nd-aktuell.de / 20.06.2025 / Wirtschaft und Umwelt

Deutscher Kolonialismus mit grünem Anstrich

Studie mit sechs Fallbeispielen zu problematischen Rohstoffprojekten aus vier Kontinenten

David Zauner
Stoff der Begierde: eine Glasschale mit Lithiumchlorid
Stoff der Begierde: eine Glasschale mit Lithiumchlorid

Hinter dem vorherrschenden Dogma des grünen Wachstums steckt die Überzeugung, dass sich Wirtschaftswachstum und Klimaschutz doch irgendwie vereinen lassen. Einzig die fossilen Technologien müssten peu à peu durch grüne Alternativen – Solarpaneele, E-Autos, Wasserstoff – ersetzt werden, heißt es. Um diesen Übergang zu meistern, benötigen gerade Industrienationen immer größere Mengen an erneuerbaren Energien und den zu ihrer Produktion nötigen Rohstoffen, vor allem Metalle. [1]Nach altem Muster wandert der ressourcenhungrige Blick des globalen Nordens auf der Suche nach Mineralien wie Lithium, Nickel und Kupfer in die Länder der wirtschaftlichen Peripherie.

»Bei den Erneuerbaren kann der Überfluss, wie bei allen Ressourcen in extraktivistischen Volkswirtschaften, genauso ein Fluch wie ein Segen sein«, schreibt die brasilianische Ökonomin Sabrina Fernandes im Vorwort der Analyse »Green at home, harm abroad«, die Deutschlands zwiespältige Rolle in der aktuellen Entwicklung beleuchtet. Sobald ein Bergbau- oder Wasserstoffprojekt als notwendig für die Energiewende eingestuft werde, würden sich die Rechtfertigungen für alle möglichen negativen Auswirkungen auf Umwelt und Mensch wie von selbst schreiben. Das Kernziel der Industrienationen sei Dekarbonisierung, ohne die Konsumstandards und die sozio-ökonomischen Verhältnisse durcheinanderzubringen.

Anhand von sechs Beispielen skizzieren Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen in der am Mittwoch in Bonn veröffentlichten Untersuchung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wie Deutschlands Dekarbonisierung von neokolonialen Ausbeutungsverhältnissen abhängt. In Mexiko, Indonesien und Serbien geht es um den Kupfer-, Nickel- und Lithiumabbau, in Namibia, Chile und Brasilien werden Deutschlands öffentliche und private Investitionen in Wasserstoffprojektea durch eine »dekoloniale Brille« analysiert.

Im Jadar-Tal in Serbien soll die größte Lithium-Mine Europas entstehen. [2]Für die Elektrifizierung des Verkehrs in Europa – und nicht zuletzt für die deutsche Autoindustrie – hat das Projekt eine herausragende Bedeutung. Zumal die EU Ressourcenunabhängigkeit vor allem von China anstrebt. Massive Proteste und Kritik von Anwohner*innen, Umweltschützer*innen und Expert*innen begleiten das Projekt im Westen des Landes seit Anbeginn.[3] Der Abbau gefährdet eine der wichtigsten Süßwasserreserven Serbiens. 22 Dörfer und rund 20 000 Menschen wären unmittelbar betroffen, sollte kontaminiertes Abwasser in das Grundwasser gelangen.

»Bei den Erneuerbaren kann der Überfluss, wie bei allen Ressourcen in extraktivistischen Volkswirtschaften, genauso ein Fluch wie ein Segen sein.«

Sabrina Fernandes Ökonomin

Vorangetrieben wird das Projekt von dem britisch-australischen Bergbauunternehmen Rio Tinto, zu dessen Anteilseignern auch deutsche Banken und Versicherungen zählen. Es betont im Gleichklang mit Regierungsvertreter*innen Serbiens, Deutschlands und der EU-Kommission, dass sich mit modernen Technologien und strengen Umweltstandards die Auswirkungen auf die örtliche Bevölkerung minimieren ließen. Tatsächlich musste Rio Tinto schon mindestens 15 Entschädigungsforderungen von Landwirt*innen begleichen, deren Ernte vergiftet wurde, bevor der Abbau überhaupt begonnen hat. Schuld waren Erkundungsbohrungen, in deren Folge erhöhte Bor-, Lithium- und Arsenkonzentrationen im Grund- und Flusswasser gemessen wurden. Der autoritär regierende und unter Korruptionsverdacht stehende serbische Präsident Aleksandar Vučić betont indes weiterhin die wirtschaftliche Bedeutung für Serbien und hält ebenso wie Deutschland und die EU an dem Abbauvorhaben fest. Anfang Juni stufte Brüssel die Mine als ein strategisch wichtiges Projekt für kritische Rohstoffe ein, was neue Geldtöpfe öffnet und schnellere Genehmigungsverfahren rechtfertigt.

Ob das Projekt der serbischen Wirtschaft wirklich nützen wird, ist umstritten. Der Ökonom Boris Begović warnte etwa, es könnte dem Balkanstaat am Ende mehr Kosten als Einnahmen verschaffen. Der Großteil der Gewinne fließe ins Ausland, während Teile der Kosten für die Infrastruktur und für Umweltschäden an Serbien hängenblieben.

Der Lithiumabbau zeige Dynamiken eines grünen Kolonialismus, schreibt Mitautorin Daniella Palmberg, Expertin für seltene Rohstoffe. Eine Bevölkerung am ökonomischen Rand Europas müsse ihre Umwelt und ihren Lebensunterhalt für einen vermeintlich grünen Wandel in den globalen Wirtschaftszentren opfern.

Rund 8000 Kilometer südlich soll in einer ehemaligen deutschen Kolonie eines der größten grünen Wasserstoffprojekte der Welt entstehen.[4] Mitten im namibischen Tsau-Khaeb-Nationalpark sind 500 Windturbinen und 40 Quadratkilometer Photovoltaik geplant. Ab 2028 sollen eine Million Tonnen grüner Ammoniak – ein besser transportierbares Wasserstoff-Derivat – vor allem nach Europa und Asien verschifft werden, ab 2030 sollen es zwei Millionen Tonnen sein.

Hinter dem deutsch-namibischen Gemeinschaftsvorhaben »Hyphen« stehen das auf den Britischen Jungferninseln registrierte Unternehmen Nicholas Holdings und das deutsche Energieunternehmen Enertrag. Die Gesamtinvestitionen entsprechen mit zehn Milliarden US-Dollar in etwa dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt des südwestafrikanischen Landes. Während der grüne Wasserstoff in Deutschland eine brummende, dekarbonisierte Wirtschaft ermöglichen solle, trügen »historisch marginalisierte Gruppen die Hauptlast der sozialen und ökologischen Kosten der Wasserstoffproduktion«, heißt es in der Untersuchung.

Umweltverbände warnen, dass das Projekt die Biodiversität und Habitate endemischer Arten unwiederbringlich zerstören könnte. Die Projektentwickler versichern zwar, die ökologisch wertvollsten Orte schützen zu wollen. Bislang legten sie aber keine konkreten Pläne vor. Zudem ist fraglich, ob die breite Bevölkerung von der Stromproduktion profitieren wird. Zwar deuteten die Unternehmen an, überschüssige Energie in das nationale Netz einspeisen zu wollen. Allerdings ist knapp die Hälfte der Haushalte nicht daran angebunden.

Auch die Zusage der Betreiber, 90 Prozent der 3000 Arbeitsplätze, die langfristig entstehen sollen, mit namibischen Arbeiter*innen besetzen zu wollen, hängt in der Luft. Die deutsche Regierung hat eingeräumt, dass einige Aufgaben besonderes Fachwissen benötigten und deshalb voraussichtlich nicht von der lokalen Bevölkerung übernommen werden könnten.

Dass die Abkehr von fossilen Energien dränge, sei nicht zu leugnen, erklären die Autor*innen der Untersuchung. Solange aber das kapitalistische Wirtschaftssystem mit seinem steigenden Energiebedarf nicht infrage gestellt werde, sei eine »echte Energiewende« ausgeschlossen. Dafür brauche es mehr als technologische Veränderungen, argumentiert die Rosa-Luxemburg-Stiftung, und zwar »eine Transformation der Machtverhältnisse, die unsere Welt historisch geprägt hat«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174766.klimaschutz-metalle-fuers-wachstum.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188960.serbien-das-weisse-gold-vom-jadar-tal.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185985.litihium-abbau-lithium-in-serbien-wir-verschenken-das-weisse-gold.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184947.energiewende-wasserstoff-aus-namibias-wueste.html