Die Wohnungsverbände der drei mitteldeutschen Länder prognostizieren, dass es in Thüringen, Sachsen[1] und Sachsen-Anhalt auf absehbare Zeit etwa eine halbe Million Wohnungen zu viel geben wird. Viele, die derzeit in Erfurt, Halle[2] oder Meiningen eine Wohnung suchen, fragen sich, wie das angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt selbst in kleinen Städten sein kann. Müssen Sie nicht einräumen, dass Sie da ein bisschen Panikmache betrieben haben?
Schon heute stehen alleine in Thüringen[3] etwa 20 000 Wohnungen leer, vor allem im ländlichen Raum. Die Zahl wird wegen des demografischen Wandels noch deutlich steigen. Bestimmt nicht in Erfurt, Weimar oder Jena, aber Thüringen hat bekanntlich sehr viel ländliche Räume. Deshalb, leider: Das war keine Panikmache, das wird die Realität. Diese 500 000 Wohnungen betreffen den Wohnungsmarkt insgesamt, ein nicht kleiner Teil dieses bald nicht mehr benötigten Wohnraums betrifft auch Ein- und Zweifamilienhäuser.
Dennoch klagen selbst Wohnungssuchende in Kleinstädten wie Sonneberg oder Altenburg inzwischen regelmäßig darüber, dass sie keinen für sie passenden, bezahlbaren Wohnraum finden.
Das hat viel damit zu tun, dass Wohnungssuchende für sich die Wohnungen ausschließen, die leer stehen. Wir reden da von oft unsanierten DDR-Plattenbauten, die in den 1970er oder 1980er Jahren gebaut worden sind. Die Wohnungen dort sind oft vergleichsweise klein, haben keinen Aufzug, manchmal auch keinen Balkon. Viele Menschen suchen heute andere Wohnungen, die dann aber eben auch einen anderen Preis haben. Da laufen Vorstellungen und Möglichkeiten schnell auseinander. Das, was da noch zu bezahlbaren Preisen auf dem Markt ist, kommt für viele Menschen schon wegen der Grundrisse nicht mehr infrage.
Sie sprechen also von mehreren Strukturproblemen, die sich überlagern, oder? Viele Wohnungen, die es gibt, will niemand mehr haben, während die Bevölkerung in Thüringen schrumpft, im Durchschnitt älter wird und auch deshalb mehr andere Wohnungen braucht.
Genau.
Und wie kommen wir aus diesen Problemlagen raus?
Schwierig.
Weil die Erfahrungen etwa vom Arbeitsmarkt zeigen, dass sich manche Strukturprobleme niemals so richtig lösen lassen werden? Immerhin finden allein in Thüringen seit Jahren Zehntausende einfach keinen Job, obwohl an allen Stellen händeringend Personal gesucht wird und es unzählige Unterstützungsangebote für sie gibt.
Ein bisschen wird das auf dem Wohnungsmarkt auch so sein. Es wird auch in Zukunft einen Teil von Wohnungssuchenden geben, die nicht die Wohnung finden werden, die sie gerne hätten, während es Leerstand geben wird, weil sich für bestimmte Wohnungen einfach keine Mieter mehr finden lassen. Wie auf dem Arbeitsmarkt wird es ein strukturelles Defizit zwischen Angebot und Nachfrage geben. Aber wir haben trotzdem ein Mittel, um das Defizit kleinzuhalten.
Welches?
Rückbau. Oder, wenn Sie das Wort hören wollen: Abriss. Wir in Thüringen haben seit Anfang der 2000er Jahre bereits gut 40 000 Wohnungen abgerissen, und aus heutiger Sicht werden wir weitere etwa 10 000 abreißen müssen, allein bis Anfang der 2030er Jahre. Und danach kommen Zehntausende weitere Wohnungen dazu, die wir werden zurückbauen müssen, wenn wir davon ausgehen, dass bis 2045 in Mitteldeutschland etwa eine halbe Million Wohnungen zu viel da sein werden. Die Bevölkerungsprognose bis 2045 ist für Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt eben eindeutig. Wir werden diesen Trend zum Schrumpfen nicht aufhalten können.
Das heißt, dass sich der Abriss von Wohnungen in einigen Jahren massiv beschleunigen wird?
Das muss so sein, ja. Aber das betrifft nicht nur kommunale oder genossenschaftliche Wohnungsgesellschaften. Da werden auch viele Ein- und Zweifamilienhäuser fallen, was gerade auf Dörfer und ganz kleine Städte einen massiven Druck ausüben wird. In den 1990er und 2000er Jahren sind dort nämlich die Ränder neu besiedelt worden, durch Neubau, während viele Dorfkerne bereits auszusterben begannen und heute fast völlig verwaist sind. Bis 2045 werden aber auch diese Randgebiete zunehmend entvölkert werden, weil viele Menschen, die dort vor zwei oder drei Jahrzehnten hingezogen sind, älter werden und deshalb in Städte gehen werden, wo die ärztliche Versorgung besser ist, sie leicht einkaufen können und wo vielleicht sogar regelmäßig ein Bus fährt.
Aber für Wohnungsgesellschaften ist dieses Abrissszenario doch ein Problem: Sie vernichten einen Teil ihres Anlagevermögens, mit dem sie eigentlich Geld verdienen sollen.
Einerseits stimmt das, andererseits dürfen Sie nicht vergessen, dass auch leer stehende Wohnungen Geld kosten. Und das sind Kosten, die von den Mietern mitgetragen werden müssen, die in einem bestimmten Wohnquartier – also in der Nachbarschaft solcher Wohnungen – leben. Als Vermieter müssen Sie sich ja auch bei einer leer stehenden Wohnung um die Verkehrssicherung kümmern, die Leitungen instandhalten, die Außenanlagen pflegen. Das kostet viel Geld. Gerade als kleines Unternehmen können Sie sich also einen hohen Leerstand gar nicht leisten. Wir brauchen deshalb Abriss, auch, wenn es oft wehtut.
Schauen wir noch mal auf die Mieter. Es wird immer mehr ältere Menschen geben, die sich über möglichst barrierefreien Wohnraum freuen würden. Wird sich dieser Bedarf in den nächsten Jahren decken lassen?
Wir brauchen einen klugen Umbau der Wohnungsbestände, aber das bitte mit Augenmaß. Wenn wir nämlich über solchen Wohnraum sprechen, dann reden wir über barrierearme Wohnungen, nicht über barrierefreie. Für barrierefrei müssten wir die DIN 18040 beachten, die zum Beispiel einen Zugang zum Balkon ohne Stufe oder eine Mindestbreite für Türen von 1,10 Meter vorschreibt. Das ist in vielen schon gebauten Wohnungen gar nicht zu realisieren, schon wegen der Statik nicht. Und wenn wir über barrierearme Sanierungen sprechen, sollten wir das im Zuge einer Kernsanierung von Wohnungen machen. Auch dazu brauchen wir aber finanzielle Unterstützung, weil sonst die Mieten für solche Wohnungen deutlich steigen müssten, damit die Unternehmen diese Investitionen refinanzieren können. Das Land hatte dazu mal ein überaus erfolgreiches Förderprogramm, das allerdings eingestellt worden ist. Damit sind Hunderte von Aufzügen entstanden. Sowas brauchen wir unbedingt wieder.
Aber selbst wenn ein solches Programm käme: Wird es in Zukunft ausreichend altersgerechten Wohnraum geben?
Es gehört zur Wahrheit dazu, dass wir nicht für jeden Senioren eine altersgerechte Wohnung haben werden. Das ist aber nicht der einzige Engpass, auf den wir zulaufen. Wir merken zum Beispiel, dass es schon heute eine riesige Nachfrage nach Wohnungen gibt, bei denen Wohnungsunternehmen zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Sozialwirtschaft älteren Menschen bestimmte Service- und Unterstützungsleistungen mit anbieten, etwa beim Einkaufen. Da ziehen Menschen gern hin und sind auch bereit, eine Servicepauschale zu bezahlen. Wir können aber nicht allen Interessierten eine Wohnung mit einem solchen Serviceangebot anbieten.
Aber solche Angebote massiv auszubauen könnte doch ein Weg für Wohnungsunternehmen sein, sich neue Geschäftsfelder zu erschließen.
Es ist oft gar nicht so einfach, solche Angebote zu machen, weil Sie dafür die richtigen Partner finden müssen. Aber natürlich können sie den Kern unseres Geschäftsmodells stärken – und der ist: Menschen eine Wohnung zu bieten und dafür zu sorgen, dass sie möglichst lange bei uns wohnen. Davon haben alle etwas: wir als Unternehmen, die Mieter und die Gesellschaft. Wer länger in seinem vertrauten Zuhause wohnen kann und nicht mit 80plus nochmal umziehen muss, ist länger glücklich. Das entlastet die ja inzwischen auch oft überbelegten Pflegeheime. Und bringt uns stabile Mieteinnahmen. Allerdings werden wir uns gleichzeitig auf eine Situation einstellen müssen, in der Fluktuation eine größere Rolle spielt. Gerade jüngere Menschen wohnen heute mal drei Jahre hier, mal fünf Jahre dort. Wir dürfen uns als Genossenschaft, als kommunale Gesellschaft nicht mehr darauf einrichten, dass die Menschen regelmäßig 40 Jahre bei uns wohnen, sondern wir müssen vielleicht auch mehr möbliertes Wohnen und ähnliches anbieten.
Und was sagen Sie denen, die schon heute in einer Kleinstadt im ländlichen Raum eine bezahlbare Wohnung suchen und nichts finden?
Dass sie nicht nur auf den großen Portalen im Internet nach einer Wohnung suchen sollen, sondern auch auf den Webseiten der kommunalen oder genossenschaftlichen Unternehmen vor Ort – und dass es sich lohnt, dort einfach mal anzurufen oder in ein Servicebüro zu gehen. Außerdem würde ich ihnen dringend raten, sich intensiv mit dem Thema Nebenkosten auseinanderzusetzen. Wir erleben immer wieder, dass bei diesem Thema geschummelt wird. Da werden Anzeigen geschrieben, in denen 8,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter aufgerufen werden und Nebenkosten von insgesamt zwei Euro pro Quadratmeter angegeben werden. So was ist schlicht gelogen, das kriegt niemand mehr hin. Wir laufen auf eine Situation zu, in der die Nebenkosten bei ganz vielen Haushalten mindestens ebenso hoch ausfallen werden wie die Kaltmiete.