, stört nicht, da die Stärke des Buches in der souveränen Integration interdisziplinärer Ansätze zu einem kohärenten Zusammenhang liegt. Fraglich ist eher, ob es wirklich stetig neuer Begriffe wie des Solutionismus, technological fix und Technikchauvinismus bedarf.
Eine solche Terminologieinflation lässt schnell vergessen, dass sich beispielsweise unter dem von Max Horkheimer geprägten Begriff der instrumentellen Vernunft bereits viele derselben Gedanken gemacht wurden. So war die Kritik an einer Reduktion komplexer Sachverhalte auf eine Reihe von identifizierbaren Variablen ebenso Kerngebiet der Kritischen Theorie, wie die Problematisierung einer technisch-rationalen Vernunft, der im Namen von Effizienz mehr an der Auswahl und Anwendung von Mitteln gelegen ist, als an der Zwecksetzung. Eine Anknüpfung und Aktualisierung solcher Theorietraditionen, könnten verhindern, dass auch die Wissenschaft sich zum Sisyphos macht.
Allerdings schöpft die Autorin diese Begriffe nicht selbst, sondern bildet lediglich sehr gewissenhaft den Diskurs ab. Darin liegt auch die kleine Schwäche des Bandes: Mitunter kommt die beeindruckende Vielzahl an Referenzen – von Ingenieuren, Informatikern, Erfindern, über Fabrikbesitzer und historische Enzyklopädien bis hin zu Philosophen und Soziologen – etwas zu umfangreich daher gegenüber den Begründungen und Argumenten für die Schlüsse, die Heßler aus dem gesammelten Material zieht. Dadurch entsteht streckenweise auch der Eindruck von Wiederholung.
Heßler hat vor einigen Jahren bereits ein Grundlagenwerk zur Technikanthropologie herausgegeben, welches ebenfalls mit einer breiten disziplinären Aufstellung bei gleichzeitiger solider Grundlagenforschung zu Anthropologie, Humanismus und Technik beeindruckte. Mit dem diesjährigen Buch hat Heßler nun ein breiteres Publikum bedacht, ein Schritt, der – trotz kleiner Kritikpunkte – auf unterhaltsame und mitunter sogar humorvolle Art gelungen ist.
Martina Heßler: Sisyphos im Maschinenraum. Eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie. C. H. Beck 2025, 297 S., geb., 32 €.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191726.technikgeschichte-gefangen-im-maschinenraum.html