Wochenlang hatten sie gekämpft und breite Unterstützung in Politik und Öffentlichkeit mobilisiert. Selbst SPD-Abgeordnete aus Bund, Land und Bezirk setzten sich dafür ein, beim Eckhaus an der Warschauer Straße und Kopernikusstraße in Friedrichshain – dessen maroder, mit Holzbalken gestützter Balkon[1] ein beliebtes Fotomotiv ist – das Vorkaufsrecht zu nutzen. Doch am Donnerstag kam für die 37 verbliebenen Mieter*innen die Hiobsbotschaft: Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) teilte mit, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Vorkaufsrecht[2] nicht wahrnehmen werde.
Schmidt machte das »Behörden-Pingpong« auf Landesebene für das Scheitern verantwortlich. Die CDU-geführte Senatsverwaltung für Finanzen hatte auf die Zuständigkeit der SPD-geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen verwiesen. Diese wiederum lehnte die Übernahme ab, da keine Finanzierungszusage durch die Finanzverwaltung vorlag.
Nachdem der Bezirk jahrelang mitangesehen hatte, wie das Gebäude verfiel und der Leerstand auf ein Drittel der Wohnungen anwuchs, soll nun eine härtere Gangart eingeschlagen und das Haus als Problemimmobilie behandelt werden. Schmidt kündigte an: »Die neuen Eigentümer werden sich mit den Instrumenten der Bauaufsicht, des sozialen Erhaltungsrechts und der Zweckentfremdung vertraut machen müssen.«
Auf ein entschlosseneres Vorgehen gegen die Eigentümer und einen besseren Schutz durch den Bezirk hoffen nun auch die Bewohner*innen. Die Stimmung im Haus schwanke zwischen Enttäuschung und Wut, berichtet eine Bewohnerin. Jetzt gelte es, die Hausgemeinschaft zusammenzuhalten und Zermürbung sowie Resignation entgegenzuwirken. Ausziehen werde man nicht, ergänzt eine andere. Sie sagt: »Unser Haus, das von außen so aussieht, als würde es jeden Moment zusammenfallen, steht. Weil wir es halten. Und weil wir bleiben. Weil wir trotz Einschränkungen nicht kapitulieren und nicht freiwillig ausziehen. Wir fühlen uns hier sehr wohl und aufgehoben. Das ist unser Platz und Wirken – ein harmonisches Miteinander in einer Millionenstadt.«
Auch der Berliner Mieterverein[3] hatte sich stark gemacht für die Übernahme durch ein landeseigenes Wohnungsunternehmen. Geschäftsführer Sebastian Bartels sagt »nd«, dass in diesem Fall »wirklich alle Bedingungen vorlagen, um das Vorkaufsrecht auszuüben: eine vernachlässigte Immobilie, leerstehende Wohnungen, die für besondere Zielgruppen genutzt werden könnten, eine starke Hausgemeinschaft mit Ideen sowie ein ausgefeiltes Konzept, das der Bezirk in mühevoller Kleinarbeit entwickelt hat«. Vom Scheitern gehe ein verheerendes Signal an Investoren aus, die keine Vereinbarung zur Abwendung des Vorkaufsrechts mehr unterzeichnen werden – weil sie davon ausgehen können, dass der Senat ohnehin kein Geld für eine Übernahme bereitstellt. Darüber hinaus werde den Bezirken signalisiert, dass es sinnlos sei, Arbeit in die Vorbereitung des Vorkaufsrechts zu investieren.
»In diesem Fall lagen wirklich alle Bedingungen vor, um das Vorkaufsrecht auszuüben.«
Sebastian Bartels Mieterverein
Bartels vermisst beim Senat den klaren Willen, das Vorkaufsrecht tatsächlich anzuwenden und bestehende Hürden aus dem Weg zu räumen. Der Senat solle sich endlich mit den Bezirken an einen Tisch setzen und ein klares Konzept mit Kriterien für die Anwendung des Vorkaufsrechts entwickeln. Überfällig sei zudem die Einrichtung einer Stabsstelle, um die Zuständigkeitsblockaden zwischen den Senatsverwaltungen zu überwinden.
Für die Abgeordnete Katrin Schmidberger (Grüne) ist die Absage des Senats die »faktische Beerdigung des Vorkaufsrechts«. Statt zu handeln, habe man die Verantwortung zwischen den Senatoren hin- und hergeschoben. Auch Schmidberger fordert Transparenz, nachvollziehbare Kriterien und eine landesweite Strategie, um spekulative Käufe wirksam zu verhindern und »gemeinsam mit landeseigenen Wohnungsunternehmen, Genossenschaften und Stiftungen Häuser in gemeinwohlorientierte Trägerschaft zu überführen«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191889.wohnen-haus-mit-balkon-bleibt-in-spekulantenhand.html