Es ist das Trendthema schlechthin: das angebliche »Comeback« von »being skinny«. Dünn sein oder dünn werden, ist wieder in aller Munde. Die einen wollen unbedingt abnehmen, die anderen unbedingt darüber reden, warum jetzt wieder alle Pfunde verlieren (wollen). Auf TikTok geben sich junge User*innen aggressive Abnehmtipps, die an fürchterliche Diskussionen in dubiosen Bulimieforen erinnern. Diverse Prominente (auch solche, deren Markenzeichen vorher irgendwelche Rundungen waren) passen wieder in »Size Zero«. Auf den Laufstegen sieht es aus, als hätte sich der »Heroin Chic« aus den 1990ern in die Gegenwart verirrt. Dünn sein nicht nur als Ideal-, sondern als Normalzustand: Wer es richtig mache und nicht zu viel fresse, der käme da schon hin – so wird es einem verklickert. Vieles auf diesem Planeten funktioniert seit einiger Zeit nicht so gut – da geht das Versprechen, dass das »Kaloriendefizit« für alle die Lösung wäre, doch runter wie Öl. Beziehungsweise runter wie der richtige Proteinanteil in den drei Hauptmahlzeiten.
Vielleicht seit anderthalb Jahren, vielleicht seit 2022, als Kim Kardashian sich in das Marilyn-Monroe-Kleid für die Met-Gala runtergehungert hatte, vielleicht seit dem breiteren Zugang zu Ozempic und anderen Präparaten[1]: Auf jeden Fall irgendwann letztens habe es angefangen, dass »Schlanksein«™ wieder zum Idealzustand beschworen wurde. Davor allerdings sei es angeblich jahrelang total super und einfach gewesen, nicht zur »Skinny«-Fraktion zu gehören. Da habe es nämlich ein paar Jahre lang ein goldenes Zeitalter gegeben, in dem »Body Positivity« und Körperdiversität den Ton angegeben haben. Ein Zeitalter, in dem Fatshaming verhasst war und alle es gut aushalten konnten, auch mal ein Doppelkinn oder eine Plauze zu sehen (oder zu haben). Da musste und sollte niemand abnehmen, alle konnten so sein und aussehen, wie sie wollten. Und es wurden keine unrealistischen Körpermaße propagiert. Ich weiß nicht, wann es dieses Zeitalter gegeben haben soll. Wenn es tatsächlich mal existiert hat, kann es meiner Meinung nach nur drei Sekunden gedauert haben.
Diätkultur war nämlich nie weg vom Fenster, sondern einfach nur besser getarnt: »Intuitive Ernährung«, »Clean Eating«, »Wellness Journeys«. Vor allem in den sozialen Medien bekamen Praktiken, deren eigentliches Ziel oft der schnöde Gewichtsverlust war, Wohlfühletiketten aufgepappt – weil es zugegebenermaßen schon ein bisschen verpönt war, offen für Abnehmkuren zu werben.
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»Ich mache Saft. Man entsaftet Gemüse und trinkt den Saft dann dreimal täglich. Es ist eklig. Normalerweise mache ich das einen Monat lang.« Das erzählte Peaches Geldof 2011 dem »OK!-Magazin«. Als »Saftkur« bezeichnete das Magazin diese bedenkliche Ernährungsweise. 2014 starb Geldof an einer Heroinüberdosis. Davor wurde sie noch oft für ihren »gesunden Lebenswandel« gelobt: Schließlich nahm sie augenscheinlich keine Drogen mehr, und sie sah bis zu ihrem Tod auch nicht mehr aus wie der süße und propere Teenager, der sie einmal war (und den man natürlich in der Boulevardpresse für fett hielt).
Von 2017 bis 2019 lief »Revenge Body« von Khloé Kardashian im US-Fernsehen, ab 2004 in den USA und später auch in Deutschland das fürchterliche Reality-Format »The Biggest Loser«. Sich öffentlich wiegen, bewerten und beim Schwitzen anschreien lassen? Selbstliebe! Verletzt und verlassen werden und anstatt zu trauern und sich von Freund*innen trösten zu lassen sich in eine Waschbrettbauchmaschine zu verwandeln, damit der (oder die) Ex die Trennung bitterlich bereut? Selbstwertaufbau!
Die ätzende Message »Du bist nicht okay, wenn du kein gewisses Schönheitsideal erfüllst« war immer da. Ein paar Dehnungsstreifen auf Social Media (gepostet von normschönen Influencer*innen im günstigen Licht) und ein paar Magazincover mit angeblichen »Plus Size«-Models (in Kleidergröße 40) machten den Braten auch nicht fett. Das Schlankheitsevangelium war nie aus den Predigten der Gebetsbücher der angeblichen Wellness-Gesellschaft verschwunden – es hatte bloß bessere PR. »Detox« statt »Diät«, »Saftkur« statt »einseitige Mangelernährung«, »das beste Selbst werden« statt »abnehmen«: alles flauschig eingehüllt in geschmeidige Schlagworte. Mit derselben ewiggestrigen Dully-Botschaft: Wer achtsam ist, wer auf sich hört und intuitiv isst und sich dabei auch noch körperlich ertüchtigt, der (oder die) ist oder wird und/oder bleibt dünn. Alle anderen checken es halt einfach nicht.
Auch ich fand die These, dass der neue Diättrend etwas mit dem Rechtsruck unserer Zeit zu tun hat, schmissig. Dabei ist das nur die halbe Wahrheit. Denn genauso, wie skinny als Ideal niemals weg war, waren auch faschistische Tendenzen nie verschwunden. Sie waren geschniegelt und gestriegelt und ploppten hinter Sätzen wie »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« oder Diskussionen über »Grenzen des Sagbaren« auf.
Was wir jetzt erleben, ist keine Rückkehr, sondern eine Enttarnung. Früher musste man sich bei der Verteufelung fetter Körper in gewisse Schamzonen retten. Heute erklären Menschen in den sozialen Medien freiwillig, dass sie dünne Körper attraktiver und ästhetischer finden und dass das Herumkauen auf Eiswürfeln besser als Essen ist – ohne dass es ihnen irgendwie unangenehm ist. Genauso steht es mit dem Faschismus: Der marschiert offen durch die Parlamente, Straßen und Kommentarspalten und gehört zum neuen Normalzustand. »Ich bin notwendig und besser«, plärren beide. Jetzt nicht mehr versteckt, sondern allen ins Gesicht.