nd-aktuell.de / 23.06.2025 / Kultur

Jürgen Elsässer im Wunderland

Jürgen Elsässer, Gründer der rechtsextremen Zeitschrift »Compact«, war schon in seiner Zeit als Linker vor allem an sich selbst interessiert

Gaston Kirsche
Und dann könnt ihr mich von hinten sehen: Elsässer am 10. Juni vor dem sechsten Senat des Bundesverwaltungsgerichts
Und dann könnt ihr mich von hinten sehen: Elsässer am 10. Juni vor dem sechsten Senat des Bundesverwaltungsgerichts

Vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wird das Verbot der Zeitschrift »Compact« verhandelt. Deren Chef und Gründer Jürgen Elsässer stellte in der mündlichen Verhandlung geschäftstüchtig ein Buch vor sich auf den Tisch, wie bei einer Lesung: Seine 2022 erschienene Autobiografie »Ich bin Deutscher. Wie ein Linker zum Patrioten wurde«. Auf dem Cover ein Porträtfoto von ihm. Ein durchgeplanter Auftritt. Für den heutigen Dienstag ist die Entscheidung des Gerichts angekündigt.

Seit 2021 vom Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextremistisch« eingestuft, war die Zeitschrift im Juli 2024 von der damaligen Innenministerin Nancy Faeser verboten worden. Chefredakteur Jürgen Elsässer empfing die Ermittler*innen, die morgens bei ihm zu Hause Beweismittel und Vermögen sicherstellen wollten, im Bademantel. Im August setzte das Bundesverwaltungsgericht den Sofortvollzug des Verbots jedoch teilweise aus[1]. Dieses war offensichtlich nicht gründlich genug vorbereitet worden.

In seiner Autobiografie verkauft Jürgen Elsässer seinen Weg zum rechtsextremen Publizisten als Erweckung, gründend auf einer bedeutenden Rolle, die er in der linken Medienlandschaft gespielt habe. »Nach gerade sechs Jahren im Journalismus gehörte ich schon zu den bekanntesten Namen der linken Medienwelt. Ich war seit gut zwei Jahren leitender Politikredakteur beim Monatsmagazin ›Konkret‹, dem Flaggschiff der roten Publizistik seit den Tagen von Ulrike Meinhof, und verstand mich prächtig mit meinem Chef Hermann L. Gremliza. ›Gremliza ist der Prophet und Elsässer sein scharfes Schwert‹, lautete ein Bonmot jener Tage.« Das Bonmot hat er vermutlich selbst erfunden.

In seiner Autobiografie inszeniert er sich als ebenso wild wie abstammungszertifiziert: »Das Feuer des Südens lodert in meinen Adern, ummantelt vom Stahl der nordischen Tugenden. Was hätte anderes aus mir werden sollen als ein revolutionärer Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit?« Solcherlei triviale Revolutionsromantik durchzieht das gesamte Buch. Und so geht es durch Elsässers Jahre im linken Wunderland, mit heißem Herzen als Oberchecker vorneweg – was nicht für bare Münze genommen werden sollte. Da Elsässer sich mittlerweile an ein rechtes Publikum wendet, will er seine antideutschen Positionen nach dem Anschluss der DDR 1990 an die BRD als taktisches, nicht als antinationales Vorgehen verstanden wissen: »Meine antideutsche Strategie war auch in ihrer schlimmsten Zuspitzung nicht emotional aufgeheizt, nicht gegen meine Landsleute gerichtet, sondern politisch motiviert.«

Überhaupt der Volksbegriff – Elsässer unterschied in seinen Artikeln in gute Völker, schlechte Völker. Ein völkisches Denken zu dekonstruieren, war nicht seins. Über den Umweg der Solidarität mit der völkischen Politik und kriegerischen Aggression von Slobodan Milošević in Serbien, die im Kern nicht besser war als etwa die von Franjo Tudjman in Kroatien, wurden völkische und nationalistisch-proserbische Kategorien für Elsässer immer wichtiger – was darauf hinauslief, etwa die sich als kosovarisch verstehende Bevölkerungsgruppe rassistisch abzuwerten oder das Massaker serbischer Milizen 1995 an Muslimen aus Bosnien in Srebrenica herunterzuspielen.

Marit Hofmann, die bei »Konkret« das Kulturressort verantwortete, sagt: »Es ist fatal, dass ›Konkret‹ unter anderem diesen Teil der Magazingeschichte, zu dem das Stützen des serbischen Nationalismus, das Leugnen von Massakern und das Bedienen von Verschwörungstheorien nach Nine Eleven gehört, bis heute nicht aufgearbeitet hat.« In ihrer Erinnerung war Elsässer als Redakteur »auch deshalb nicht sehr hilfreich, weil er fast nur an seiner Selbstvermarktung arbeitete, die immer mehr in Richtung Volkstribun ging. Das entsprechende Publikum fand er rechts und nicht links.«

2002 wurde Elsässer bei »Konkret« entlassen. Er ging zurück zur »Jungen Welt«, die er 1997 zusammen mit anderen im Streit um die politische und personelle Ausrichtung des Blatts verlassen musste, woraufhin sie die »Jungle World«[2] gründeten, in der er nur wenige Artikel veröffentlichen konnte. Später überwarf er sich erneut mit den Chefs der »Jungen Welt«, wurde vorübergehend Pauschalist beim »Neuen Deutschland« und flog auch da 2009 raus, als er eine querfrontlastige Organisation »gegen das Finanzkapital« gegründet hatte, was auch von der NPD und der »Jungen Freiheit« begrüßt wurde.

Anders als von ihm selbst dargestellt, war Elsässer keine zentrale Figur bei der Herausbildung der Initiative »Radikale Linke« 1988/89 und der von ihr initiierten »Nie-Wieder-Deutschland«-Kampagne 1990 oder in der entstehenden antideutschen Strömung. In den antideutschen Aufrufen in den 90ern, wie »Keine Stimme für Deutschland« im Dezember 1990 oder »Kein Frieden mit Deutschland« zum 8. Mai 1995, ist er unter den namentlich aufgeführten Unterstützern nicht zu finden. Und auch nicht auf der dicken Zeitung »Flugschrift Radikale Linke« vom März 1991 mit ihrem »Aufruf zum Antikriegsrat« angesichts des Golfkriegs.

Schon vorher, im Kommunistischen Bund (KB), dem Elsässer ab 1976 angehörte, war er umstritten, aber kein Vordenker. Er fühlte sich vor allem für sich selbst zuständig. »Jürgen Elsässer ist überall sehr dominant aufgetreten und liebte es, im Mittelpunkt zu stehen«, erinnert sich Paul Stern, ehemaliges Mitglied des KB, im Gespräch. »Bei uns im Kölner KB war er als Gallo bekannt – also als gallischer Hahn, der immer das Sagen hatte und im Hühnerhof am lautesten krähte.«

Elsässer schrieb einige Artikel für den »Arbeiterkampf«, die Zeitung des KB. »Im Übrigen ging wohl keiner seiner teilweise abrupten Positions- oder Kurswechsel, jedenfalls ab dem Beginn seiner antideutschen Phase 1989/1990[3], aus irgendeiner Form intellektueller Reflexion hervor«, resümiert der Autor Bernhard Schmid, selbst seit 1987 Mitglied im KB in Baden-Württemberg. »Es ging jeweils nur darum, eine Pose einzunehmen, die ihm gefiel oder Erfolg respektive Aufmerksamkeit zu versprechen schien.«

Unter der Überschrift »Die perfekte Organisation« meint Elsässer in seiner Autobiografie: »Würde man je wieder versuchen wollen, in die Nähe eines Umsturzes zu kommen, müsste man es etwa so machen wie der KB damals. Alle strategischen Fragen, die in den 1970er Jahren auf linker Seite aufkamen und die der KB auf intelligente Weise löste, tauchen heute auf patriotischer und freiheitlicher Seite wieder auf. (...) Dass es mit dem Revolutionskonzept des KB nicht klappte, lag nicht an unserer Strategie und Taktik, sondern an unserer Ideologie.« Die Entkernung des KB von seiner politischen Grundlage, der Fokus allein auf einen »Umsturz« und ein »Revolutionskonzept« ist bei Elsässer Taktik: Um einen rechten Umsturz zu propagieren, wird dem KB ein »Revolutionskonzept« untergeschoben, das dieser nie hatte. Der KB definierte sich vielmehr über den Kampf gegen die »Faschisierung von Staat und Gesellschaft« und über demokratische und soziale Abwehrkämpfe, was ihm von anderen, wesentlich revolutionärer daherkommenden K-Gruppen auch immer wieder vorgeworfen wurde.

Die Kritik an Elsässer, auch angesichts des Aufstiegs von AfD und Autoritarismus, geht weiter. Das Bundesinnenministerium ersetzt keine Antifa, ebenso wenig wie das Bundesverwaltungsgericht. Jetzt wird sogar der Bademantel, in dem sich Elsässer bei der Razzia am 16. Juli 2024, dem Tag der Verbotsverfügung, zeigte, von ihm vermarktet: »Compact-Bademantel ›Elsässer‹ endlich lieferbar«, heißt es im »Compact-Shop«, um »der Staatsmacht« entgegenzutreten. »Mit diesem Designer-Bademantel aus edlem Velours sind Sie bei jeder Razzia gut angezogen.« Wird »Compact« verboten, ist die rechtsextreme Szene auch vom Nachschub an geschmacklosen Bademänteln abgeschnitten.

Der Autor war von 1976 bis zur Auflösung 1991 Mitglied im KB und hat von 1993 bis 2004 im Büro der Zeitschrift »Konkret« gearbeitet.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184506.extreme-rechte-compact-darf-vorerst-wieder-erscheinen.html?sstr=elsässer
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164245.journalismus-linke-verraeter.html?sstr=jungle|world
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1142560.kommunistischer-bund-eins-teilt-sich-in-zwei.html?sstr=heiner|möller