nd-aktuell.de / 05.06.2025 / Kultur

Licht ohne jeden Schatten?

»Die Bonnards« über den Künstler Pierre Bonnard und seine Muse Marthe erzählt nichts weiter als nur eine Geschichte einer erotischen Verstrickung

Gunnar Decker
Was der Regisseur versucht: die Ästhetik der Malerei Bonnards in einen Film über ihn zu übersetzen.
Was der Regisseur versucht: die Ästhetik der Malerei Bonnards in einen Film über ihn zu übersetzen.

Dieser Regisseur hat bereits mehrfach bewiesen, dass er anhand von scheinbaren Nebensächlichkeiten, genau beobachteten Details, ungewöhnliche Geschichten zu erzählen vermag. Mit »Séraphine« gelang Martin Provost 2008 ein ganz und gar ungewöhnlicher Film über den Kunstsammler Wilhelm Uhde, den Ulrich Tukur mit großer Intensität spielte. Nach Paris kommend, bemerkt er irgendwann: Seine Putzfrau malt und das auf eine noch nie dagewesene Weise! Eine Außenseiterin des Kunstbetriebs – ähnlich dem Zöllner Rousseau mit seinen naiven Bildern? Leider geht die Geschichte um Séraphine nicht gut aus. Uhde fördert sie anfangs, dann aber kommt der Erste Weltkrieg und er verliert sie aus den Augen, findet sie schließlich doch wieder, da malt sie immer noch und er unterstützt sie durch Ankäufe. Doch der plötzliche Erfolg bringt das Leben der einfachen Frau völlig durcheinander. Ihr Verhalten wird immer auffälliger und schließlich landet sie in der geschlossenen Psychiatrie, wo sie bis zu ihrem Tode bleibt. Ob sie tatsächlich verrückt geworden ist oder eben nur zu exzentrisch auf ihre Umgebung wirkte, bleibt unklar.

Leider hat Provost nun versucht, die gleiche Geschichte noch einmal zu erzählen, mit dem Maler Pierre Bonnard und seiner Lebensgefährtin Marthe im Mittelpunkt. Marthe ist anfangs sein eher zufälliges Modell, doch sie bleiben zusammen, nach 30 Jahren heiraten sie. Bonnard malt sie 50 Jahre lang immer wieder, auf 374 Bildern ist sie zu sehen, auf 341 als Akt. War sie seine Muse, blieb es bei der Obsession für die Frau mit der androgynen Ausstrahlung oder war es gar der Sparsamkeit des Malers geschuldet, dass er Marthe so häufig malte? Das alles scheint unklar. Zwar sehen wir Pierre und Marthe häufig nackt in der Natur laufen, sie haben offenbar die Mentalität früher Hippies, aber im Grunde bleiben sie uns fremd. Das resultiert sicher auch daraus, dass Marthe um sich und ihre Herkunft ein Geheimnis machte, selbst ihren Namen gab sie nicht preis. Vor allem aber war sie eifersüchtig. Bilder Bonnards, die andere Frauen zeigten, vernichtete sie schon mal eigenhändig. Das könnte der dramatische Funke zu einem Kammerspiel von Maler und Modell sein, wird es aber allzu selten.

Obwohl es der Kamera von Guillaume Schiffman gelingt, eine ganz eigene atmosphärische Bildsprache zu schaffen, dauert es fast zwei Stunden, bis klar wird, was der Regisseur hier versucht: die Ästhetik der Malerei Bonnards in einen Film über ihn zu übersetzen. Das gelingt dann aber nur phasenweise, auch, weil die Besonderheiten dieser Ästhetik nie wirklich herausgearbeitet wurden. So hat man dann reichlich Gelegenheit, sich über den infantilen deutschen Verleihtitel »Die Bonnards – malen und lieben« zu ärgern – im Französischen heißt der Film schlicht »Bonnard, Pierre et Marthe«.

Derlei Geschichten über Maler und ihre Modelle sind beliebt, auch Auguste Rodin, der Legende nach ein erotischer Frauenverschlinger, hatte eine anrührende Beziehung zu seinem Modell Rose, dass weder schön noch klug noch freundlichen Wesens war – und doch verband sie etwas, von dem wir nicht wissen, was. 2017 drehte Jacques Doillon »Auguste Rodin« mit Vincent Lindon als Hauptdarsteller. Aber dieser bedeutende Film war mehr als die Geschichte einer erotischen Verstrickung, widmete sich der Entstehung so berühmter Kunstwerke wie »Der Denker« oder »Balzac«.

Die Idee des Films: Ein Maler und sein Modell bewohnen über Jahrzehnte jene Bilderwelt, die Bonnard geschaffen hat.

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Das findet hier seltsamerweise nicht statt. Die besondere Ästhetik der Bilder Bonnards, den nicht jeder kennt und den man als Maler erst vorstellen müsste, bleibt als Thema links liegen. Auch agiert Vincent Macaigne als Bonnard so zögerlich, dass er geradezu wie ein Eckensteher im eigenen Film wirkt. Cécile de France als Marthe ist zwar stärker im Ausdruck, aber dennoch erfahren wir fast nichts über sie, außer, dass sie über die Maßen eifersüchtig ist und anfänglich unter vielen gesundheitlichen Einschränkungen leidet (Asthma, schwaches Herz). Der Arzt sagt zu Bonnard, sie werde früh sterben. Das Thema wird nicht wieder aufgegriffen, und 50 Jahre später lebt sie immer noch, ist jedoch geistig verwirrt, sodass Bonnard sie pflegen muss.

Es gibt eine Episode in ihrem Leben, die aufmerken lässt: Sie beginnt zu malen, und das auf ganz und gar eigenständige Weise. Bonnard lebt zu dieser Zeit mit einem anderen Modell zusammen, und Stacy Martin, bekannt aus Lars von Triers »Nymphomaniac«, gibt mit ihrem Auftritt dem bis dahin eher gemütlich dahinplätschernden Film einen unerhörten Energieschub. Aber dann nimmt sie sich das Leben, und der Film fällt zurück in seine alte Beschaulichkeit, die von Langeweile kam zu unterscheiden ist.

Die Idee des Films: Ein Maler und sein Modell bewohnen über Jahrzehnte (Bonnard stirbt 1947, Marthe fünf Jahre vor ihm) jene Bilderwelt, die Bonnard geschaffen hat. Das hätte grandios werden können, funktioniert aber kaum ansatzweise. Weil alle Beteiligten nur unterdurchschnittlich motiviert waren? Vielleicht liegt es auch daran, dass wir Bonnards Malerei in diesem Film zu wenig kennenlernen.

Mir scheint, Martin Provost verkennt etwas Entscheidendes: Bonnard ist kein bloßer Spätimpressionist. Vielmehr versucht er den Symbolismus der Dichtung Mallarmés in eine eigene Bildsprache zu übersetzen. Seine Bilder scheinen immer erstaunlich hell (er lebte oberhalb von Cannes an der Côte d’Azur), aber er malt nicht wie sein väterlicher Freund Monet den erlebten Augenblick in der Natur, sondern versucht den »idealen Augenblick« in Szene zu setzen, arbeitet oft Monate daran, diesen vorzubereiten. Berühmte Gemälde wie »Weißes Interieur« sind ausgeklügelte Versuchsanordnungen, denen Hunderte Skizzen vorausgingen. Das fehlt in Martin Provosts Annährung an den absonderlichen Maler Bonnard, der nicht das Licht malte, sondern die Idee des Lichtes auszudrücken versuchte. Sein Leben lang arbeitete er ohne Staffelei, lehnte jeden Rahmen für seine Leinwände ab, die in Rollen in seinem Atelier bereitlagen. Jeder Art von konventioneller Begrenzung verweigerte er sich.

Bonnard produzierte eine Abfolge von Farbflecken, die er dann in einem zweiten Schritt verband, um durch sie Anschluss an die vergehende Zeit zu finden. Sein berühmtes Gemälde »Atelier mit Mimosen« besteht darum fast nur aus gelber Farbe, großen und kleinen Punkten, deren Komposition dem Anspruch von Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« nachstrebt. Mit Erfolg? Das wäre eine Frage gewesen, die diesem allzu sehr in Bohème-Seligkeit schwelgenden Film sein spezifisches Gewicht hätte geben können.

Was ist der Lebenspreis, den die Kunst dem Künstler abfordert? Der Maler nannte es die Unterwerfung des Betrachters unter das Bild. Von solch bezwingendem Anspruch ist Provost mit seinem Bonnard-Film weit entfernt.

»Die Bonnards – malen und lieben«, Belgien, Frankreich 2023. Regie und Buch: Martin Provost. Mit: Cécile de France, Vincent Macaigne, Stacy Martin. 123 Min. Jetzt im Kino.