»Sie mochte Kinder nicht gern, sie mochte nur selbst ein Kind haben.« Das dürfte einer der prägendsten Sätze aus Bettina Wilperts neuem Roman sein. Nach »Nichts was uns passiert«[1] und »Herumtreiberinnen«, in denen sie patriarchale Gesellschaften früher und heute thematisierte, beschäftigt sich Wilpert in »Die bärtige Frau« mit dem Mutterwerden und Muttersein in der Gegenwart.
Die Hauptfigur Alex fährt in ihre Heimat nach Bayern, um ihrer Mutter nach einem Unfall zu helfen, deshalb ist sie zum ersten Mal von ihrer einjährigen Tochter getrennt. Das Kind fehlt ihr wie ein amputierter Körperteil. Gleichzeitig genießt Alex es, mal wieder ein Mensch außerhalb der Mutterrolle zu sein. Und wieder so lange, wie sie möchte, schlafen oder duschen zu können, ohne die Aufgaben des Alltags mit einem Baby auf dem Arm erledigen zu müssen. Doch trotz aller Anstrengungen bereut sie ihre Entscheidung nicht, ein Kind bekommen zu haben.
Die Erwartungen, die an Alex gestellt werden, sind einerseits von ihrem christlich dominierten Heimatort und andererseits vom modernen Feminismus geprägt. Ist es überhaupt vertretbar, sich als feministische Frau diesen Berg an Frausein aufzuladen – in einer von Krisen geprägten Welt? Was ist ansozialisiert, was ist der eigene Wunsch? Welche Beziehungen gehen auf dem Weg verloren, was gewinnt man hinzu? Wann ist Alex zu der Person geworden, die von den Demos vor der Haustür genervt ist, weil sie das Kind wecken, anstatt selbst auf der Straße zu stehen?
Die moderne Frau muss nicht nur Mutter und Hausfrau sein. Sie muss zugewandt sein und am besten in romantischen Beziehungen nicht zu abhängig. Sie muss emanzipiert und stark sein, soll aber nicht abweisend und kalt werden. Als Mutter soll sie ihre Kinder lieben, sie soll sie zu unabhängigen, aber auch folgsamen Kindern erziehen. Diese ambivalenten Erwartungen sind Produkt einer modernen Gesellschaft, in der Frauen und Queers sich in Deutschland weitestgehend ökonomische Unabhängigkeit von Männern erkämpft haben.
Wilpert versucht diesen Balanceakt zwischen Liebe, Ermüdung, Angst und Freude zu ergründen. Muttersein ist ein höchst intimer und gleichzeitig höchst sichtbarer Bereich. Mütter sind eine Projektionsfläche. Individualität zu entwickeln, ist – unabhängig davon, dass man vom eigenen Körper und später einem Kind abhängig ist – eine große Aufgabe. Ständig wird in der Öffentlichkeit bewertet, wie man das Kind unter Kontrolle hat oder ob man zu kontrollierend ist. »Sie braucht ihren Kinderwunsch nicht rational zu erklären«, folgert Alex schließlich. »Er bedarf keiner Erklärung und keiner Begründung. Sie wollte Kinder, andere wollen keine. Es ist ihr Begehren, Gesellschaft hin oder her.«
So leicht ist es natürlich nicht. Von ihrer kinderlosen Schwester hat sie sich, wie auch von allen kinderlosen Freund*innen, im vergangenen Jahr immer weiter entfernt, muss Alex erkennen. Auch in anderen Freundschaften kriselt es, weil Alex wenig Zeit hat und weil so wenig offen darüber gesprochen werden kann, ob das Kinderkriegen etwas Beneidenswertes ist oder nicht. Dafür hat sie Mütter kennengelernt, mit denen sie wenig gemein hat. Über den Austausch über wunde Brüste vom Stillen entstehen kaum Freundschaften.
Schon ihre Schwangerschaft lässt Alex anders über ihren Körper und ihre Geschlechtsidentität nachdenken. »Sie wollte immer wie ein Mann sein und hat alles Weibliche abgelehnt. (…) Erst, als sie in der Schwangerschaft anfing, das erste Mal seit über zehn Jahren wieder Kleider anzuziehen, weil sie es angenehmer fand, als den runden Bauch in die Schwangerschaftshose zu zwängen, die, je weiter die Zeit voranschritt, trotzdem spannte, verstand sie, dass sie eine bestimmte Form von sozialisierter Weiblichkeit abgelehnt hat. Es ist schwer, das wieder rauszukriegen.«
Wilpert fasst in Worte, was gebärende, stillende, sorgende Personen gar nicht oder nur mit engen Freund*innen oder anderen Müttern besprechen – und worüber Männer gar nicht erst nachdenken. Sie wollte das Körperliche »im Detail beschreiben, weil es die Lebensrealität vieler Menschen ist«, sagte sie auf DLF Kultur.
Mitten in einem antifeministischen Backlash[2], einer Zeit der Aufrüstung und der Sozialkürzungen ist dieses Buch wie eine kleine Insel, wahlweise für die Flucht aus dem Alltag oder für die Flucht in den Alltag. Wie schon bei ihren ersten Büchern ist die Handlung von »Die bärtige Frau« an Wilperts eigenes Erleben angelehnt. In nüchterner Sprache, nicht blumig oder pathetisch, sondern klar und trotzdem widersprüchlich schreibt sie über eine der zentralen Fragen unserer Zeit: Können wir eine Gesellschaft für alle Menschen schaffen?
Bettina Wilpert: Die bärtige Frau. Verbrecher-Verlag, 192 S., geb., 22€