nd-aktuell.de / 13.06.2025 / Wirtschaft und Umwelt

Biontech will Konkurrenten schlucken

Mainzer Unternehmen möchte Entwicklung von Krebs-Immmuntherapien stärken, aber es geht wohl um mehr

Kurt Stenger
Das Firmengebäude des Biotechnologie-Unternehmens Curevac in Tübringen
Das Firmengebäude des Biotechnologie-Unternehmens Curevac in Tübringen

Als »strategische Transaktion« kündigt das Mainzer Pharmaunternehmen Biontech die geplante Übernahme des kleinen Tübinger Konkurrenten Curevac an. »Unser Ziel ist es, die Entwicklung von innovativen und transformativen Krebsbehandlungen voranzutreiben und in den kommenden Jahren neue Behandlungsstandards für verschiedene Krebsarten zu etablieren«, lässt sich Biontech-Gründer Uğur Şahin in einer Mitteilung des Unternehmens von Donnerstag zitieren.

Das damalige Start-up Biontech wurde in der Corona-Pandemie durch die schnelle Entwicklung eines mRNA-Impfstoffs weltweit bekannt und stieg dank einer Partnerschaft mit dem Pharmariesen Pfizer zum milliardenschweren Unternehmen auf. In den vergangenen Jahren gingen die Umsätze zwar stark zurück[1], doch finanziell scheint der Curevac-Deal kein großes Problem darzustellen. Biontech will die Übernahme bis Ende des Jahres über einen Aktientausch abwickeln und setzt dafür einen Wert von ungefähr 5,46 US-Dollar je Curevac-Aktie an. Die Übernahme hätte damit einen Gesamtumfang von etwa 1,1 Milliarden Euro. Mehrere Großaktionäre von Curevac, darunter SAP-Mitgründer Dietmar Hopp, sollen bereits zugestimmt haben. Biontech geht auch davon aus, dass die deutsche Staatsbank KfW, die gut 13 Prozent der Curevac-Anteile hält, die Transaktion unterstützen wird.

Die Tübinger waren in der Pandemie bei der Entwicklung eines eigenen Covid-Impfstoffs gescheitert, was das Unternehmen zeitweilig in Existenznot brachte. Jetzt schoss der Aktienkurs nach Bekanntwerden der Pläne fast 40 Prozent in die Höhe, während der Biontech-Kurs leicht nachgab. Einige Marktbeobachter schätzen die geplante Übernahme offenbar als zu teuer ein.

Offiziell will Biontech »komplementäre Fähigkeiten und Technologien zusammenbringen«, um Forschung, Entwicklung, Herstellung und Kommerzialisierung von mRNA-basierten Krebsimmuntherapie-Kandidaten zu stärken. Analysten sehen hingegen auch einen rein finanziellen Grund: Beide Unternehmen führen in Deutschland und den USA vor Gericht milliardenschwere Patentstreitigkeiten gegeneinander. Die Lage bei den zahlreichen Verfahren ist zwar unübersichtlich, doch Experten geben Curevac hier gute Chancen. Diese Baustelle wäre durch eine Übernahme vom Tisch.

Einen weiteren Grund könnte die Marktlage liefern. Bei der Entwicklung von mRNA-Krebstherapien gibt es bislang nur drei ernsthafte Kandidaten: Biontech, Curevac und zudem Moderna in den USA. Daher könnte Biontech laut Experten dem Einstieg eines großen Pharmaunternehmens durch Kauf von Curevac zuvorkommen wollen. Zumal Moderna mit finanzieller Unterstützung des Pharmariesen Merck derzeit auch noch die Nase vorn zu haben scheint. Ein Impfstoff für eine Immuntherapie gegen Hautkrebs befindet sich in der finalen Phase-III bei den klinischen Tests, die bei gutem Resultat Grundlage für eine mögliche Marktzulassung wäre. Biontech wiederum hat vor wenigen Tagen eine strategische Partnerschaft mit dem Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb bekanntgegeben. Dabei geht es nicht um einen Impfstoff, sondern um die Weiterentwicklung des bispezifischen Antikörperkandidaten BNT327, der gegen eine Vielzahl von Tumorarten helfen soll.

Bislang sind weder Antikörper noch Immuntherapien gegen Tumore auf dem Markt. Geforscht wird daran aber schon lange. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts experimentierte ein US-Onkologe damit. Das wurde nicht weiter verfolgt wegen der Fortschritte zunächst bei der Strahlentherapie und dann bei der Chemobehandlung. Beide haben indes schwere Nebenwirkungen, daher wird seit Jahrzehnten vielerorts nach Alternativen gesucht. Dabei geht es auch um herkömmliche Impfstoffe. Hier hatten erste klinische Tests von Forschern aus Wien enttäuschende Resultate geliefert, denn die Heilungschancen vergrößerte eine zusätzliche Vakzin-Gabe nicht. Erst hinterher stellte sich überraschend heraus, dass Geimpfte aber eine deutlich erhöhte Chance haben, eine Krebserkrankung zu überleben, da die Metastasen-Bildung gehemmt wird.

Auch deshalb wird in der Fachwelt große Hoffnungen auf die Immuntherapie gesetzt. Ein zentrales Problem ist, dass es so viele unterschiedliche Krebsarten gibt, dass es keinen einheitlichen Impfstoff geben kann. Ein Vorteil der mRNA-Technologie[2] könnte sein, dass sie eingesetzt werden soll, um individuell auf den Patienten zugeschnittene Mittel zu entwickeln. Diese könnten bessere Resultate liefern, wären dann aber extrem teuer[3], sodass die Gefahr bestünde, dass viele Personengruppen und ganze Weltregionen abgehängt werden. Insofern geht es hier auch um zentrale Fragen der Zukunft der medizinischen Versorgung. Dabei wird die Übernahme von Curevac durch Biontech wohl nicht mehr als eine Fußnote sein.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163014.corona-bedarf-an-covid-impfstoffen-schrumpft.html?sstr=curevac
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176811.medizinnobelpreis-die-rna-nerds.html?sstr=mRNA
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1159187.medikamentepreise-euro-fuer-eine-packung.html