nd-aktuell.de / 13.06.2025 / Politik

Früherer NPD-Mann soll für AfD ins Meißner Rathaus

Breite Unterstützung für Gegenkandidaten bei OB-Wahl in sächsischer Kreisstadt

Hendrik Lasch
Der Marktplatz von Meißen, wo im Herbst ein neuer Rathauschef gewählt wird
Der Marktplatz von Meißen, wo im Herbst ein neuer Rathauschef gewählt wird

Im Dezember 2023 gelang der AfD im sächsischen Pirna ein spektakulärer Erfolg. Der von ihr aufgestellte Tischlermeister Tim Lochner gewann die Oberbürgermeisterwahl[1] in der 40 000 Einwohner zählenden Kreisstadt. Damit stellte die in Sachsen als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Partei erstmals in der Bundesrepublik den Chef einer großen Stadtverwaltung.

In Meißen, ebenfalls Kreisstadt und mit 29 000 Einwohnern nur wenig kleiner als Pirna, wird am 7. September 2025 ein neuer Rathauschef gewählt, und erneut rechnet sich die AfD gute Chancen aus. Die Partei, die bei der Bundestagswahl im Februar in der Stadt 44,9 Prozent der Zweitstimmen erhielt, schickt mit René Jurisch wieder einen parteilosen Unternehmer ins Rennen. Der 51-Jährige, dessen Firma Abriss- und Pflasterarbeiten erledigt, sitzt für die Partei bereits in Stadtrat und Kreistag. Bei der Stadtratswahl im Juni 2024, als die AfD auf 32,3 Prozent kam, erzielte er mit fast 3300 Stimmen das mit Abstand beste Ergebnis aller Bewerber. Er führt inzwischen die Ratsfraktion, die mit neun Mitgliedern mehr als doppelt so stark ist wie die der CDU.

Jurisch ist nicht Mitglied der AfD, gehörte aber um das Jahr 2000 einer anderen Partei an: der NPD. Die ebenfalls rechtsextreme Partei erzielte 2004 ihren spektakulärsten Erfolg und schaffte mit 9,2 Prozent den Sprung in den sächsischen Landtag. Jurisch war zu dem Zeitpunkt bereits ausgetreten und gab später an, der NPD wegen ihrer »sozialistischen Ziele« und der antisemitischen Haltung gegenüber Israel den Rücken gekehrt zu haben. Der Mann, der von der »Sächsischen Zeitung« einst als »Fan von Waffen, Munition und Südstaatenfahne« bezeichnet wurde, war außerdem Gründer eines »Vereins zur germanischen Brauchtumspflege Schwarze Sonne Meißen«. Der Verein veranstaltete Sonnenwendfeiern und bot Hausaufgabenhilfe an, stand aber zeitweise im Visier des Verfassungsschutzes, der im Jahr 2001 »angesichts der personellen Zusammensetzung und der Symbolik« den Verdacht äußerte, in dem Verein werde »rechtsextremistische Ideologie verbreitet«. Die Schwarze Sonne ist ein bei Neonazis gebräuchliches Symbol der SS. 2006 wurde der Verein aufgelöst.

Inzwischen gibt sich Jurisch geläutert und spricht von »Jugendsünden«. Den Verdacht, dass er rechtsextremer Ideologie noch immer zumindest nahesteht, schürt aber etwa ein Transparent mit der Aufschrift »Stoppt den menschengemachten Bevölkerungswandel«, das zeitweise vor seinem Haus gehangen haben soll und in sozialen Medien kursiert. Als Stadtrat torpediert er die Arbeit des Demokratie- und Integrationsbündnisses Buntes Meißen[2]. Der Verein, der zuletzt ins Visier von Rechtsextremen geraten und vor dessen Domizil nach etlichen Bedrohungen und Zündeleien Ende 2024 sogar die Attrappe einer Granate deponiert worden war, wurde von dem AfD-Mann abschätzig als »bunter, finanziell aufwendiger Meißner Lieblingsverein für gewaltfreies Töpfern« diskreditiert und der »zügellosen Selbstbedienung« bezichtigt. Auf Betreiben der AfD im Stadtrat wurden dem Verein im April die städtischen Fördergelder gestrichen. Bereits im Oktober 2024 hatte Jurisch dafür gesorgt, dass Buntes Meißen von einer Vorschlagsliste für eine EU-Förderung genommen wurde.

Am Beispiel des Vereins zeigt sich freilich, dass Jurisch und seine Partei nicht isoliert agieren. Auch die örtliche CDU setzt Buntes Meißen unter Druck. Deren örtliche Landtagsabgeordnete Daniela Kuge sekundierte die AfD-Attacken mit einer Kleinen Anfrage zur Höhe der staatlichen Fördermittel für den Verein im sächsischen Parlament. Die Tageszeitung »Taz« attestierte der Abgeordneten in einem Artikel über CDU-Attacken auf zivilgesellschaftliche Projekte ein »erstaunlich gutes Verhältnis« zu Ex-NPD-Mann Jurisch, mit dem sie auf Fotos in den sozialen Medien etwa vertraulich unterm Weihnachtsbaum posiert. Sie ist mit derlei Nähe nicht allein in ihrer Partei. Daniela Menzel, Mitglied im CDU-Kreisvorstand Meißen, schrieb nach Jurischs Aufstellung als OB-Kandidat in einem sozialen Netzwerk, sie gratuliere und wünsche eine »faire und sachliche Auseinandersetzung«.

»Wir möchten keine Pirnaer Verhältnisse in Meißen.«

Heiko Schulze Initiative Bürger für Meißen

Gleichzeitig finden sich freilich auch CDU-Stadträte in einer knapp 30-köpfigen Initiative, die sich jetzt bei einem Fototermin am Meißner Tuchmachertor demonstrativ für einen anderen Kandidaten für den Rathausposten aussprach: Markus Renner, der seit 2016 Baubürgermeister und inzwischen auch Stellvertreter des scheidenden Oberbürgermeisters Olaf Raschke ist. Zu den Unterstützern gehören daneben auch Vertreter mehrerer Wählervereinigungen sowie von SPD und Linken. Sie heben die Verwaltungserfahrung des ebenfalls parteilosen Bewerbers hervor, loben diesen als »Garant für Stabilität und Zusammenarbeit«, verstehen ihre Initiative aber ausdrücklich auch als Bollwerk gegen die AfD. Man wolle in Meißen »keine Pirnaer Verhältnisse«, sagte etwa Stadtrat Heiko Schulze von der Initiative »Bürger für Meißen«, der im Stadtsender »Meißen Fernsehen« von einer durchaus »brenzligen Situation« sprach.

»Bürger für Meißen« hatte bei der vorigen OB-Wahl im Jahr 2018 mit Frank Richter, dem Ex-Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, ebenfalls einen Bündniskandidaten gegen Raschke ins Rennen geschickt. Richter hatte den ersten Wahlgang überraschend gewonnen. In der Stichwahl fehlten ihm 98 Stimmen zum Sieg[3]. Hauptgrund dürfte der Rückzug des Bewerbers der AfD gewesen sein, die danach massiv Stimmung gegen Richter machte und nach dem Wahlerfolg Raschkes jubelte, man habe eine »rote Übernahme« der Stadt verhindert. Nun hofft die AfD darauf, das Amt selbst zu erobern.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1178591.rechtsextremismus-afd-in-pirna-wahlsieg-nach-verfassungsschutz-verdikt.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187105.engagement-fuer-demokratie-rechte-anfeindungen-nicht-nur-die-kirsche-auf-der-torte.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1101402.cdu-und-afd-zum-wunder-fehlten-stimmen.html