nd-aktuell.de / 23.06.2025 / Politik

Schadenersatz finanziert Abhörzentrum

Überwachungsfirma verursacht jahrelange Verzögerung, diese hält auf unbestimmte Zeit an

Matthias Monroy
Ein Mitarbeiter im Jahr 2019 im GKDZ: Die damals gelieferten Anlagen verstauben weiter.
Ein Mitarbeiter im Jahr 2019 im GKDZ: Die damals gelieferten Anlagen verstauben weiter.

Nach erneuten massiven Verzögerungen beim Aufbau eines Abhörzentrums der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Berlin fließen nun hohe Schadenersatzzahlungen an die Anstalt. Wie die Geschäftsstelle dieses »Gemeinsamen Kompetenz- und Dienstleistungszentrums« (GKDZ) auf Anfrage des »nd« mitteilte, zahlt der Vertragspartner Ipoque GmbH »bis zur Wirkbetriebsaufnahme Schadenersatz- und Kompensationsleistungen im Millionenbereich«. Eine solche Regelung hatte das sächsische Innenministerium bereits für das laufende Jahr 2025 angekündigt[1].

Das GKDZ soll als »zentraler Dienstleister« alle Formen der operativen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) für Polizeibehörden der beteiligten Länder durchführen. Dazu gehören klassische Abhörmaßnahmen von Telefon- oder Internetverbindungen sowie der Versand von Stillen SMS[2] zur Ortung von Mobiltelefonen. Die mitgeschnittenen Daten werden über einen eigens eingerichteten Server an die anfordernde Polizeidienststelle weitergeleitet.

Das Zentrum hat seinen Hauptsitz in Leipzig und eine Back-up-Einrichtung in Dresden. Insgesamt sollen dort 40 Mitarbeiter*innen beschäftigt werden, darunter auch von Landeskriminalämtern. Ursprünglich war der Start des GKDZ für 2018 geplant, trat aber wegen Abstimmungsproblemen unter den Landesregierungen auf der Stelle. Für den Betrieb haben die fünf Bundesländer eine Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet und einen Staatsvertrag unterzeichnet[3].

2021 erfolgte dann eine europaweite Ausschreibung, die zugunsten der Leipziger Firma Ipoque ausging. Sie gehört seit 2011 zum Münchner Überwachungsdienstleister Rohde & Schwarz. Bereits ein Jahr nach Auftragserteilung 2022 teilte das Unternehmen mit, »die geschuldete Software nicht wie vereinbart liefern« zu können. Als Hauptursachen wurden »Schwierigkeiten bei der Programmierung« sowie personelle Probleme genannt. Zusätzliche Verzögerungen seien durch die Corona-Pandemie und damals verhängte Lockdowns sowie die Umstellung auf Heimarbeit entstanden.

Für das laufende Jahr 2025 müssen die Trägerländer erstmals keine Finanzierungsbeiträge leisten, da die Schadenersatzzahlungen von Ipoque die kompletten Betriebskosten decken. Im GKDZ sind bereits 25 Personen beschäftigt. Ihre Gehälter würden ebenfalls durch Ipoque beglichen, sagte ein Sprecher des Zentrums zu »nd«.

Die Wirtschaftspläne des GKDZ sind als Verschlusssachen eingestuft und werden nicht veröffentlicht. Deshalb lässt sich nicht überprüfen, welche genauen Kosten entstehen und in welchem Umfang diese tatsächlich durch den Regress von Ipoque abgedeckt werden. Bekannt ist aber, dass die beteiligten Bundesländer bereits in den ersten beiden Geschäftsjahren 2017 und 2018 rund 15,8 Millionen Euro als Anschubfinanzierung bereitgestellt hatten. Berlin und Sachsen trugen dabei die höchsten Anteile mit jeweils über 4 Millionen Euro, gefolgt von Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Zu einem Datum der Inbetriebnahme wird das GKDZ weiterhin nicht konkret: Die Verzögerung werde sich »voraussichtlich um mehrere Jahre« hinziehen. Nach Angaben der Geschäftsstelle mache Ipoque jedoch »gute Fortschritte« und habe bereits ein Testsystem im Zentrum in Betrieb genommen.

Trotz der jahrelangen Verzögerungen sieht das GKDZ keine Probleme mit veralteter Technik, wenn das Abhörzentrum dann in einigen Jahren startet. Die Hardware werde »bedarfsgerecht« aus Rahmenverträgen abgerufen. So seien beispielsweise Speichermodule noch nicht in voller Größe gekauft worden. Weil bereits vorhandene Technik durch die Schadenersatzzahlungen finanziert werde, sei es möglich, »modernste IT-Infrastruktur und Software bedarfsgerecht aufzubauen und auf dem neuesten Stand zu halten«.

»Finanziell entwickelt sich das GKDZ offenbar zur befürchteten Katastrophe«, sagt Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Berliner Linksfraktion, zu »nd«. Die Hauptstadt betreibe parallel eine eigene TKÜ-Anlage, deren weiterer Betrieb seit 2016 jedes Jahr mit »erheblichen Summen« verlängert werde. Aber auch das GKDZ sieht Schrader kritisch, da die Verlagerung der Überwachung nach Leipzig die parlamentarische und zivilgesellschaftliche Kontrolle erschwere.

Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion in Sachsen, Rico Gebhardt, sieht in den Einsparungen nur einen vorübergehenden Effekt. Bevor das GKDZ zur Investitionsruine werde, sollte das Innenministerium »eine Ausstiegs-Option entwickeln«.

Links:

  1. https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=1617&dok_art=Drs&leg_per=8&pos_dok=1&dok_id=undefined
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190387.ueberwachung-wieder-zahlen-zu-stillen-polizei-sms.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1057983.das-ohr-des-ostens.html