Der weltweite Hunger nach Palmöl treibt in Ihrer Heimat Guatemala[1] Landraub, Vertreibung und Umweltzerstörung voran. Wann wurde Ihnen dieser Zusammenhang klar?
Landraub gibt es seit Jahrzehnten. Doch in meiner Heimatregion, dem Departamento Alta Verapaz, wurde er 1998 besonders sichtbar, als das Palmölunternehmen Industria Chiquibul[2] kam. Es erwarb Land mit falschen Versprechen: Die Firma sicherte Entwicklung und Arbeitsplätze zu – in Wirklichkeit ging es nur darum, möglichst viel Land zu kontrollieren. Dafür setzte Industria Chiquibul die lokale Bevölkerung unter Druck. Ab den 2000er Jahren wuchsen die Palmölplantagen dann rasant.
Sie stammen aus einem Dorf in einer Gebirgsregion im Norden des Landes. Wie hat sich die Expansion auf Ihre Gemeinde ausgewirkt?
Heute sind wir von Plantagen umzingelt. Dafür wurden Wälder zerstört und Flüsse umgeleitet[3], was zu Überflutungen in unseren Dörfern[4] führte. Anfangs beschäftigte Industria Chiquibul nicht einmal Menschen aus den umliegenden Gemeinden. Auch wenn sie das inzwischen erfolgreich eingefordert haben, bleiben die Arbeitsbedingungen ausbeuterisch: Meistens sind es sehr kurzfristige Beschäftigungen ohne Vertrag oder Krankenversicherung. Arbeiter müssen bis zu 500 Palmfrüchte am Tag sammeln, oft ab 4 Uhr morgens bis in den Abend hinein. Manchmal helfen Kinder ihren Vätern, das Soll zu erfüllen. Menschen über 45 werden gar nicht mehr eingestellt. Die Arbeit ist brutal – doch wegen der vielen Plantagen ist sie oft die einzige Option.
Wie wurden Sie unter diesen Bedingungen Aktivistin?
Meine ältere Schwester war die Erste, die für einen höheren Bildungsabschluss wegging. Das war in meiner Gemeinde völlig neu – vor allem für eine Frau. Sie erhielt ein Stipendium, und wir Jüngeren arbeiteten auf dem Feld, um sie finanziell zu unterstützen. Später besuchten auch meine Geschwister und ich weiterführende Schulen und studierten an der Universität. Unsere Ausbildung war nur dank des Verkaufs der Ernten unserer Familie möglich.
Das klingt nach einem beschwerlichen Weg.
Ja, auch im wörtlichen Sinn: Es gab damals keine richtigen Straßen in unserer Gemeinde. Ich war 14 Jahre alt und sprach nur unsere Maya-Sprache Q’eqchi’[5], kein Spanisch. In der Stadt wurden wir deshalb diskriminiert und verspottet.
Heute arbeiten Sie bei Congcoop, einer Organisation, die NGOs und Kooperativen im Kampf für Landrechte unterstützt. Wie kam es dazu?
Vor meinem Abschluss wurde ich zur Jugendvertreterin unserer Gemeinde gewählt. Ich hatte ja den ersten Schritt nach draußen gemacht. So nahm ich an Fortbildungen und Treffen sozialer Organisationen teil. Mit 18 bewarb ich mich bei Congcoop. Zunächst arbeitete ich in einem Projekt zur Agroökologie für Frauen, heute bin ich beim Institut für Agrarstudien und engagiere mich bei Q’ana Ch’och’.
Was genau ist Q’ana Ch’och’?
Q’ana Ch’och’ nennen wir unsere soziale Bewegung zur Verteidigung des Wassers. Die Ölpalmen brauchen viel Wasser, außerdem verschmutzen die Plantagenbetreiber die Flüsse mit Chemikalien und Abfällen. Q’ana Ch’och’ entstand aus der Erkenntnis, dass das die Gemeinschaften aus der Region vor ähnliche Probleme stellt und wir stärker sind, wenn wir uns zusammentun. Seit fünf Jahren bin ich dort als Sprecherin aktiv, besonders für die Frauen. Viele sprechen – wie ich früher – kaum Spanisch. Ich sehe es als meine Aufgabe, ihnen eine Stimme zu geben.
Welche Rolle spielt indigenes Wissen in Ihrer Arbeit?
Eine sehr wichtige. Wir verteidigen nicht nur unser Land, sondern auch unser Recht auf gesunde Ernährung. Meine Großeltern versorgten ihre Familien mit selbst angebauten Lebensmitteln[6], ohne Supermärkte, Straßen oder Strom. Trotzdem hatten wir alles, was wir brauchten. Sie lehrten uns Respekt vor Mutter Erde: eine tiefe Verbindung zur Natur, zu Pflanzen, Wasser und Boden. Wenn wir einen Baum fällten, baten wir vorher um Erlaubnis. Alles folgte dem Rhythmus der Natur, auch dem Mondzyklus. Mein Großvater bestimmte anhand des Mondes den richtigen Zeitpunkt zum Säen. Dieses Wissen gebe ich in einer Schule für Agroökologie weiter.
Sie erwähnten, dass Sie sich dabei vor allem für die Frauen in Ihrer Gemeinschaft starkmachen. Warum?
Meine Mutter ist eine »Comadrona«, eine traditionelle Hebamme. Vielleicht kommt daher mein Wunsch, Frauen zu unterstützen. Aber wie groß der Bedarf ist, erkannte ich erst, als ich in meine Gemeinde zurückkehrte. Oft baten mich Frauen um Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen. So begann ich, mit ihnen zu arbeiten. Besonders bewegte mich, dass wir meiner Mutter halfen, ihren Grundschulabschluss nachzuholen. Ich möchte aber auch für junge Frauen da sein. Sie wachsen weiterhin oft in patriarchalen Familienstrukturen auf und haben keinen Raum, ihre Gedanken zu äußern. Solche Räume wollte ich schaffen – für Gespräche, gegenseitige Unterstützung und gemeinsames Lernen. Heute sind wir ein Netzwerk, in dem wir über Frauenrechte, wirtschaftliche Abhängigkeit und Gewalt sprechen.
Was hat Geschlechterungerechtigkeit mit Landraub zu tun?
Die Landtitel sind meist auf die Männer eingetragen, und selbst wenn die Frau darin ebenfalls auftaucht, entscheiden oft die Männer allein, auch über den Verkauf. Viele Frauen wurden übergangen, obwohl sie ihr Land nicht hergeben wollten. Dabei sind es Frauen, die die Felder bestellen, den Haushalt führen und die Kinder ernähren. Wenn sie ihr Land verlieren, verlieren sie alles – auch ihre Autonomie.
Verstärkt der Palmölanbau die Gewalt gegen Frauen?
Leider ja. Wenn Männer alle zwei Wochen ihren Lohn abholen, geben sie das Geld oft für Alkohol aus und kehren betrunken heim. Sie beschimpfen und schlagen ihre Frauen, oft vor den Augen der Kinder. Diese Arbeit und Lebensbedingungen bedeuten für uns Frauen Gewalt – das ist die bittere Wahrheit. Manchmal hört man auch von Frauenleichen auf den Plantagen. Niemand weiß, ob die Firmen selbst dahinterstecken oder Kriminelle die abgelegenen Felder nutzen. In diesen weiten Plantagen hört niemand Hilfeschreie.
Auch als Aktivist*in lebt man in Guatemala gefährlich. 2023 wurden mindestens vier Umweltkämpfer*innen ermordet. Wurden Sie auch schon bedroht?
Bisher nicht direkt, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Wir wissen, dass wir beobachtet werden. Einige Kolleginnen wurden bereits bedroht, besonders nach öffentlichen Aussagen über die Palmölunternehmen. Deshalb halten wir uns an strikte Sicherheitsprotokolle: Wir nennen keine Namen, sagen selten, wohin wir reisen oder mit wem wir unterwegs sind.
Wie gehen Sie mit dieser ständigen Gefahr um?
Das bringt uns nicht zum Schweigen. Im Gegenteil: Wir wissen, dass viele Gemeinden hinter uns stehen. Das gibt uns Kraft. Unsere Stärke liegt im Zusammenhalt.
Guatemala gehört zu den größten Lieferanten von Palmöl nach Deutschland[7]. Was erwarten Sie von der Zivilgesellschaft hierzulande?
Unsere Böden sind fruchtbar, das nutzten die Firmen aus, ohne Rücksicht auf Umwelt oder Menschen. Der Markt macht sie mächtig, während unsere Gemeinden verarmen. Deshalb fordern wir: Kauft kein Palmöl von Unternehmen, die die Umwelt zerstören! Dafür braucht es auch ein starkes deutsches Lieferkettengesetz[8], für dessen Erhalt sich die Menschen einsetzen sollten.