nd-aktuell.de / 20.06.2025 / Kultur

Die Hüterin der Bergseen

Máxima Acuña aus Peru bleibt standhaft. Seit 15 Jahren weigert sie sich, ihr Grundstück zugunsten eines Bergbau-Projekts aufzugeben

Knut Henkel
Máxima Acuña bleibt selbst bei der zigsten Berufungsklage gegen ein Urteil, das ihr und ihrer Familie Bleiberecht zugesteht, optimistisch.
Máxima Acuña bleibt selbst bei der zigsten Berufungsklage gegen ein Urteil, das ihr und ihrer Familie Bleiberecht zugesteht, optimistisch.

Vorsichtig steuert Daniel Chaupe das weiß lackierte Taxi auf die Schranke an der Lagune Chailhuagon in Peru zu, an der ein kleines Wachhäuschen installiert ist. »Das ist zwar ein öffentlicher Weg, aber hier kontrollieren sie alles«, flüstert der hagere, junge Mann. Sie, das ist das größte Bergbauunternehmen in der Region Cajamarca: die Goldmine Yanacocha. Das gigantische Bergwerk, seit 1993 in Betrieb, hat tiefe Spuren in der Landschaft hinterlassen. Die hellen Krater sind von quasi jeder Erhebung rund um die alte Inkastadt Cajamarca aus zu sehen. Da lebt Daniel Chaupe und als Taxifahrer und Gelegenheitsarbeiter verdient er sein Geld.

Heute ist er auf dem Weg zu seinen Eltern und der Wächter an der Schranke lässt ihn nach einem kurzen Blick in den Ausweis passieren. »Glück gehabt«, erklärt Daniel mit einem hilflosen Lachen. Früh am Morgen hat er Feuerholz auf die Ladefläche des Pick-Ups geladen, Streichhölzer und ein paar andere Dinge eingesteckt und ist aufgebrochen, um zum zweiten Frühstück auf dem kleinen Bauernhof seiner Eltern anzukommen. Der liegt von einen stabilen Stahlzaun getrennt neben einer Aufzuchtstation für Alpacas.

Windig ist es, Nebelschwaden schieben sich über die von dicken Moosen und Gräsern geprägten Wiesen auf rund 4000 Meter über dem Meeresspiegel. Langsam schunkelt das allradgetriebene Taxi über den Feldweg, an dessen Ende eine in eine Decke gewickelte, kleine Frau steht: Máxima Acuña. Daneben steht ein kräftiger Mann, der den Hut tief in die Stirn gezogen hat, um dem leichten Nieselregen auszuweichen. Daniel begrüßt seine Eltern herzlich und verschwindet wie alle anderen hinter der schützenden Plane, hinter der ein kleines Feuer lodert.

»Sie sind auf unser Grundstück gekommen, haben einmal sogar das Haus zerstört. Haben uns mies behandelt, uns geschlagen.«

Máxima Acuña

Kartoffelsuppe, frischen lockeren Käse und etwas Kaffee gibt es zum Frühstück. Das warme Essen tut gut nach der fast vierstündigen Fahrt aus dem Zentrum der alten Inkastadt Cajamarca. Dort und im 2000 Kilometer entfernten Cusco regierte der Inka Atahualpa, bis die Spanier ihn 1532 kidnappten, gegen Unmengen an Gold eintauschten und ihn trotzdem wenig später massakrierten. Den Bezug zum Gold hat Cajamarca nie verloren. Heutzutage heißt das Symbol dafür Yanacocha: die größte Goldmine Lateinamerikas. Sie thront förmlich über der Stadt mit 230 000 Einwohner*innen. Seit mehr als 30 Jahren klauben Unternehmen die Reichtümer der Region aus den Felsen. Und dafür hat die mächtige Mine, hinter der der US-Konzern Newmont Corporation steht, auch die Hand nach dem Grundstück von Máxima Acuña und Jaime Chaupe ausgestreckt.

Im Visier

»Ich habe das Terrain 1994 vom Onkel meines Mannes gekauft. Das kann ich mit dem Kaufvertrag auch belegen«, erklärt die kleine Frau, kaum größer als 1,50 Meter, mit großer Routine. »Hundertmal habe ich diesen Satz zwischen 2010, als es losging, und heute ausgesprochen«, schiebt die quirlige Frau mit den optimistisch blitzenden Augen hinterher. Bis 2010 lebte die Familie Acuña-Chaupe – zwei Erwachsene und vier Kinder – in Ruhe auf dem rund 25 Hektar großen Grundstück. Kartoffeln, Bohnen, etwas Gemüse hat Jaime Chaupe angebaut, ein paar Kaninchen, Hühner natürlich, aber auch Schafe, Kühe und Esel gehalten und hin und wieder ist das Ehepaar mit einem der Esel als Lasttier zu einem der Märkte marschiert, um zu verkaufen und einzukaufen. Subsistenzlandwirtschaft nennt sich das und das Ehepaar war zufrieden damit – trotz der Kälte, dem rauen Klima zwischen den Bergseen.

Doch 2010 tauchten zum ersten Mal die Wachleute auf, wurde schweres Gerät in die Nähe des windschiefen Hauses der Familie gebracht. Daraufhin ergriff Máxima Acuña die Initiative, schnappte sich ihren Kaufvertrag, fuhr runter nach Cajamarca zu den Büros der Gesellschaft Yanacocha und pochte darauf, einen leitenden Ingenieur zu sprechen. »Ich wollte Klarheit, eine Ende aller anstehenden Arbeiten der Mine auf meinem und um mein Grundstück«, erinnert sie sich.

Doch als Erstes wurde ihr gesagt, dass das gesamte Terrain der Gesellschaft gehöre, das alles aufgekauft worden sei. Niemand hörte ihr zu, niemand nahm die indigene Frau mit dem breitkrempigen Hut ernst. »Später sind sie wieder hierher auf unser Grundstück gekommen, haben Dinge zerstört, einmal sogar das Haus. Haben uns mies behandelt, mich, meinen Mann, meine Kinder. Sogar geschlagen«, erklärt sie mit zittriger Stimme. Sie hätten versucht, sie zu vertreiben, ist sich Acuña sicher,. Dann trinkt sie etwas aus dem Kaffeebecher, schüttelt sich, als ob sie die miesen Erinnerungen loswerden will. »Immer wieder hieß es, wir wären illegale Landbesetzer«, klagt sie dann mit einer müden Handbewegung.

Erschöpft ist sie, will endlich in Ruhe leben. »Aber sie lassen mich nicht«, klagt die Frau, die viele in der Nachbarschaft nur die »Dame von der blauen Lagune nennen«. Die blaue Lagune ist eine von vier Lagunen um ihr Grundstück.

Dem Wasser verpflichtet

Wasser ist für die quirlige Frau von rund 55 Jahren essenziell. Sie ist es gewohnt, aus dem kleinen Bach zu trinken, der am vorderen Ende des Hauses vorbeigurgelt. Normal ist das für alle Nachbarn in der Region. Doch die allermeisten haben ihre Grundstücke an die Mine Yanacocha verkauft. Auch ein Grund, weshalb das Unternehmen nicht lockerlässt und die Familie Acuña-Chaupe erst mit Gewalt und, als das nicht funktionierte, mit juristischen Mitteln vertreiben wollte.

Doch Máxima Acuña und Jaime Chaupe sind noch da. Nachdem die beiden in erster Instanz am Landgericht von Celendín, ihrer Gemeinde, im Juli 2014 zu zwei Jahren und acht Monaten Haft wegen Landbesetzung verurteilt worden waren, folgte ein halbes Jahr später die Berufungsverhandlung in Cajamarca. Diese hat Máxima Acuña zu einer landesweit bekannten Frau gemacht, denn in dem spektakulären Prozess zog das allmächtige Bergbauunternehmen den Kürzeren. Der Landtitel Acuñas wurde anerkannt, sie und ihr Mann konnten das Gerichtsgebäude als freie Menschen verlassen und dafür war nicht nur die internationale Aufmerksamkeit, sondern auch die erfahrene Umweltanwältin Mirtha Vásquez verantwortlich.

Der Prozess war damals sowohl eine Zäsur in der Rechtsprechung Perus als auch im Umgang mit einem gigantischen Investitionsprojekt von 4,8 Milliarden US-Dollar. »Das hätte den Wasserhaushalt der Region nachhaltig durcheinandergebracht«, so Mirtha Vásquez, die weiterhin mit dem Fall zu tun hat. »Mindestens vier Lagunen, Quadratkilometer des von Wasseradern durchzogenen Weidelands, aber auch mehrere Bergrücken sollten damals verschwinden. Der gesamte Wasserhaushalt der Region steht mit dem Projekt auf dem Spiel«, so Vásquez im Frühjahr bei einem Treffen in Cajamarca.

Damals war die Juristin und Universitätsdozentin wieder einmal mit einer der Berufungsverhandlungen beschäftigt, die der Konzern regelmäßig in Auftrag gibt. »Sie lassen nicht locker«, erklärt Vásquez und das bekommt auch Máxima Acuña zu spüren. »Wir müssen uns weiter verteidigen, zivilrechtlich, einen Anwalt bezahlen, regelmäßig vor Gericht vorstellig werden. Es ist teuer und ermüdend, sagt Acuña und reibt ihrem Sohn Daniel kurz den Rücken. Die Kinder unterstützen ihre Eltern so gut sie können, denn das Geld für die Prozessführung ist knapp, obwohl Máxima Acuña 2016 mit dem weltweit wichtigsten Umweltpreis, dem Goldman Environmental Prize, ausgezeichnet wurde. »Doch fast alles ist in die Prozesse geflossen«, erklärt die kleine Frau und drückt das Wasser aus dem Käse, den sie ihrem Sohn später mitgeben will. Käse, ein, zwei Hühner, das können die beiden Eltern eigentlich immer erübrigen, aber wie es langfristig weitergehen wird, wissen auch sie nicht.

»In Peru gibt es immer mehr Korruption, Bergbau hat fast immer Vorfahrt, wir stehen unter Druck«, sagt Máxima Acuña und ihr Mann Jaime Chaupe pflichtet bei. »Wir haben unseren Präsidenten Pedro Castillo verloren und jetzt regiert hier eine Clique, die den eigenen Vorteil im Auge hat«, urteilt der recht schweigsame Mann. Das deckt sich mit der Einschätzung von Mirtha Vásquez, die genau weiß, dass hinter den Kulissen am Conga-Projekt weitergearbeitet wird. »Im Februar hat Dina Boularte, unsere Interimspräsidentin, in Davos beim World Economic Forum die Verantwortlichen der Newmont Corporation getroffen. Das ist kein gutes Zeichen«, meint sie.

Angesichts der überaus investorenfreundlichen Ausrichtung der derzeit amtierenden und für Korruptionsskandale bekannten Regierung macht sich Vásquez Sorgen um ihre ehemalige Mandantin. Diese ist bedrückt, als sie ihren Sohn und den Besucher nach einem Spaziergang durch das blühende Kartoffelfeld zum Auto bringt. Eine letzte Umarmung, dann setzt sich Daniel wieder ans Steuer.