nd-aktuell.de / 15.06.2025 / Politik

Solidarität mit Palästinensern: Alte Gewissheiten, neue Allianzen

In Berlin verbanden sich am Wochenende Teile der alten Friedensbewegung mit jungen, propalästinensischen Gruppen

Julian Daum
Auf den Stoffflügeln sind die Namen vieler Getöteter in Gaza verzeichnet.
Auf den Stoffflügeln sind die Namen vieler Getöteter in Gaza verzeichnet.

Seit 20 Monaten berichten Palästinenser*innen im Gazastreifen[1] über das Sterben ihrer Liebsten, Nachbarn, Freunde. Dafür konnten sie bislang noch das Internet nutzen. Doch auch das wird zunehmend schwieriger. Die Vereinten Nationen berichteten, das letzte funktionierende Datenkabel sei wohl durch militärische Aktivitäten beschädigt worden. Zudem bekommen die leidenden Menschen in Gaza seit dem Angriff Israels auf den Iran[2] erheblich weniger Aufmerksamkeit. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem appellierte deshalb auf Social Media: »Richtet die Augen weiterhin auf Gaza!« Ähnlich äußerte sich die israelisch-palästinensische Initiative Standing Together.

Dass also die Videobotschaft von einem Arzt in Gaza am Samstag die Demonstrant*innen in der Nähe des Brandenburger Tors in Berlin erreichte, war angesichts der Umstände nicht selbstverständlich. Dort waren je nach Angabe 2000 bis 3000 Menschen dem gemeinsamen Aufruf der Friedenskoordination Berlin, der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost und Eye4Palestine gefolgt, um gegen »den Völkermord, das Aushungern und die Vertreibung der Palästinenser« sowie für ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an Israel zu demonstrieren. Ein Bündnis, das ungewöhnlich erscheinen mag, wurde die palästinasolidarische Bewegung in Deutschland[3] seit Oktober 2023 doch vor allem von Migrant*innen und Menschen mit Einwanderungsgeschichte getragen.

»Ich finde das sehr wichtig, dass ein Bündnis zwischen denen, die seit Jahrzehnten in der Friedensbewegung aktiv sind, und der Palästina-Solidarität zustande kommt«, sagt ein Teilnehmer jenseits der 70. Er nennt sich Friedens-Eddi. Er sagt, er sei seit Jahrzehnten Teil der Friedensbewegung und mit dem Bündnis für Frieden aus Brandenburg angereist. Seit etwa zwei Jahren, sagt er, gebe es Kontakte zu Organisationen wie etwa der Jüdischen Stimme. »Das ist jetzt umso wichtiger geworden, denn das, was in Gaza passiert, ist für alle Friedensbewegte früher unvorstellbar gewesen.«

Friedens-Eddi ist mit dem Bündnis für Frieden zur Kundgebung in Berlin gereist.
Friedens-Eddi ist mit dem Bündnis für Frieden zur Kundgebung in Berlin gereist.

Breiter solle das gesellschaftliche Band also für die Rechte der Palästinenser*innen werden, nicht mehr jede Gruppe nur für sich, »von mir aus auch mit Gewerkschaften, kirchlichen Kräften und Parteien«, sagt Eddi. Er gibt aber zu, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Weder Gewerkschaften noch Parteien jenseits der Fünfprozenthürde sind an diesem Tag offiziell hier.

»Im Gegenteil, Verdi hat uns doch vor Kurzem noch kriminalisiert und uns polizeilich von ihrer Demo geschmissen«, sagt Claudia, die sich in palästinasolidarischen Gruppen engagiert. Sie meint eine von der Dienstleistungsgewerkschaft organisierte Demonstration in Berlin vor einigen Monaten, bei der Pro-Palästina-Aktivist*innen rabiat ausgeschlossen worden sein sollen, so der Vorwurf.

Die Zusammensetzung der Teilnehmer*innen ist tatsächlich eine andere als auf bisherigen propalästinensischen Demos. Rentner*innen halten Fahnen mit der Friedenstaube hoch, sozialistische Kleinstparteien haben Stände mit roten Fahnen aufgebaut. Derweil sind von links vor der Bühne – mit deutlich geringerem Altersdurchschnitt – arabische Sprechchöre zu hören. Doch noch besteht der Eindruck, man stehe eher neben- als miteinander. Vorne links hat sich ein eher geschlossener Block gebildet, weiter hinten beschwert sich eine ältere Frau, dass auf der Bühne zu viel Arabisch gesprochen werde.

Dabei sind von dort vor allem deutschsprachige Liedergut-Klassiker wie »Sag mir, wo die Blumen sind« zu hören. Arabische Aktivist*innen bleiben weitestgehend vor der Bühne – als einzige Gruppe übrigens umstellt von Polizist*innen.

»Früher waren da schon mehr junge Leute aktiv«, erzählt Burkhard, ebenfalls vom Bündnis für Frieden. Der ehemalige DDR-Bürger kennt die Solidarität mit Palästina »seit dem Jom-Kippur-Krieg und dem Friedensprozess zwischen Yitzhak Rabin und Yassir Arafat.« Zahlenmäßig ist die Demo heute für ihn eine Enttäuschung. Einerseits sind die Berührungsängste der doch unterschiedlichen Gruppen spürbar.

Auf der Kundgebung forderten die Menschen die Verhaftung des israelischen Premiers.
Auf der Kundgebung forderten die Menschen die Verhaftung des israelischen Premiers.

Andererseits ist es natürlich möglich, dass viele bürgerliche Akteure wegen der aktuellen Einstufung der Jüdischen Stimme durch den Verfassungsschutz als extremistisch und antisemitisch abgeschreckt sind und daher nicht teilnehmen. Die restlichen Veranstalter aber stellten sich hinter die Jüdische Stimme und deren Rednerin Udi Raz, die Israelin und Jüdin ist.

Am Samstag zeigte sich einmal mehr die Schwierigkeit, organisations- und ideologieübergreifende Bündnisse in Deutschland aufzubauen. Zu sehr spielen Alter, Herkunft, Klasse, Ethnie hier eine Rolle. Ein Land, das systemisch auf solchen Ungleichheiten aufgebaut ist, macht es auch zivilgesellschaftlichen Initiativen schwer, diese Barrieren zu durchbrechen. Doch vielleicht wurde hier ein Anfang gemacht, gesellschaftlich künftig breiter für die Rechte von Palästinenser*innen einzustehen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191817.israels-krieg-in-gaza-genozid-und-widerstand.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191888.iran-und-israel-kriegserklaerung-gegen-eine-ganze-region.html?sstr=iran
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191375.berlin-nakba-demo-videos-stellen-offizielle-darstellung-infrage.html?sstr=demo|gaza