nd-aktuell.de / 26.06.2025 / Reise

Ostsee, Wandersand und Riesenburgen: Pommern ist pure Vielfalt

Ob flache oder steile Küsten, ob stilles Haff oder windumtostes Meer: Im nordpolnischen Pommern zeigt sich die Ostsee in vielerlei Gestalt

Carsten Heinke
Die Lontzkedüne, polnisch Wydma Łącka, ist Polen höchster Sandhügel: 42 Meter.
Die Lontzkedüne, polnisch Wydma Łącka, ist Polen höchster Sandhügel: 42 Meter.

Rhythmisch rauschend schiebt die Ostsee lange, flache Wellen an die breite Plaża w Łebie, einen von unzähligen Stränden an der Küste Polens. Über 500 Kilometer erstreckt sie sich von West nach Ost. »Die schönsten Abschnitte liegen in Pommern«, meint Paweł Kliszcz. Mindestens einmal jährlich kommt der IT-Experte aus Wrocław zum Aktivurlaub hierher, in diesem Jahr nach Łeba.

Wahrzeichen des Kurortes und einstmaligen Fischerdorfes ist das »Schloss«, auf Polnisch »Zamek«. Heute ein modernes Strandhotel, wurde das Gebäude mit den beiden Türmchen 1907 als Kurhaus eröffnet. Paweł startet hier zu einer echten »Spritztour«, denn er lenkt sein Fahrrad direkt in Richtung Ostsee. Dann den nassen, festen Streifen gleich am Wasser nutzend, saust er durch die Gischt gen Westen, mitten hinein in den Slowinzischen Nationalpark (polnisch Słowiński Park Narodowy).

Das Schutzgebiet aus Dünen, Seen, Strand und Wald ist auch mein Ziel. Kurz hinter Łeba fängt es an. Ich laufe, mal stapfend durch den weißen Pulversand, mal Pawełs feuchten Fahrradspuren folgend. Bald reckt sich vor mir Polens höchster Sandberg, Wydma Łącka, in den blauen Himmel. Dünen sind im Ostseeraum nichts Ungewöhnliches. Doch die bei Łeba sind bereits ein ansehnliches Sandgebirge – und dazu noch permanent auf Wanderschaft.

Ich biege ab und schlendere das letzte Stück durch lichten Küstenwald. Wo er endet, beginnt die Wüste und erhebt sich steil nach oben. Mit breiten, ausladenden Hängen und einem hohen Kamm zieht sich die Superdüne über eine Nehrung zwischen Meer und Jezioro Łebsko, dem Lebasee.

Durchs Sandgebirge

Die Düne ist 500 Hektar groß und im Sommer bis zu 42 Meter hoch. Beständig neue Muster bläst der Wind hinein, lässt die feinen Körner bis zur Oberkante aufwärts rieseln, bis sie wieder steil nach unten fallen, und hält damit den Riesenhaufen unablässig in Bewegung. Bis zwölf Meter jährlich verschiebt er sich von West nach Ost.

Ohne Rücksicht auf Verluste begräbt die Düne dabei alles unter sich, was ihr im Wege steht – wie einst auch das Dorf Lontzke und den Wald ringsum. Am Anfang wie am Ende der Lawine sieht man die Spitzen toter Kiefern oder Birken. So wie Ertrinkende verzweifelt ihre Arme heben, strecken die erstickten Bäume ihre kahlen Äste aus dem Sand. Von ganz oben schaue ich nach Norden auf die Ostsee, nach Süden auf den Lebasee.

So wie im gut besuchten Łeba selber wimmelt es im Sommer in den meisten Badeorten Pommerns. Doch fast überall dazwischen herrscht vor allem die Natur: menschenleere Strände, Dünen, Wälder voller Duft von Harz und Meer. Je näher ich der Metropolregion Trójmiasto (Dreistadt) komme, umso enger wird es auf den Straßen. Rund um die drei verschmelzenden Großstädte Gdynia, Sopot, Gdańsk sind in der Urlaubszeit auch Paradiese der Umgebung gut gefüllt.

Strände und Dünenhügel aus schneeweißem Sand, grüne Ufer, Kiefernwäldchen, ringsum Ostsee – das ist Hel. 35 Kilometer ragt die schmale Halbinsel in die Danziger Bucht. An der Spitze, dem Festland zugewandt, erkunde ich den gleichnamigen Hauptort mit Hafenbecken, Leuchtturm und dem Fischereimuseum in einem Kirchenbau des 14. Jahrhunderts. Im Robbenheim »Fokarium« herrscht Zirkusstimmung. Wer die wissenschaftlich betreute Station in Ruhe besuchen will, sollte das außerhalb der Fütterungen tun.

Das Highlight der Halbinsel Hel sind die Strände. Binnen weniger Minuten Fußweg pendle ich zwischen zwei ganz unterschiedlichen Arten Ostsee: Südlich grenzt die Landzunge an die seichte Putziger Wiek (Zatoka Pucka), im Norden an das offene Meer. Während der besten Windzeiten gilt die Halbinsel als Hotspot für Kitesurfer und Wellenreiter.

In Gdynia bummle ich durch edle Villenviertel, sehe Schiffe aller Art. In Sopot, wo man Sonne, Meer und Seeluft schon seit langer Zeit für Kuren nutzt, genieße ich am Abend einen Saunagang mit Ostseeblick. Das an Sehenswürdigkeiten reiche Gdańsk punktet mit weißen Stränden und dem Stadtseebad Brzeźno.

Für einen reinen Badeurlaub ist das Pommern jedoch viel zu schade. Südlich von Pommerns Hauptstadt Gdańsk beginnt das waldig-hügelige Seenland der Kaschubischen Schweiz (Szwajcaria Kaszubska). Dahinter liegt die Tucheler Heide (Bory Tucholskie), Polens weitläufigstes Waldgebiet. Von dort ist es nicht weit bis an die Weichsel (Wisła). Ihr Delta lässt sich bei einer Paddeltour erkunden – und danach die mächtigste von allen Ritterburgen in der Welt.

Im Herzen des Klosterstaates

Auf meiner bisherigen Reise durch den Norden Polens sah ich schon jede Menge mittelalterlicher Burgen. Jede einzelne davon ließe sich bequem verstecken in dem Koloss aus rotem Backstein, der nun vor mir in Malbork am Weichselarm Nogat thront: die Marienburg. Mit einer Fläche von 17,5 Hektar gilt sie als größtes Werk der Backsteingotik. Durch dreifache Mauern und 14 Tore gesichert, hielt der monumentale Bau monatelangen Belagerungen stand. Im 13. Jahrhundert vom Deutschen Orden errichtet, diente er von 1309 bis 1454 als dessen Zentrum. Von hier aus herrschten die Hochmeister über das Reich, das sich in seiner Blütezeit vom Baltikum bis in die Neumark erstreckte.

Südlich von Malbork stehen zwei weitere Burgen, die man auf dem rot markierten Kopernikusweg (Szlak Kopernika) von dort aus erwandern kann: die Ordensburg Stuhm und die ab 1322 entstandene Bischofsburg Marienwerder. Letztere, mitten in der Stadt Kwidzyn gelegen, verdankt ihr Aussehen dem größten je gebauten »Dansker«. Dieser als Toilette genutzte Turm ist durch eine auf massiven Säulen ruhende Brücke mit dem Rest der Burg verbunden und diente tatsächlich nur der Notdurft und nicht wie im Falle der Marienburg auch zur Verteidigung. Dort führt vom wehrhaften Turm mit dem ehemaligen Hauptklo über der Nogat ein 60 Meter langer Gang zum Hochschloss. Zum Glück gibt es inzwischen Besuchertoiletten – innerhalb beider Burgen und mit Wasserspülung.

Die Recherche wurde unterstützt vom Polnischen Fremdenverkehrsamt.