Rund 200 Personen warten am Samstagmittag am Bahnhof Ostkreuz auf einen Zug der S-Bahn-Linie 7. Einige von ihnen haben Regenbogen-Buttons an der sommerlichen Kleidung oder ihren Taschen befestigt. Ihr Ziel ist die diesjährige Marzahn Pride. Die Pride-Demonstration ist eine Besonderheit im Randbezirk Marzahn-Hellersdorf. In diesem Jahr wird sie von der gesellschaftlichen Wirklichkeit eingeholt. Wie an vielen Orten in Deutschland haben auch in Marzahn Neonazis angekündigt, gegen die Pride zu demonstrieren.
Doch die Organisierenden von »Quarteera« wollen sich nicht einschüchtern lassen. Der Verein ist eine Anlaufstelle für russischsprachige LGBTIQ*. Inzwischen veranstaltet er die Marzahn Pride zum sechsten Mal. Sie findet mehrsprachig statt und spricht somit viele migrantische Menschen an. »In diesem Jahr ist es wichtiger denn je, eine Pride zu organisieren, vor allem in Marzahn«, sagt eine Person von »Quarteera« zu »nd«. Allerdings möchte sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, denn die Anfeindungen gegen Pride-Veranstaltungen würden deutlich zunehmen. Dennoch war die Anmeldung der neonazistischen »Gegendemo« eine »schockierende Nachricht« für den Organisationskreis.
Seit ihrem Bestehen ist die Marzahn Pride Ziel von Anfeindungen. In den letzten Jahren[1] kam es zu Pöbeleien und Eierwürfen während des Aufzugs oder zu queerfeindlichen Schmierereien entlang der Strecke. 2023 versuchten Neonazis der Kleinstpartei »Dritter Weg« Teilnehmende des Abschlussfestes zu fotografieren. Die Berliner Initiative Maneo registrierte im vergangenen Jahr berlinweit 738 Fälle von queerfeindlichen Anfeindungen und Gewalt – acht Prozent mehr als 2023.
In Brandenburg stieg die von der Polizei erfasste Zahl an Straftaten gegen quere Menschen 2024 um 74 Prozent auf 118. Vergangenes Wochenende griffen Neonazis das Bürgerfest »Bad Freienwalde ist bunt« an. In diesem Zusammenhang wurde die Wohnung eines mutmaßlichen Mitglieds des »Dritten Wegs«[2] und die seiner Eltern durchsucht. Eine Christopher-Street-Day-Demonstration in Eberswalde mit 1000 Teilnehmer*innen verlief am Samstag störungsfrei.
Aufgrund der gestiegenen Bedrohungslage forderte der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano (SPD) wenige Tage vor der Marzahn Pride die Unterstützung der Senatsverwaltung für Inneres und der Berliner Polizeipräsidentin. Auch Gordon Lemm (SPD), Bezirksstadtrat für Jugend und Familie, bekannte sich vorab zur Versammlung: »Die Pride steht für Vielfalt, Sichtbarkeit und Menschenrechte und das lassen wir uns von rechten Hetzern nicht nehmen.« Sowohl Pantisano als auch Lemm sprachen am Samstag als Redner auf der Abschlusskundgebung in Marzahn.
»Natürlich gibt es auch Neonazis in Marzahn. Aber uns – queere, migrantische Menschen – gibt es auch. Wir halten zusammen dagegen!«
Veranstalter*in vom Verein Quarteera
Bereits am Samstagvormittag werden auf dem Viktor-Klemperer-Platz fleißig Tische aufgebaut. Nach der Parade soll es hier eine Festveranstaltung mit Redebeiträgen, Informationsständen, Musik und Performances geben. Zuvor demonstrieren laut Veranstalterangaben rund 2000 Menschen mit unterschiedlichen Pride-Fahnen und Schildern mit antifaschistischen Botschaften durch Marzahn-Hellersdorf. Im Vorjahr nahmen gerade einmal 450 teil. Bei gutem Wetter sind viele gekommen, um ein Zeichen gegen rechte Bedrohungen zu setzen. Mehrere Jugend-Antifagruppen aus dem Bezirk hatten dazu aufgerufen, »Queers in Marzahn nicht alleine« zu lassen.
Die vorab angekündigte Neonaziversammlung war hingegen kaum wahrnehmbar. Gegen Mittag hatten sich etwa 45 Rechte auf einer Wiese an der Raoul-Wallenberg-Straße getroffen. Abgeschirmt von dichten Büschen hielten einige trotzig ein Banner der Neonazipartei »Die Heimat«. Als Veranstalter trat Julian M. auf. Der mutmaßliche Kopf der Neonazigruppe »Deutsche Jugend Voran« ist als gewaltbereit bekannt. Erst kürzlich wurde er wegen mehrerer Angriffe zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt[3]. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Zeit bis zum Haftantritt verbringt er auf queerfeindlichen Versammlungen in der gesamten Bundesrepublik.
Auch in Marzahn gibt M. den Anheizer mit Megaphon. Doch die ursprüngliche Route der Neonazis ist von der Polizei verboten worden. Stattdessen wollen sie spontan durch Lichtenberg laufen. Die rund elf Kilometer lange Strecke beginnt an der Landsberger Allee Ecke Rhinstraße. Allerdings dürfen die rund 40 verbliebenen Teilnehmenden nur den Gehweg nutzen und werden eng von der Polizei begleitet. Nach nicht einmal einer Stunde beenden sie ihre Versammlung vorzeitig. Der Endpunkt vor einer neueröffneten Unterkunft für Geflüchtete am Weißenseer Weg soll provozieren.
Währenddessen tritt auf der Bühne der Marzahn Pride die Rapperin Zavet auf. »Unsre Blüten wachsen auch durch das Plattenbaugrau« schallt es durch die Boxen, dazu wehen Pride-Fahnen im Wind. Viele Teilnehmer*innen ruhen sich mittlerweile im Schatten aus. Nur ab und zu verirren sich jugendliche Neonazis an den Rand des Platzes, verschwinden dann aber schnell wieder. Laut einem Polizeisprecher verhindern Beamte nach dem Ende der Parade einen Angriff auf abziehende Teilnehmer*innen. Weitere Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt.
Aller Anfeindungen zum Trotz hat die Marzahn Pride ein wichtiges Zeichen des Zusammenhalts im Bezirk gesendet, findet eine der veranstaltenden Personen von »Quarteera«: »Natürlich gibt es auch Neonazis in Marzahn. Aber uns – queere, migrantische Menschen – gibt es auch. Wir halten zusammen dagegen!«