Es gibt in diesen Tagen viele Anlässe, über Frieden und kollektive Sicherheit zu sprechen: Der Nato-Aufrüstungsgipfel Ende Juni, die UN-Konferenz zur Wiederbelebung der Zweistaatenlösung im israelisch-palästinensischen Konflikt nächste Woche, die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki vor 50 Jahren. Und natürlich der 80. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus am 8. Mai.
Letzteres hat die Linksfraktion im Europäischen Parlament aufgegriffen und ihre zweitägige Konferenz in dieser Woche unter das Motto »Frieden und kollektive Sicherheit schaffen« gestellt. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sei es an der Zeit, über die Lehren der Geschichte und die Herausforderungen der Gegenwart nachzudenken, begründeten die in The Left vereinten Abgeordneten von 20 Linksparteien aus verschiedenen EU-Ländern ihre Initiative. Anliegen des Treffens in Brüssel war es, »einen Raum für einen intensiven Austausch über Frieden, Abrüstung und kollektive Sicherheit zu schaffen, um Wege in eine stabilere und kooperativere Zukunft zu erschließen«.
Aufgeboten dafür hatte The Left nicht nur Parlamentarier*innen, sondern auch Polit-Prominente wie den ehemaligen britischen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn und Alexis Tsipras, der von 2015 bis 2019 der Regierung Griechenlands vorstand. Acht Jahrzehnte nach der Befreiung vom Faschismus kehre die extreme Rechte in Europa zurück, erklärte der langjährige Syriza-Vorsitzende. Dies geschehe nicht zuletzt auch in Regierungen und in den EU-Entscheidungsgremien. Die Rechtsextremen würden die aufgrund der diversen Umwälzungen entstehenden Unsicherheiten und Ängste in den Gesellschaften für ihre Zwecke nutzen. »Es ist die Aufgabe aller progressiven und linksgerichteten Kräfte, aufzustehen und der Angst mit Hoffnung zu begegnen«, appellierte Tsipras. Angesichts der verschiedenen internationalen Krisen brauche es eine gerechtere Wirtschaftsordnung ebenso wie eine neue Sicherheitsordnung basierend auf dem Respekt des Völkerrechts. Allerdings könne es keine neue internationale Sicherheitsordnung geben, wenn Europa keine Kraft des Friedens und des nachhaltigen Wachstums sei. Praktisch bedeute dies unter anderem, dass sich Europas Linke gegen eine Kriegswirtschaft stellen müssten, die zulasten der Kohäsionsfonds gehe und immer weiter in einen neuen kalten Krieg hineinführe.
Darauf ging auch Walter Baier, Präsident der Partei der Europäischen Linken[1] (EL), einem der beiden »Dachverbände« europäischer linker Parteien, in seinem Beitrag ein. Europa und die Welt befänden sich heute in der gefährlichsten Situation nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Angesichts fehlender politischer Ansätze zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine hänge über Europa das Damoklesschwert einer unkontrollierbaren Eskalation. Nato und die EU könnten sich in dieser Situation nicht ihrer Verantwortung entziehen, zur schnellen nichtmilitärischen Beendigung des Krieges beizutragen. »Ebenso dürfen sie nicht wegblicken, wenn es um den Genozid in Gaza geht.« In diesem Zusammenhang wies der EL-Präsident auf die Doppelzüngigkeit der europäischen Spitzenpolitiker*innen hin. Einerseits würden zu Recht Sanktionen gegen Russland für dessen Angriffskrieg in der Ukraine verhängt, andererseits ließen sie zu, dass Israel trotz seines Krieges im Gazastreifen völlig straffrei bleibe.
Ausdrücklich verwies Baier darauf, dass die EU-Staaten und Großbritannien mehr Geld für Verteidigung ausgeben würden als Russland. Während die EU-Kommission gigantische Mittel für Aufrüstung bereitstelle, fehlte dieses Geld insbesondere bei öffentlichen Dienstleistungen, bei Gesundheitsversorgung oder im Rentensystem.
Vor diesem Hintergrund hatte Ex-Labour-Chef Jeremy Corbyn[2] das Peace & Justice Project initiiert, über das er in Brüssel berichtete. Das Vorhaben bringt Schwerpunkte wie Umweltschutz, internationale Friedenskooperation sowie Kampf gegen Armut und soziale Ungleichheit zusammen. Im September werde es eine internationale Konferenz der Initiative in Großbritannien geben, kündigte Corbyn an.
Özlem Demirel, Europaabgeordnete der Linken, hebt in diesem Zusammenhang gegenüber »nd« auch die Bedeutung der internationalen StopReArmEurope-Kampagne hervor. In dieser Bewegung vernetzten sich verschiedenste politische Kräfte und Initiativen, um den Aufrüstungskurs der EU zu stoppen. »Es ist wichtig, dass in ganz Europa gegen die Aufrüstung mobilisiert wird. Wenn Kommissionspräsidentin von der Leyen 800 Millionen Euro, wenn nicht gar 1000 Millionen, für die Aufrüstung der Mitgliedsstaaten zur Verfügung stellt, dann ist das ein Wahnsinn, der die Welt keinen Deut sicherer macht«, sagt sie im »nd«-Gespräch.
Auf einen Aspekt, der ihr besonders wichtig sei, wies Demirel in ihrem Beitrag auf der Konferenz hin: Der deutsche Hitlerfaschismus sei das dunkelste Kapitel in der Menschheitsgeschichte, betonte die Abgeordnete. Nicht nur sechs Millionen Jüdinnen und Juden seien industriell ermordet worden, sondern ebenso Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, Andersdenkende, Andersglaubende, Anderslebende. »Es gab damals in Deutschland eine Machtübergabe konservativer Kräfte an Hitler«, betonte Demirel. »Und es ist für mich inakzeptabel, wie auch im Europaparlament versucht wird, der Sowjetunion eine Mitschuld am Zweiten Weltkrieg zuzuschreiben.« Klar verurteilte die Linke-Politikerin Putins Krieg gegen die Ukraine, kritisierte aber hart die Ausladung russischer Vertreter*innen zu den Feierlichkeiten zum Kriegsende in Deutschland[3]. Denn: »Es war die Rote Armee, die den Sieg über den Hitlerfaschismus eingeleitet und vorangebracht hat.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191873.linke-friedenskonferenz-suche-nach-der-friedensformel.html