Von dem, was am frühen Sonntagmorgen passiert ist, werden viele Menschen im Iran nur auf Umwegen erfahren, falls überhaupt: Die Internet-Verbindung ins Ausland ist gekappt. Wer versucht, jemanden im Iran per Handy zu erreichen, bekommt stattdessen oft nur eine kryptische Nachricht wie diese zu hören: »Das Leben ist voller unerwarteter Überraschungen, und diese Überraschungen können uns Freude bringen oder uns herausfordern.« Wer dafür verantwortlich ist, ist unklar.
Sicher ist, dass der iranischen Bevölkerung[1] derzeit nur noch die streng zensierten einheimischen Medien als Informationsquelle bleiben. Und dort versucht man, die Auswirkungen der Angriffe des US-Militärs auf die drei iranischen Atomanlagen Fordo, Natans und Isfahan herunterzuspielen. Während US-Präsident Donald Trump in einer Fernsehansprache erklärte, Irans »Schlüsselanlagen für die Uran-Anreicherung«[2] seien »komplett und vollständig ausgelöscht« worden, berichten die Medien im Iran, es seien nur Zugangstunnel und oberirdische Anlagen zerstört worden und damit nichts, was man nicht in kurzer Zeit wieder aufbauen könne.
Martialisch ist auch die Rhetorik: Trump forderte im sozialen Netzwerk Truth Social jeweils in Großbuchstaben die »bedingungslose Kapitulation!«. Das iranische Außenministerium erklärte in einer Stellungnahme, es sei das legitime Recht des Iran, »der militärischen Aggression und den Verbrechen« der USA mit ganzer Macht zu begegnen. Der iranische Außenminister Abbas Araghchi indes gab sich diplomatischer: »In der vergangenen Woche befanden wir uns in Verhandlungen mit den USA, als Israel entschied, die Diplomatie zu zerstören. In dieser Woche haben wir Gespräche mit den E3-Ministern Europas geführt, als die USA entschieden, diese Diplomatie zu zerstören«, schrieb er auf X, ehemals Twitter: »Für Großbritannien und die Europäische Union ist es der Iran, der an den Verhandlungstisch zurückkehren muss. Aber wie kann der Iran zu etwas zurückkehren, was er nie verlassen hat?«
Am Sonntag wurden vom Iran aus 40 Raketen auf Israel abgefeuert; die Rettungsdienste melden um die 90 Verletzte. Die israelische Luftwaffe flog erneut Angriffe auf Ziele in der Islamischen Republik; nach eigenen Angaben waren ausschließlich militärische Einrichtungen im Westen des Landes betroffen.
Und bei alledem steht die Frage im Raum: Wohin wird das führen? Im Irak, auf den arabischen Halbinseln warnen die Regierungen vor einer weiteren Eskalation, fordern, der Diplomatie eine Chance zu geben. In einer Rede in Istanbul schloss Araghchi weitere Verhandlungen allerdings bereits aus: Er glaube nicht, dass Diplomatie nun noch etwas bringe. Dabei muss man in Erinnerung behalten, dass der Kriegseintritt der USA auch eine starke emotionale Komponente hat: Die meisten ranghohen Angehörigen der iranischen Führung haben die Islamische Revolution 1979 und die Zeit danach mit erlebt. Und die USA waren damals neben Israel das Haupt-Feindbild.
Für die Falken im Iran dürfte also eine rein diplomatische Antwort nicht ausreichen. Dabei haben die Revolutionsgarden eine Vielzahl von leicht erreichbaren Zielen zur Auswahl: Militärbasen, US-Einrichtungen sind überall in der Region zu finden. Doch den größten Eindruck könnten die Revolutionsgarden hinterlassen, ohne eine einzige Patrone abfeuern zu müssen: Schon kurz nach Bekanntgabe der US-Angriffe äußerten Diplomaten erstmals die Befürchtung, dass der Iran die Straße von Hormus blockieren könnte und seinen Einfluss über die Huthi im Jemen nutzen könnte, um auch die Meeresstraße Bab al-Mandab für den Schiffsverkehr zu schließen.
Bei der nur 38 Kilometer breiten Straße von Hormus handelt es sich um die Meerenge zwischen Persischem Golf und dem Indischen Ozean. Um die 20 Prozent des weltweiten Ölverbrauchs werden per Schiff hier durchgeschleust; die Fahrt führt durch Hoheitsgewässer des Iran und des Oman. Durch die 27 Kilometer breite Meerenge Bab al-Mandab zwischen dem Jemen und Dschibuti führt eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten überhaupt: vom Fernen Osten und der arabischen Halbinsel ins Rote Meer und über den Suezkanal ins Mittelmeer. Die Bab al-Mandab ist der kürzeste und damit kostengünstigste Weg für Waren aus Fernost nach Europa.
Eine Blockade der Straße von Hormus würde im Zusammenspiel mit den westlichen Sanktionen gegen Russland zu einer Öl-Knappheit führen; zudem könnte dadurch vor allem Saudi-Arabien in wirtschaftliche Schwierigkeiten gestürzt werden, das extrem auf die Erlöse aus den Öl-Exporten angewiesen ist.
Im Iran versucht derweil der Oberste Führer, Ajatollah Ali Chamenei, seine Nachfolge zu regeln für den Fall, dass der 86-Jährige einem Angriff zum Opfer fällt. Einem Bericht der »New York Times« zufolge habe er den 88-köpfigen Expertenrat angewiesen, nach seinem Tod aus drei von ihm benannten Kandidaten seinen Nachfolger zu wählen. Zuvor hatte Israels Verteidigungsminister Israel Katz am Donnerstag nach einem Raketenanschlag in einem Krankenhaus in Be’er Schewa in Süd-Israel gesagt, Chamenei dürfe »nicht weiter existieren«. Chamenei nimmt die Drohung offenbar nicht auf die leichten Schultern.