nd-aktuell.de / 22.06.2025 / Politik

Die Zukunft des »nd«: Digitalisierung, und zwar schnell

Die Generalversammlung der nd.Genossenschaft weist den Weg in die Zukunft

Birthe Berghöfer, Oliver Kern, Regina Stötzel
Alte und neue Gesichter im Aufsichtsrat der nd.Genossenschaft: Thorsten Weil, Daniel Lücking, Ann-Kathrin Kraul, Günter Piening und Nathan Mattes
Alte und neue Gesichter im Aufsichtsrat der nd.Genossenschaft: Thorsten Weil, Daniel Lücking, Ann-Kathrin Kraul, Günter Piening und Nathan Mattes

»Journalismus von links. Für alle Menschen mit Haltung in stürmischen Zeiten« steht auf einem Werbebanner neben der Bühne, auf der Ann-Kathrin Kaul um kurz nach 11 Uhr am Samstag die fünfte Generalversammlung der nd.Genossenschaft eröffnet. Der Spruch mag nicht zum Wetter passen: Bei prallem Sonnenschein und fast 30 Grad draußen müssen die Jalousien im Alwin-Brandes-Saal des IG-Metallgebäudes in Berlin-Kreuzberg heruntergelassen werden. Zum »nd«, für dessen Erhalt die Genossinnen und Genossen seit Jahren nicht nur kämpfen, sondern auch zahlen, passt der Ausdruck »stürmische Zeiten« aber schon, und das leider seit Jahren.

Gut 70 stimmberechtigte Genossenschaftsmitglieder sind an diesem Tag aus Berlin und anderen Teilen Deutschlands zusammengekommen und lauschen zunächst dem Jahresbericht des geschäftsführenden Vorstands Rouzbeh Taheri. Der muss auch in diesem Jahr auf einen im ganzen Land schrumpfenden Tageszeitungsmarkt verweisen, in dem sich das »nd« zu behaupten versucht.

»Es ist nicht so, dass die Menschen weniger Nachrichten lesen. Sie suchen sich nur andere Quellen«, sagt er. Die Abo-Auflage sei daher um 5,7 Prozent im Jahr 2024 gesunken. Die Zahl der Digitalabos wuchs zwar gleichzeitig um knapp 25 Prozent, jedoch immer noch in viel kleineren absoluten Zahlen. »Erstmals seit Langem verzeichneten wir in den letzten Monaten aber keine Abo-Verluste«, berichtet Taheri, der dafür erstmals Beifall erhält, aber sogleich feststellt: »Wir brauchen 1,3 Digitalabos für jedes verlorene Printabo, damit wir langfristig wirtschaftlich stabil sind.«

Der Jahresverlust, der in den Vorjahren noch annähernd 700 000 und danach etwa 400 000 Euro betrug, wurde 2024 nun auf 238 000 verringert. Trotz der positiven Entwicklung gingen damit zwei Probleme einher: Zum einen sind es immer noch Verluste. Zum anderen aber ist das Eigenkapital der Genossenschaft aufgebraucht. »Das ist schon sehr ernst«, gibt Taheri zu bedenken. »Stand jetzt ist die nd.Genossenschaft aber weiterhin in der Lage, alle Rechnungen zu bezahlen. Ende März haben wir auch wieder ein positives Eigenkapital.« Einsparungen durch die Umstellung auf Postbetrieb in weiteren Regionen sowie die Einstellung einer weiteren Printausgabe hätten dazu beigetragen. »Wir müssen uns jetzt aber genau an unsere Finanzpläne halten. Der für 2025 sieht eine ausgeglichene Bilanz vor. Bis heute konnten auch alle geplanten Maßnahmen erfolgreich umgesetzt werden.«

Zu den positiven Entwicklungen gehören knapp 500 neue Digitalabonnent*innen im Zuge der Sonderaktion »Aktivista«. Auch die Druck- und Energiepreise sind zudem zum Glück nicht noch einmal explodiert wie in den Vorjahren. Diesmal seien jedoch die Vertriebskosten gestiegen, so Taheri. Früher war die Botenzustellung nicht nur zuverlässiger, sondern auch billiger als die durch die Post. Beides gilt nun nicht mehr. »Teilweise wurden Botenpreise um 30 Prozent erhöht. Daher haben wir entschieden, zum 1. Mai 2025 aus der Botenzustellung in Sachsen auszusteigen.« Natürlich gebe es auch bei der Post Probleme. An manchen Tagen kommt sie einfach nicht, um die Zeitung auszuliefern. Die Preiserhöhungen seien aber berechenbar. »Insgesamt wird die Zustellung von Zeitungen immer schwieriger. Und die Situation wird sich auch nicht mehr verbessern«, sagt Taheri. »Um dem Vertriebsproblem zu entgehen, gibt es nur die Möglichkeit der weiteren Digitalisierung der Werktagsausgaben, denn klassische Print-Vollabos werden seit Jahren kaum noch abgeschlossen. Der Großteil der neuen Abonnenten liest nur noch digital.« Dieser Feststellung schloss sich nachfolgend auch der Aufsichtsrat an.

Bei jeder Generalversammlung wird aber nicht nur auf die Zahlen des vergangenen Jahres geschaut, sondern auch über die Zukunft der Genossenschaft diskutiert. Im Fokus liegt dabei nicht zum ersten Mal die Digitalisierung der Zeitungsbranche – und beim »nd«. Denn mittlerweile lesen die meisten Menschen Nachrichten überwiegend digital. Wie aus dem jüngst erschienenen Reuters Institute Digital News Survey hervorgeht, nutzen 66 Prozent der Befragten das Internet als Nachrichtenquelle, wohingegen Printmedien wie Zeitungen und Zeitschriften nur von 19 Prozent genannt werden. Zum Vergleich: Diese Zahl lag im Jahr 2013 noch bei über 60 Prozent. Die Studie untersucht jährlich mit repräsentativen Befragungen Entwicklungen und Besonderheiten der Nachrichtennutzung in mittlerweile 48 Ländern.

Vor dem Hintergrund, dass die Vermarktung von gedruckten Tageszeitungen kaum noch möglich ist und Vertriebsstrukturen abgebaut und unzuverlässig werden, ist ein Fortschreiten der Digitalisierung beim »nd« unerlässlich. Darauf wies der Vorstand nach der Versammlungspause nochmals hin. Was bereits 2024 mit der Montagsausgabe von »nd.DerTag« begonnen hat und in diesem Jahr mit der Digitalisierung einer weiteren Tagesausgabe fortgeführt wurde, wird auch in der Zukunft die Richtung der nd.Genossenschaft sein. Darüber stimmten am Samstag die Mitglieder ab und machten ihre Unterstützung für die »Fortsetzung des begonnenen Prozesses zur Digitalisierung der Produkte der nd.Genossenschaft, insbesondere der Tageszeitung nd.Der Tag« deutlich. Sogar mit einem Zusatz: Die Mitglieder wünschen sich eine schnellstmögliche Digitalisierung.

Zwar konnte der Vorstand am Samstag noch kein konkretes Datum nennen, wann es so weit sein wird. In der Diskussion kamen jedoch verschiedene Zeitpunkte im Jahr 2026 zur Sprache. Ein Jahr, in dem das »nd« am 23. April seinen 80. Geburtstag feiern wird – und zeigen könnte, dass es nicht zu alt für etwas Neues ist. »Danke, dass ihr nicht gesagt habt, das ›nd‹ müsse bleiben wie es die letzten 79 Jahre war. Sondern dass ihr ernsthaft darüber diskutiert und schaut, wie es weitergeht«, fasste ein Genosse aus Heidelberg die Diskussion zusammen.

Auch wenn einige Genossenschaftsmitglieder in Redebeiträgen ihre Liebe zur gedruckten Zeitung zum Ausdruck brachten, war doch deutlich, dass das »nd« dann eine Zukunft hat, wenn es den bereits eingeschlagenen Weg zu einer zukunftsfähigen, digitalen Tageszeitung weitergeht. In den Worten eines Genossen aus Hannover: »Digitalisierung ist in dieser Situation ein saurer Apfel, in den ich beißen werde.« Steht also der Abschied vom Papier bevor? Nein! »nd.DieWoche« soll ebenfalls erneuert werden, aber weiterhin im Briefkasten und auf dem Küchentisch liegen.

Seinen Abschluss fand die Generalversammlung mit der Verabschiedung des alten Aufsichtsrates und der Wahl des neuen. Ann-Kathrin Kaul, Niklas Venema, Torsten Weil, Michael Knoche und Gesa von Leesen wurde für die intensive Zusammenarbeit mit dem Vorstand gedankt. In den neuen Aufsichtsrat gewählt wurden die »alten Hasen« Ann-Kathrin Kaul und Torsten Weil sowie die beim »nd« auch nicht unbekannten Genossen Daniel Lücking, Günter Piening und Nathan Mattes. Vor ihnen liegen spannende Jahre, in denen sich der Zeitungsmarkt insgesamt radikal verändern dürfte und in denen das »nd« als linke Stimme mitmischen möchte.

Das ist möglich, weil so viele dazu beigetragen haben. Neben den treuen Leser*innen und Abonnent*innen sind das alle, die das »nd« mit freiwilligen Zahlungen und Spenden unterstützt haben. Dadurch kamen im vorigen Jahr mehr als 250 000 Euro zusammen. Es sind die Menschen, die in ihrem persönlichen und politischen Umfeld für das »nd« geworben haben. Es sind die Gremien der Genossenschaft, die unter den harten Bedingungen der Krise arbeiten, die freien Autor*innen, die für wenig Geld gute Texte liefern. Nicht zuletzt ist es die Belegschaft, die trotz Einstellungsstopp und gekürzten Sonderzahlungen das »nd« inhaltlich leben lässt – in der Hoffnung, möglichst bald einmal die Ruhe nach dem Sturm genießen zu können.