Irgendwann hat der Mensch das Alter erreicht, in dem er keine aufregenden Sachen mehr erleben will. Klassenerhalt in letzter Sekunde, wilde erotische Abenteuer zu fünft, vor dem nächsten Deppen-SUV noch rasch mit dem Rad über die Kreuzung flitzen – wozu? Das Leben, denkt man, an die Ampel gelehnt, derweil der SUV-Depp die Frankfurter Allee runterrauscht, ist doch eigentlich viel zu gut, als dass man ständig seinen Ruhepuls mit Superreizen belasten müsste.
Das gilt natürlich auch für den Konsum von Filmen und TV-Serien, Kunstformen also, die von ihrer Natur her Überwältigungsmaschinen sind: Immer sind die Schauspielenden viel zu schön, immer ist die Musik viel zu packend, ständig explodiert alles oder sind Leute in existenzieller Not. Das muss ja nicht sein. Gebeutelt und platt kommt man nach einem weiteren harten Arbeitstag unter der Fuchtel des Feuilletonleiters nach Hause, und dann mag man nur noch irgendwo hinplumpsen, sein Handy rauskramen und eine Serie angucken, die bitte, bitte nicht zu gut, nicht zu interessant, nicht zu packend und aufwühlend ist.
Richtig doll schlecht sein soll sie dabei allerdings auch nicht. Als Kulturmensch ist man ja dem Schönen und Gelungenen verpflichtet, so wie man auch lieber saubere Luft als abgestandene atmet, so wie man lieber eine frische leckere Bowl und ein perfekt kühles Wasser zu sich nimmt statt irgendeinen noch den Verdauungsapparat beleidigenden Schlonz. Gut ist es dann auch, wenn man von deutschen Produktionen verschont bleibt, deren Hölzernheit und quietschende Dialoge einen doch wieder in die Ekstase einer gerechten Wut treiben würden. Gut wäre eine vollkommen unauffällige Serie aus Australien zum Beispiel, die dir versichert: Egal, wie weit du weggehst, Mutti Mittelmaß nimmt dich überall freundlich auf. Du freust dich an den nett anzusehenden Schauspielis, auch ist der Auftakt richtig catchy: Man hätte ihn gut in einen knisternden, britzelnden Thriller überführen können, und dann hat man aber klugerweise darauf verzichtet, halleluja!
Die Hauptfigur, deren Namen ich vielleicht bei Gelegenheit noch googeln werde, ist Teil einer Geschworenenjury: Eine Frau ist von einem Dach gestürzt, und eine andere, verdächtig gut aussehende Frau, hat deswegen vor Gericht gestanden. Auf den hakligen Verlauf des Prozesses, auf Verdachtsmomente und so weiter verzichtet die Serie erst mal, das wäre auch alles zu mühselig gewesen, jedenfalls sieht sich die Hauptfigur von den übrigen Geschworenen unter Druck gesetzt, ebenfalls für »unschuldig« zu stimmen. Obwohl ein ewiger Zweifel in ihr nagt. Nun ja, sie gibt also nach, auch keinen Bock mehr, zack, Freispruch. Diese Hauptfigur, die wir hier der Einfachheit halber Kelly nennen wollen, obwohl sie sicher ganz anders heißt, fängt danach dann an, auf eigene Faust zu recherchieren, und ein möglichst unwahrscheinliches Team aus anderen Ex-Geschworenen hilft ihr dabei: ein dicke Schlachterin, ein schnöseliger Schnösel und ein trauriger Macker-Mann, der erst vor Kurzem seine Frau verloren hat.
Die Idee ist eigentlich toll, und indem ich das schreibe, bin ich mir nahezu sicher, dass sie irgendwo geklaut sein muss und dass das ernsthafte Drama »Geschworene voller Reue«, das einen atemlos an den Bildschirm tackern würde, längst irgendwo gedreht und gefeiert worden ist. Die netten Australier nun tun uns die Liebe, die Idee harmlos und nice umzusetzen, so dass wir auf unserem Feierabendsofa gut rumdämmern können: Das Dramapotenzial wird umstandslos fahren gelassen und ersetzt durch eine Art TKKG-Ermittlung, nur leider ohne süßen Hund (ein Vergleich, den ich irgendwo im Internet gelesen und direkt abgekupfert habe). Die Handlung ist so kindlich konstruiert, dass sich das Zuschauen regelrecht befreiend anfühlt, »Nach dem Prozess« bietet alles, was ein müde nach Hause Gekommener braucht: Figuren, die auf eine je eigene Weise hübsch anzuschauen sind, und einen Plot aus der Dose, der dem Rezensenten am Ende des Tages die köstliche Gewissheit verschafft: Um diese Serie zu besprechen, werde ich mich nicht wirklich bemühen müssen, werde ich nicht den besten Text der Welt schreiben müssen, werde ich mich nicht unmenschlich konzentrieren und anstrengen müssen – und sollte das nicht die Zukunft der Arbeit sein? Have fun.
»Nach dem Prozess« ist bis zum 27. Juli abrufbar in der Arte-Mediathek unter arte.tv.