Wie reagiert die Frente Polisario, die Befreiungsbewegung der Westsahara, auf die jüngsten Ankündigungen von Großbritannien, den marokkanischen Autonomieplan von 2007 als Verhandlungsgrundlage anzuerkennen?
Wir bedauern, dass Großbritannien als ein ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, wo London den Friedensplan der Vereinten Nationen für Westsahara mit erarbeitet und an allen Resolutionen diesbezüglich mitgewirkt hat, jetzt diesen sogenannten Autonomieplan unterstützt. Großbritannien verabschiedet sich damit von einer wesentlichen Grundlage des internationalen Rechts, nämlich dem Prinzip der Selbstbestimmung. Keiner der verschiedenen UN-Sonderbeauftragten hat den marokkanischen Autonomieplan jemals ernst genommen oder den Sahrauis als Verhandlungsgrundlage angeboten. Der Plan ist eine Totgeburt und mit seinen zwei Seiten ohne Substanz schlicht mager. Von Anfang an war dieser Plan kein ernsthafter Lösungsversuch, sondern ein marokkanisches Manöver.
Liegen andere Vorschläge auf dem Tisch?
Ja. Auch die Polisario hat einen Vorschlag eingebracht, welcher unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und mit Unterstützung von der Afrikanischen Union ein Selbstbestimmungsreferendum vorsieht. Die Frage der Souveränität kann nur geklärt werden, wenn das Volk sein unantastbares Recht auf Selbstbestimmung ausübt. Alles andere ist Zeitverschwendung und bedeutet eine Aushöhlung der internationalen Legitimität und des Völkerrechts.
US-Präsident Donald Trump hat in seiner ersten Amtszeit die Ansprüche Marokkos auf die Westsahara bekräftigt und sogar die Eröffnung einer Botschaft angekündigt. Hat er sich in der zweiten Amtszeit dahingehend geäußert?
Nein, nicht direkt. So besteht immer noch die Anerkennung der marokkanischen, sogenannten Souveränität über Westsahara seitens Trump, wie es am Ende seiner ersten Amtszeit war. Er hat kein Konsulat in den Besetzten Gebieten eröffnet. Momentan sehen wir nicht, dass er sich mit der Westsahara beschäftigt. Wir sollten nicht vergessen, dass die Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara im Rahmen der Abraham-Abkommen erfolgte, um die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Marokko zu normalisieren. Donald Trump hatte diesen Deal bereits abgeschlossen.
Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Jahren Marokko stark angenähert, Stichwort grüne Energieimporte, teilweise aus der Westsahara. Die Unabhängigkeit der Westsahara wurde dagegen kaum bis gar nicht thematisiert. Wie bewerten Sie die Position von Deutschland?
Deutschland erkennt den marokkanischen Vorschlag zum Autonomieplan nicht als Lösung an, sondern sieht ihn lediglich als einen Beitrag im Rahmen der UN-Verhandlungen. Es unterstützt den politischen Prozess unter Leitung der Vereinten Nationen und hält dabei ausdrücklich an den Grundprinzipien des Völkerrechts fest – insbesondere am Recht auf Selbstbestimmung der Völker. Andererseits hat die vergangene Ampel-Regierung die Annäherung an Marokko gesucht. In Zeiten diplomatischer Krisen beider Länder wurde mit einem Satz auf der Webseite, dass Marokko »im Jahr 2007 mit einem Autonomie-Plan einen wichtigen Beitrag« geleistet hat, Marokko besänftigt. Die Ampel-Regierung hat das als Erfolg ihrer Außenpolitik verkauft. Uns wurde immer gesagt, dass die Bundesregierung ihre Position nicht verlassen hat. Für Deutschland ist der »Status der Westsahara ungeklärt« und die Bundesregierung betrachtet die Westsahara weiterhin als nicht selbst regierte Region.
Was erwarten Sie von der Bundesregierung unter dem CDU-Außenminister Johann Wadephul?
Natürlich wünschen wir uns nicht, dass die Bundesrepublik ihre derzeitige Position beibehält, sondern dass sie aktiv die Grundprinzipien des Völkerrechts verteidigt, einschließlich des unantastbaren Rechts der Völker auf Selbstbestimmung. Doch inzwischen muss ich ehrlich sagen, dass ich mit der positiven Neutralität, die die deutsche Regierung in den vergangenen Jahren verfolgt hat, durchaus zufrieden bin – eine Position, die sich klar an Frieden, internationalem Recht und den Grundsätzen der UN-Charta orientiert. Dennoch hoffe ich, dass die Bundesrepublik aktiver wird und auf die Durchsetzung des jahrzehntelang geplanten Referendums drängt. Und ich wünsche mir, dass Deutschland die Ausbeutung der Westsahara nicht weiter unterstützt. Denn es gibt keine saubere grüne Energie unter Besatzung.
Die Polisario agiert politisch, militärisch und juristisch. So hat sie im vergangenen Jahr vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Recht bekommen, dass das Fischerei- und Landwirtschaftsabkommen zwischen EU und Marokko nicht auf die Westsahara anwendbar ist. Wie kam es dazu?
Nachdem die Europäische Kommission dreimal Widerspruch eingelegt hatte, entschied der EuGH vergangenes Jahr endgültig: Die Ausbeutung der Westsahara ist illegal, weil sie besetzt ist und kein Land Verträge mit der Besatzungsmacht schließen darf. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Westsahara ein von Marokko »gesondertes und unterschiedliches« Territorium ist, über das Marokko weder Souveränität noch Verwaltungsmandat hat. Vermeintliche Konsultationen sind nicht ausreichend und es liegt keine Zustimmung des sahrauischen Volkes vor. Das Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung muss respektiert werden.
Welche Bedeutung hat das Urteil?
Es ist sehr wichtig, denn hier wurde von einem Volk und nicht von Bevölkerung gesprochen. Das Volk als politische Einheit, welches von der Polisario politisch und juristisch vertreten wird. Ende Oktober dieses Jahres läuft das Agrarabkommen aus, während das Fischereiabkommen bereits im Juli 2024 ausgelaufen ist und nicht mehr verlängert werden dürfte. Ein anderer juristischer Erfolg ist, dass alle Produkte, die aus der Westsahara kommen nicht mit »Marokko« etikettiert werden dürfen. Dass verdeutlich erneut, dass Marokko eine Besatzungsmacht ist. Und deswegen wundert es uns das Verhalten von Staaten wie Großbritannien noch mehr.
Könnten Sie bitte die gegenwärtige Situation in den Flüchtlingslagern umschreiben?
Ich war erst vor drei Wochen dort. Die Situation ist trist, hier leben ungefähr 180 000 Menschen seit über 50 Jahren in der Wüste. Die Menschen hängen nach wie vor am Tropf der internationalen Hilfe. Die Situation ist nicht leicht, gleichzeitig versuchen die Menschen ihren Alltag zu meistern. Die Schulen und die medizinische Versorgung funktionieren trotz aller Schwierigkeiten. Wichtig ist zu betonen, dass die Flüchtlingslager selbst organisiert sind und die Frauen eine zentrale Rolle spielen, da die Männer meist entweder an der Front, im Ausland oder in anderen Berufen tätig sind.
Welche Rolle spielt die Diaspora in Ihrem Kampf?
Viele Sahrauis leben als Migranten in Algerien, Mauretanien oder in Europa, insbesondere in Spanien und Frankreich. Gerade in diesen beiden Ländern haben sich viele in Vereinen oder migrantischen Gemeinschaften organisiert. Alle setzen sich entschieden für die Unabhängigkeit der Westsahara ein, doch ihre Schwerpunkte variieren: Einige arbeiten daran, den Freiheitskampf der Westsahara bekannter zu machen, andere konzentrieren sich auf die Unterstützung politischer Gefangener in marokkanischen Gefängnissen, während wiederum andere die Flüchtlingslager aktiv unterstützen
Obwohl »Selbstbestimmung« und »Dekolonisierung« gefühlt in aller Munde sind, ist der Kampf für die Westsahara kaum bekannt. Können Sie sich das erklären?
Es ist eine fatale Kombination von verschiedenen Sachen. Besonders relevant ist, dass die marokkanische Politik sehr restriktiv ist. In die besetzten Gebiete dürfen keine internationalen Beobachter oder Journalisten einreisen. Vor wenigen Tagen wurden Menschenrechtler und Abgeordnete aus Spanien an der Einreise gehindert. Das verhindert die wahre Darstellung der Besatzung und der schlechten Menschenrechtssituation. Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen ist seit neun Jahren – egal wer es war – nicht in den besetzten Gebieten gewesen. Auch finanziert Marokko umfangreiche Medienarbeit, um die Berichterstattung zu beeinflussen. Und ich möchte nur an den Konflikt zwischen Frankreich und Marokko erinnern, nachdem bekannt wurde, dass Marokko das Spionagesystem Pegasus eingesetzt hatte sowie die aufgedeckte Bestechung von europäischen Parlamentariern durch Marokko. Das alles zielt darauf ab, durch Erpressung und Korruption den Konflikt auf kleiner Flamme zu halten.
Was können Sie medial dagegen setzen?
Wir sind ein kleines, vertriebenes Volk, wir haben nicht die finanziellen Mittel. Aber dank Internet und sozialen Medien können wir mehr Informationen aus den besetzten Gebieten bekommen. Das ermöglicht uns, den Kampf bekannter zu machen – leider klappt das besser in Spanien oder Frankreich als in Deutschland. Hier ist das mediale Interesse dagegen weiterhin gering.