Ich kann jetzt machen, was ich will: Bei Rot über die Ampel gehen; Kokain verkaufen; in einen Juwelierladen gehen, mir sämtliche Perlenketten um den Hals hängen und ohne zu bezahlen rausspazieren. Mir kann keiner mehr was! Weil Gesetze in Deutschland jetzt nicht mehr gelten. Wie, das wussten Sie nicht?! Haben Sie nicht von Dobrindt gehört? Alexander Dobrindt, unser aller Innenminister, hat beschlossen, dass man auf Gesetze scheißen darf.[1] Ungewöhnlich für einen Bundesminister, aber er ist halt unkonventionell. Das muss man respektieren. Und wenn für ihn Gesetze nicht mehr gelten, dann für keinen von uns.
Und so kam es dazu: Minister Dobrindt hatte kürzlich angeordnet, dass Asylsuchende nunmehr an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden sollten. Dies widerspricht internationalen Gesetzen, insbesondere Artikel 14 der Allgemeinen Menschenrechte, Artikel 33 der UN-Flüchtlingskonvention (der ausdrücklich verbietet, Asylsuchende an Grenzen zurückzuweisen) sowie dem EU-Recht. Übrigens auch dem deutschen Recht. Drei Somalier hatten dagegen geklagt und Recht bekommen.[2] Das Berliner Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Zurückweisung Asylsuchender rechtswidrig sei.
Jetzt hätte man erwarten können, dass der Innenminister sagt: »Sorry, hab’ mich da ein bisschen verrannt, kommt nicht wieder vor.« Aber nein! Dobrindt will das Gerichtsurteil ignorieren, weiterhin die Bundespolizei losschicken und rechtswidrig Schutzsuchenden an den Grenzen das Recht auf ein Asylgesuch verweigern. Das heißt, die Bundespolizei bricht nun wissentlich geltendes Recht. Als Innenminister ist CSU-Politiker Dobrindt auch für den Schutz der Verfassung zuständig. Irgendwie dachte ich, Gesetze gehören auch dazu, aber anscheinend nicht.
Fein. Also muss ich mich auch nicht mehr an Gesetze halten. Ich kann in der Bank an der Ecke sämtliche Safes leerräumen; mit einem Schraubenzieher auf jeden Tesla »Fuck Elon« drauf kratzen; und wenn mir jemand blöd kommt, kann ich ihm einfach eine reinsemmeln. Das ist ja jetzt erlaubt.
Die Zeiten, wo die CDU/CSU für »law and order« stand, sind offensichtlich vorbei. Unionsfraktionsvize Günter Krings möchte – wie es der Deutschlandfunk überraschend zahm formuliert[3] – eine »Überprüfung der Menschenrechtskonvention im Bereich Migration«. Mit anderen Worten: Krings will gucken, wie Geflüchtete aus der Menschheit herausdefiniert werden können, damit Menschenrechte nicht auf sie zutreffen. Skandalös, so etwas überhaupt in Betracht zu ziehen! Hier werden Errungenschaften der gesamten Menschheit mal eben im Papiermüll entsorgt. Da ist vornehme Zurückhaltung nicht angebracht, lieber DLF.
Der »Tagesspiegel« nennt Dobrindts Vorgehen »amateurhaft«.[4] Fachleute greifen jedoch zu einer viel härteren Sprache: Der Bundesvorstand der Neue Richter*innenvereinigung sah sich genötigt, eine Pressemitteilung herauszugeben mit dem Titel[5]: »Richterverband erschüttert über die fehlende Rechtstreue des neuen Innenministers. Rechtsstaatliche Prinzipien gelten auch für die neue Bundesregierung!« Mit Ausrufezeichen!
Wenn schon Richter*innen das so hart formulieren, warum sind deutsche Medien dann so windelweich? Beim Heizungsgesetz sah man das Ende der Zivilisation gekommen, aber wenn grundlegende Menschenrechte sowie geltendes deutsches Recht zur Disposition gestellt werden, dann weicht man auf die verbale Allzweckwaffe für Feiglinge aus: das Wörtchen »umstritten«. So etwa bei der Süddeutschen Zeitung: »umstrittene Asylpolitik«[6]. Ein Kommentator der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« meint sogar, die Bundesregierung solle »Kurs halten«[7], also weiterhin den Rechtsbruch durchziehen, Hauptsache, die Migrant*innen bleiben weg. Interessant, wer so alles auf Menschenrechte scheißt.
Aber es wird trotzdem ungemütlich für den Bundesinnenminister: Die Nichtregierungsorganisation »Frag den Staat« hat Strafanzeige gegen Dobrindt gestellt[8], wegen »Verleitung von Untergebenen zu einer Straftat«, weil die Bundespolizei angewiesen werde, rechtswidrig Asylsuchende zurückzuweisen.
Nochmal zur Erinnerung: Menschenrechte sind nicht verhandelbar.